Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Die letzten zwei Monate vor Hitler
Der Sohn des katholischen Hitlergegners Ernst Karl Winter, Ernst Florian, will in den USA ein Buch von Karl Hans Heinz verfilmen, in dessen Mittelpunkt sein Vater steht.
Der Sohn des katholischen Hitlergegners Ernst Karl Winter, Ernst Florian, will in den USA ein Buch von Karl Hans Heinz verfilmen, in dessen Mittelpunkt sein Vater steht.
Der Roman „Im Zwielicht“ von Karl Hans Heinz ist ein zeitgeschichtliches Dokument. Ein Erlebnisbericht über die letzten zwei Monate Österreichs vor dem „Anschluß“. Er spielt unter Menschen, die keine Nazis sind, keine werden wollen, denen kein nationaler Dampf in den Kopf steigt, die aber auch mit dem Ständestaat nichts im Sinn haben. Für manche ist Hitler das Ungewisse, das vielleicht das kleinere Übel sein wird.
Die Dialoge wurden niedergeschrieben, wie der Autor sie in Erinnerung hat. Viele Gespräche unter den Floridsdorfer Arbeitern drehen sich darum, ob man sich überhaupt noch für Österreich engagieren soll. Viele fürchten, nichts mehr ändern zu können, aber die Nazis auf sich aufmerksam zu machen.
Viele ziehen den Kopf ein, während die NSDAP immer frecher wird. Tage vor dem deutschen Einmarsch mißhandeln drei junge Nazis mitten unter den Sonntagsspaziergängern auf dem Bisamberg die Kinder der Familie Weinberger, die ebenfalls auf dem Bisamberg wandert. Dem Vater des jungen Mannes gehört eine Kfz-Werkstatt in der Brünnerstraße. Zwei Tage später wollen sie emigrieren. Wie in einer geprobten Aktion warten die Nazis, bis die vorauslaufenden Kinder auf ihrer Höhe sind, dann gibt der erste dem zweiten ein Zeichen, worauf dieser sein Fahrrad umwirft, über die Kinder herfällt, sie ohrfeigt, zu Boden wirft und auf sie eintritt. Sekunden später haben sich die drei auf ihre Räder geschwungen, Heinz kann den letzten vom Rad reißen und gemeinsam mit dem Vater der Kinder festhalten. Kein Spaziergänger will die Gendarmerie verständigen. Manche drücken sich verlegen vorbei, andere meinen, sie sollten den Rowdys halt ein paar Ohrfeigen geben, einzelne grinsen schadenfroh. Vorgeschmack dessen, was sich wenige Wochen später an vielen Stellen abspielen wird.
Heinz: „Obwohl der Kalender noch nicht Aschermittwoch zeigte, war er auf der politischen Szene Wiens angebrochen. Viele Juden, aber auch andere von der Hakenkreuzigung Bedrohte hörten wachen Ohres das stärker werdende Todestrommeln aus Deutschland. Die Banken und Sparkassen meldeten Panikabhebungen von Guthaben, auf den Bahnhöfen nach dem Westen und dem Nordosten drängten sich Flüchtende, die Polizei registrierte eine auffallende Zunahme von Selbstmorden. Über der Stadt der Lieder und Walzerklänge führte einer mit schneeigen Zähnen und augenlosen Höhlen den Taktstock. Am äußeren Bild der Stadt war von dieser Untergangsstimmung und Todesfurcht kaum etwas zu merken. Von Reklametafeln und Litfaßsäulen luden bunte Plakate mit lustigen Figuren zu Bällen, Gschnasfesten und Redouten ein. Bei oberflächlicher Betrachtung schwangen die Wiener anscheinend das Tanzbein schier bis zur Erschöpfung. Es schien, als dächte niemand daran, sich die Asche aufs Haupt zu streuen, die von verbrannten, verräterischen Schriften, Büchern und Briefen aus den Schornsteinen stob.“
Wochen vor dem 12. März springt Heinz, der sich im Fasching als
Geiger etwas dazuverdient, in Jed-lesee ein. Plötzlich tauchen im Saal Hakenkreuzbinden auf und das „Horst-Wessel-Lied“ wird verlangt. Der diensthabende Polizist schreitet nicht gegen die verbotene NSDAP ein, sondern gegen den Geiger, der das Spielen des Naziliedes verweigert: „Sie stören die Ruhe und Ordnung hier!“
Der Autor schildert Österreichs letzte Wochen, wie er sie als Vertrauter von Ernst Karl Winter erlebte. Diese Beziehung gibt dem Buch die Perspektive. Winter hatte 1933 kurz nach der Ausschaltung des Parlaments zwei Offene Briefe an Bundespräsident Miklas geschrieben, worin er ihn aufforderte, die Parlamentskrise nicht zur
Staatskrise werden zu lassen und einzugreifen. Nur die „Arbeiter-Zeitung“ hatte sie veröffentlicht. AZ-Mitarbeiter Heinz nimmt, beeindruckt, Verbindung mit Winter auf und wird Redakteur der von diesem herausgegebenen „Wiener Politischen Blätter“ und kommerzieller Leiter des Gsur-Verlages, in dem bis zum „Juli-Abkommen“ von 1936, mit dem Österreich und Hitlerdeutschland ihre Beziehungen „wieder normal und freundschaftlich“ gestalten, wichtige österreichische Literatur gegen Hitler erschien. Etwa das Werk „Der Nazispiegel“ von Alfred Missong (FURCHE 4/1988). Nach dem „Juli-Abkommen“ konnte diese Tätigkeit nicht mehr fortgeführt werden.
