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Die linke Masche rfnm

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Ihr seid zu jeder Zerstörung bereit, reißt nieder, damit Neues entstehe;

Ihr seid damit wohl auf der Höhe der Zeit, doch ist drum die Zeit auf der Höhe?

Grillpa-.-zer.

Seit einigen Monaten wieder im Lande schlägt mir, wie aus einer faulig-abgestandenen Pfütze das entgegen, was — je nach Neigung — manche meiner Bekannten versöhnlich-resigniert die „Zeichen der Zeit“ und andere (viel wenigere) nur bös „die Unterwanderung“ nennen. Ich bezeichne es vorläufig als „linke Masche“. Das widerspricht nicht der Einschätzung der anderen. Ich empfinde es als Masche, weil es durchwegs epigonistisch und bar jedes originalen Gedankens und Antriebs ist. Dies, wo es sich um geistige Äußerungen handelt. Wo es solche eher physischer Art sind (wie bei den jüngsten Demonstrationen gegen spanische Repräsentanzen), kommen sie aus einer Art von Krampf (nach dem Eindringen in das Botschaftsgebäude) oder aus einer leeren Routine (sie erzählten einander Witze auf dem Vorbeimarsch am Ring).

Durch mehrjährige Abwesenheit empfinde ich all das viel akuter als jene, die sich allmählich daran gewöhnt haben.

Für mich ist es so, als ob alles, das wir in den letzten 20 Jahren in bezug auf Kommunismus erlebt haben, einfach nicht stattgefunden hätte: die Eröffnungen Chruschtschows auf dem 20. Parteitag der KPdSU, Ungarn 1956, die CSSR 1967/68. Nicht, als ob die KPÖ unterdessen zu neuem Glanz und Einfluß gelangt wäre: sie vollbringt geradezu ein Wunder darin, immer wieder weitere Stimmen von einer Wahl zur nächsten zu verlieren, wie jemand unaufhörlich Kleingeld aus einem Loch in der Hosentasche verliert, die eigentlich schon längst leer sein müßte. Man bedarf der KP nicht, um die linke Masche zu stricken. Die Medien schlagen emsig gegen Amerika aus und nur sehr sparsam gegen den Ostblock.

Besonders bemerkbar ist die linke Masche im Kulturbetrieb geworden. Die KPÖ mag noch so wenig gewählt werden: die Agitprop-Truppen feiern fröhliche Urständ (offiziell nicht unsubventioniert). Noch nie ist, was sich da Avantgarde nennt, so sehr als Troß einer politisch, geistig und moralisch bankrotten Ideologie nachgezottelt.

Eine dieser Gruppen hat mich unlängst gebeten, ihnen den Abdruck eines alten Aufsatzes von mir über die erste Aufführung der Brechtschen Dramatisierung von Gorkis Roman „Die Mutter“ zu gestatten. Die Umstände jener Aufführung — ich glaube im dreiunddrei-ßiger Jahr —, sind in der Tat bemerkenswert, doch auch nicht unerheblich für die Grundlagen der heute florierenden linken Masche. Die Aufführung fand, wenn ich mich recht erinnere, am Vorabend des damals von der „autoritären“ Dollfußregierung zum ersten Mal verbotenen 1. Mfci im großen Konzerthaussaal vor einem Publikum von Sozialisten und Kommunisten statt.

Unter den politischen Umständen jener Zeit wirkten die Eisler-Brechtschen Songs so anfeuernd auf die jugendlichen Besucher, daß sie sich nach der Aufführung zu einem Demonstrationsmarsch formierten, der über den Ring und die Kärntnerstraße einem geographisch zwar unbekannten, jedoch gewiß revolutionären Ziel zustrebte. Bis die Uberfallmannschaften der Polizei einlangten und mit ihren Gummiknütteln die Demonstranten an der Erreichung jenes Zieles hinderten. Ich sage nicht: verhinderten. Denn für manchen der ehemaligen Teilnehmer, wie überhaupt für Freunde der Brechtschen Muse sind diese Stücke ein Teil ihrer eigenen Vorgeschichte geworden, wie etwa Schillers Wilhelm Teil oder Goethes Egmont für das deutsche Bürgertum. Wobei es freilich kein Zufall war, daß deren Thematik aus der Geschichte anderer Völker stammte, dieweil die deutsche Revolution und nationale Einigung von Herrn von Bismarck 1870/71 von oben verordnet worden war. Die deutsche proletarische Revolution jedoch stand, sowohl 3918 als auch 1945, unter russischem Vorzeichen, und so sieht auch die Klassik Brechts aus: eiskalt und zynisch, wie der Regisseur des mitteldeutschen und des Hamburger Aufstandes: Karl Radek, und wie der militärische Vormund der DDR: Josef Stalin.

