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Die letzte Konsequenz

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40 Jahre nach Hiroshima könnte die materialistische Naturwissenschaft die Erde in eine Welt ohne Leben verwandeln.

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40 Jahre nach Hiroshima könnte die materialistische Naturwissenschaft die Erde in eine Welt ohne Leben verwandeln.

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1935 wurde dem Engländer James Chadwick der Physik-Nobelpreis für den experimentellen Nachweis des Neutrons verliehen. Der französische Philosoph und Mathematiker Paul Langevin, einer der vergessenen Mitbegründer der Relativitätstheorie, bemerkte zu diesem Anlaß, im Neutron sehe er die größere Gefahr als in Hitler und seinem Nazistaat. Hitler werde vergehen, das Neutron werde bleiben.

Langevins Vision wurde bald Wirklichkeit. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs entdeckten Otto Hahn und Fritz Strassmann die Spaltung des Urans durch Neutronen. Am 6. August 1945 — vor 40 Jahren — fiel die erste Atombombe auf Hiroshima.

Langevins Vision vom Neutron war tatsächlich eine apokalyptische. Das spaltende Neutron zeugt durch den Spaltprozeß seinesgleichen. Bei der Explosion einer Atombombe entsteht eine Flut von Neutronen. Aber die Materie, aus deren Inneren sie entrissen werden, verschlingt sie wieder im nächsten Augenblick. Doch die tief ins Untersinnliche geschlagene Bresche verschließt sich nicht mehr. Sie ist eine unheilbare Wunde der Materie, aus welcher der Tod entweicht — die Radioaktivität.

Eine Atombombe richtet dreifachen Schaden an: mechanische Zerstörung durch den Druck der Explosion, Verbrennung durch die millionengrädige Hitze und — das Schlimmste — radioaktive Vergiftung durch die Bestrahlung der Umwelt mit Neutronen.

Durch die Absorption der Neutronen durch die Materie wird alles radioaktiv: die Erde, die Häuser, die Eisenbahnen, die Schiffe, die Autos und die Flugzeuge. Alles — aber auch die Tiere und Pflanzen. Und die Menschen. Die Neutronen tragen die tödliche Strahlung in uns hinein. Wir selbst werden zu Strahlungsquellen, die sowohl den Nächsten wie auch uns selbst den Tod bringen.

Bei einer materialistischen Denkweise liegt die Frage auf der Hand, ob es nicht möglich wäre, eine Waffe zu bauen, die nur das Leben zerstört, nicht aber die Materie, die also den Feind tötet, ohne seine materiellen Güter zu vernichten.

Gewissermaßen eine Bombe, mit der man eine Stadt bombardieren kann, so daß die Häuser mit ihren Einrichtungen unbeschädigt bleiben, aber die Menschen sterben. Der Sieger könnte dann, nachdem er die Massengräber zugeschaufelt hat, Besitz davon ergreifen. Ein Krieg ohne Verwüstung also.

Ein Fortschritt, der die Trümmerfelder des Zweiten Weltkriegs überwunden hätte. Ein sauberer Krieg gewissermaßen.

Welche Maschinen können gebaut werden? Alle, die den Gesetzen der Chemie und der Physik nicht widersprechen. (Wenn eine Maschine den Gesetzen des Lebens widerspricht, macht das nichts sie läuft trotzdem.)

Eine Atombombe, die nur wenig Hitze und nur geringen Explosionsdruck, aber viel Neutronen erzeugt, widerspricht den Gesetzen der Chemie und der Physik nicht: die Neutronenbombe kann gemacht werden.

Ist das - wie Bertolt Brecht die Naturwissenschaftler in seinem

„Galilei” nennt - „Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können”, bereit, den Auftrag entgegenzunehmen, so ist eine solche Bombe nur noch eine Frage der Zeit und der zur Verfügung gestellten technischen und finanziellen Mittel.

Die Neutronenbombe ist wahrscheinlich die letzte Konsequenz unserer materialistisch orientierten Naturwissenschaft, welche die Weltwirklichkeit — also das Leben — in der physikalisch-chemisch meßbaren Materie sucht.

Für sie sind Lebewesen nichts anderes als Materie von einer bestimmten Struktur, die unter anderem auch in der Lage ist, das hervorzubringen, was Geist oder Seele genannt wird. Sie sieht sich gezwungen, das Höhere aus dem Niedrigeren zu verstehen, das Leben aus der Materie, die Lebewesen als eine Summe von Molekülen.

Je tiefer die moderne Naturwissenschaft in die Materie eindringt, in jenes Innere, das in die Fernen des Untersinnlichen führt, um so weiter entfernt sie sich vom Leben, wenn sie zugleich Anspruch erhebt, daß physikalischchemische Prozesse die alleinige Wirklichkeit der Welt seien. Was einer solchen Geisteshaltung bleibt, ist das, was sie voraussetzt: physikalisch-chemisch meßbare Materie.

Die Neutronenbombe, von der materialistischen Naturwissenschaft hervorgebracht, könnte ein Mittel sein, die Welt in das zu verwandeln, als was sie eben diese

Wissenschaft betrachtet: in ein ausschließlich physikalisch-chemisches System. Also in eine Erde, auf der es kein Leben mehr gibt.

Wenn die Menschen etwas denken und die Gedanken mit ihren vom Geist gelenkten Händen in die Tat umsetzen, so entsteht in der Welt das, was die Menschen denken

Die Bedrohung zeigt, daß die Naturwissenschaft das werden muß, was sie eigentlich ist: eine Geisteswissenschaft im Sinn von Goethe und Rudolf Steiner, welche die Geist-Seelen-Materie-Wirklichkeit der Welt zu erfassen und zu erforschen vermag.

Max Thürkauf ist Professor für physikalische Chemie an der Universität Basel.

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