1938 fungiert Heinz als Verbindungsmann zwischen Winter und dem Zentralkomitee der Illegalen KPÖ. Während die Kommunisten angesichts der Bedrohung Schuschnigg bedingungslos unterstützen wollen, fordern die Sozialisten Vorleistungen: freie Gewerkschaften, Wiedererscheinen der „ Arbeiter-Zeitung“ als sozialistisches Sprachrohr, Rückgabe der Arbeiterheime.
Die historische Konferenz vom 7. März 1938, die erste offiziell geduldete sozialistische Veranstaltung seit dem Februar 1934 im Floridsdorfer Arbeiterheim, beschreibt, wie schon frühere Autoren, auch Heinz - mit einem Unterschied: Wir erfahren von der Teilnahme Winters. Friedrich Hillegeist berichtet über seine Unterredung mit Schuschnigg. Die Feststellung, daß alle Forderungen der Arbeiter den Nationalsozialisten faktisch längst zugestanden waren, entsprach nur den Tatsachen.
Ein Kommunist, erzählt Heinz, habe der Versammlung zugeredet, die Teilnahme der Arbeiterschaft am Kampf gegen Hitler an keine Bedingung zu knüpfen und wütende Proteste geerntet: „Kämpfen für Schuschnigg? Niemals! Niemals!“, worauf Winter rief: „Vielleicht aber kämpfen für Österreich?“ Der ehemalige christlichsoziale Wiener Vizebürgermeister kann die Versammlung von seinem guten Willen überzeugen. Er beschwört die Gesprächspartner des Kanzlers, diesen zur Verteidigung Österreichs und zum Zusammengehen mit der ebenfalls bedrohten Tschechoslowakei aufzufordern.
Ein Debattenredner sagt, was wohl Realität ist: Sie alle machen die Rechnung ohne Wirt. Winters „wertvolle, für uns überraschende Vorschläge bleiben Papier, wenn Schuschnigg nicht will!“ Winter war ja nicht als Abgesandter des
Kanzlers da, sondern auf der Suche nach Verbündeten, um Schuschnigg zum Widerstand zu überreden. Einiges, was Winter Heinz über die letzten Gespräche mit dem Kanzler erzählte, etwa die Hoffnung auf eine Unterstützimg Stalins (!), deutet auf fortgeschrittenen Wirklichkeitsverlust.
Das Ausmaß, in dem Schuschnigg und dessen Umgebung den Nationalsozialisten vertraut hatten, ist nicht erst heute kaum begreiflich. Nachzulesen bei Anton Hopfgart-ner, „Kurt Schuschnigg-Ein Mann gegen Hitler“ (Styria Verlag 1989, Seite 199): Offenbar hatte man vor der Abreise des Kanzlers zum Berchtesgadener „Gespräch“ mit Hitler am 12. Februar dem Obernazi Arthur Seyß-Inquart anvertraut, zu welchen Zugeständnissen Schuschnigg äußerstenfalls bereit war und sich, als alles brühwarm Hitler gesteckt wurde, über den „Vertrauensbruch“ gewundert.
Auch eine mir kürzlich von Ernst Florian Winter mitgeteilte Episode illustriert diese krasse Unterschätzung des Gegners: Winter junior wurde, als Schuschnigg nach der Rückkehr aus Berchtesgaden um ein Uhr früh bei Ernst Karl Winter auftauchte, wegen seiner Stenographiekenntnisse vom Vater aus dem Bett geholt und erinnert sich an Schuschniggs Ausspruch, wenn alles schiefginge, würde er eben in seine Anwaltskanzlei zurückkehren. Schuschnigg war wohl mindestens so sehr Mann gegen die Sozialisten wie „ein Mann gegen Hitler“.
Letztes Telefongespräch zwischen Winter und Heinz: „Ich werde abgehört. Nur soviel: Hände weg von allem. Schuschnigg treibt ein doppeltes Spiel. Warnen Sie alle Freunde! Kein Treffen mehr! Gott befohlen!“
In Floridsdorf zerschlägt der stets zu einem philosophischen Gespräch aufgelegte jüdische Geschirrhänd-ler Nathan Blitz seine gesamte Ware. Eliza, die Tochter des alten Trafikanten Ebenezer Brandwei-ner, sagt zum Autor, der Vater sei zu alt zum Fliehen und sie würde bei ihm bleiben. Die Deutschen sind noch nicht in Österreich, das Floridsdorfer Teppichgeschäft Ezechiel Haas ist schon arisiert. Ernst Karl Winters Familie kommt ums Haar heil über die Grenze.
Heinz schließt sich einer kommunistischen Widerstandszelle an, hilft, Untergetauchte mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen und wird 1945 zu einem der Gründer der Zeitung „Neues Österreich“. Er reizt mit einem Leitartikel die Russen und gerät in Konflikt mit seinem Chef Ernst Fischer, worauf sich unbekannte Anzeiger der Tatsache besinnen, daß Heinz' Vater für den Sohn zu dessen Schutz ein NSDAP-Parteibuch besorgt hat. Heinz wird (als „Nazi“!) angeklagt, freigesprochen, aber gebrandmarkt. Während die ehemaligen NS-Jour-nalisten wieder in die Zeitungen einrücken, bleibt der Nazigegner Heinz daraus verbannt.
Daß einer wie er erst heute, Jahrzehnte später, aus der Vergessenheit auftaucht und seine Erinnerungen publizieren kann (Teil zwei folgt demnächst), hat schon seine überaus österreichischen Gründe.
IM ZWIELICHT - Roman aus der Endzeit Österreichs 1938. Von Karl Hans Heinz. Literas Verlag, Wien 1989.172 Seiten, Pb., öS 150,-.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!