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Die Leiden der Vierten Gewalt

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Kaum hatten sich die Massenmedien zur Vierten Gewalt gemausert, wurden sie von Medienkanzler Kreisky als Statisterie benutzt. Heute gilt-es, die neue basisdemokra-tisohe Herausforderung anzunehmen.

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Kaum hatten sich die Massenmedien zur Vierten Gewalt gemausert, wurden sie von Medienkanzler Kreisky als Statisterie benutzt. Heute gilt-es, die neue basisdemokra-tisohe Herausforderung anzunehmen.

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„Kontinuität” und „Stabilität” sind zwei Begriffe, die gerade in diesen Tagen immer wieder beschworen werden, um den Weg Österreichs in den letzten vierzig Jahren zu beschreiben. Sie mögen vieles an der politischen Kultur dieses Landes richtig diagnostizieren, aber gewiß nicht das Verhältnis von Politik, Kommunikation und Massenmedien.

Hier fällt eher der ständige Wandel auf, der sogar von abrupten Brüchen nicht frei war, wenn man etwa an die Zeitungsgeschichte der sechziger Jahre in Wien oder die verschiedenen Rundfunkgesetze denkt.

Gewiß waren die Massenmedien in den ersten Jahren der Republik auch eingebunden in die ungeschriebenen Staatsgrundsätze der Großen Koalition: Konkordanz statt Konflikt, Proporzdenken und Kompromißphilosophie, Lagermentalität und intensive Parteibindungen.

Die Folge war ein sozusagen strukturelles Defizit an demokratischer Opposition, die in der benachbarten Bundesrepublik im Nebeneinander von CDU/CSU und SPD von der letzteren im gleichen Zeitraum als gewiß nicht nur erfreuliche Lektion erlernt werden mußte.

Man begriff zu akzeptieren, daß ein letztlich ausschlaggebendes Kriterium für den demokratischen Gehalt der parlamentarischen Regierungsform die Opposition ist, deren - wie es der Staatsrechtler Helmut Ridder formulierte - „Vorhanden- und Anerkanntsein, Stärke, Dauerhaftigkeit, Aktionsbereitschaft und -fähigkeit”.

Der Journalismus und die Zeitungen waren in Österreich die ersten Institutionen, die diese versäumte Lektion nachholten. Daß sie sich dazu den Rundfunk als Angriffsziel und als Vehikel ein Volksbegehren nahmen, ist eine zusätzliche Pointe im Verhältnis von Politik und Kommunikation.

Seit diesen Ereignissen Mitte der sechziger Jahre ist die demokratische Opposition zur typischen Schnittmenge zwischen Massenmedien und Politik geworden — ablesbar ebenso daran, daß in der Parlamentsberichterstattung nun auch die publizistisch bis dahin schwache, oppositionelle FPÖ zu Wort kam, wie beispielsweise daran, daß der unaufhaltbare Niedergang der Parteipresse und parallel dazu der ebenso unaufhaltbare Erfolg parteiunabhängiger Tageszeitungen begann.

Auch daß sich „profil” in den siebziger Jahren geradezu als Institution in die Geschichte der Korruptions-Kontrolle einschrieb, gehört in diesen Zusammenhang.

Wie immer man das demokratiesystematisch oder auch ethisch beurteilen mag: hinsichtlich des Phänomens der Opposition sind das Mediensystem und das politische System offensichtlich so etwas wie kommunizierende Röhren.

Fehlt es im letzteren an oppositioneller Kontrolle, so wird diese sich trotzdem nicht auf Dauer verhindern lassen, solange es noch Bürger mit Zivilcourage, dem Wissen um Mißstände oder der Uberzeugung gibt, daß ihre nonkonformistischen Ideen an die

öffentlichkeit kommen sollen.

Wer in journalistischen Kontroll- und Kritikleistungen nur das verschleierte Handeln des politischen Gegners zu sehen vermag, kann wohl nicht vor dem Nachsitzen im Fach „demokratische Kommunikationskultur” bewahrt werden.

Ein solches Verhalten der Medien löst nun wieder Lernprozesse auf der „anderen” Seite aus, weil es Politiker und Parteien zur ständigen Legitimation ihres Handelns zwingt und damit zu einer immer intensiveren Beteiiigung am Kommunikationsprozeß.

In Bruno Kreisky betrat hier ein Mann die Bühne der Politik, der schnell zum virtuosen Meister dieser neuen, kommunikativen Kultur wurde. Wenn die politische Kommunikationsgeschichte der siebziger Jahre einmal geschrieben wird, dann werden ihre Autoren vielleicht darüber streiten, ob dieser Bundeskanzler ein originellerer Journalist oder originellerer Politiker war.

Jedenfalls war beides bei ihm untrennbar miteinander verbunden und führte zu einer Funktionsverschiebung zuungunsten der Journalisten. Vorläufig kursieren darüber vor allem Anekdoten, aber es steckt darin ein kommunikationswissenschaftlich höchst spannendes Thema, denn natürlich würden gerne alle Politiker die Medien so zur Statisterie machen: das Regieren wird dann ersichtlich leichter.

Aber auch wenn derartige journalistische Begabungen auf der politischen Bühne fehlen, ist heute Publizität zum Macht- und Herrschaftsmittel geworden. Die Politiker haben sich in allen Demokratien (diktorische Regime sind ohnehin nicht anders vorstellbar) die Publikative zur „vierten Gewalt” gemacht.

Doch auch dazu sind längst die Gegenwirkungen entstanden. Die

Massenmedien und die Politik sehen sich einer „dritten” kommunikativen Kraft gegenüber, einer basisdemokratischen Herausforderung, die die achtziger Jahre bestimmte und weiter bestimmen wird.

Sie wird die repräsentative Demokratie zur kommunikativen Demokratie machen, sodaß es vielleicht nicht zu kühn ist, zu prognostizieren, daß im nächsten Jahrzehnt auch noch die letzten kommunikationsresistenten Bastionen wie Sozialpartnerschaft und Staatsbürokratie fallen werden, um sich demokratischer Publizität, der öffentlichen Konfliktaustragung und Konsensfin-dung, zu öffnen.

Der Autor ist Professor und Vorstand des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Publizistik der Universität Wien.

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