Daß Brecht burgtheaterfähig geworden ist, hängt wohl mit dem Aufstieg des österreichischen Proleta-rats oder desjenigen seiner Teile zusammen, dessen Hoftheater die Burg nun ist. Wenn man die unentwegt linken Ideologen der heutigen linken Masche fragt, gegen wen sie den

Klassenkampf in Österreich führen und wer die österreichischen Tykoons sind, fällt ihnen ewiglich nur der Name eines Bierbrauers und Herstellers von Senf ein. Als ob die „VÖEST“ ihre Reingewinne allwöchentlich an die Armen von Linz und Umgebung verteilte! Ich war schon zufrieden, wenn sie — ihren Umsätzen entsprechend — so viel für die Förderung der Künste hergeben würden, wie Herr Mautner Markhof.

Ich ziehe einen Trennungsstrich zwischen dem Leftismus aus Gründen der Staatsräson und aus Opportunismus und zwischen dem ehrlichen, ewigen, wenn auch derzeit nicht gut beratenen Drang der Jugend nach sozialer Gerechtigkeit, nach der Loslösung aus der Jobberei, nach einem Leben mit Sinn. Sie haben meine ganze Sympathie, wenn sie gegen alle Mächtigen auf dieser Erde ankämpfen, wohlgemerkt gegen alle Mächtigen. Und daher mache ich nicht mit, wenn ich bemerke, daß ihnen sogenannt linke Mächte besser schmecken als die rechten, oder was hier noch links und rechts genannt werden kann. Ich fresse es nicht, wenn dem Arafat ein Friedenspreis von einer durch nützliche westliche Idioten gedeckten sowjetischen Stiftung verliehen wird, die vordem unter dem Namen Stalins segelte.

Was mich außer derlei Verlogenheiten aufbringt, das ist zum Beispiel die merkwürdige Zimperlichkeit, welche sich heute so schnell bemerkbar macht, wenns um die eigene Haut und nicht die der Gegner geht. Am liebsten möchten sie sozialversichert mit Pensionsberechtigung sein, die Terroristen von heute, wenn sie Bomben schmeißen gehen. Ich halte nichts vom individuellen Terror — auch der Teil hat auf den Geßler erst geschossen, als der ihn zwang, die Armbrust gegen seinen Sohn zu richten. So wird es keine Regierung auf der Erde zulassen, daß man ihr ihre Polizisten serienweise abknallt. Wer es trotzdem macht, muß damit rechnen, einen Preis dafür bezahlen zu müssen. Man lese die Erinnerungen der Vera Figner und anderer russischer Sozialrevolutionäre des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die jungen Leute gingen hin und warfen ihre Bomben, obwohl sie wußten, daß sie dabei in zwei von drei Fällen ebenfalls hopps gingen. Mehr noch: sie glaubten zwar, daß ihr Tun unerläßlich sei, als Sache, aber sie wußten gleichzeitig, daß diese Sache keinen Pfifferling wert wäre, wenn sie den Wert eines einzigen Menschenlebens in Frage stellten. Es ist der alten österreichischen Sozialdemokratie und ihren Führern, etwa einem Victor Adler, nicht eingefallen, für das Leben des italienischen Anarchisten Luccheni, der die österreichische Kaiserin Elisabeth umgebracht hatte, zu plädieren. Georg Weissei, marxistisch-belesener Kommandant der Feuerwache Floridsdorf im Februar 1934, bat vor dem Standgericht um das Leben seiner Untergeordneten, weil sie seinem Befehl, auf die Exekutive zu schießen, gefolgt waren: für sein Leben bat er nicht, und in einem Abschiedsbrief schrieb er: „Ich weiß, ich muß den Preis zahlen.“

Zurückkommend auf die jungen Leute von der Spieltruppe, die nächstens das Stück von Gorki-Brecht spielen werden: Der Autor Eli Wiesel hat einmal gesagt, daß er nicht glaube, daß es nach Auschwitz noch Lyrik geben könne. So ähnlich glaube ich, daß nach dem ideellen und moralischen Bankrott des Kommunismus keine Stücke, die zu seiner höheren Ehre geschrieben wurden, den Menschen zugemutet werden sollten. Viel wichtiger wäre es, Stücke zu schreiben und zu spielen, welche den Nöten und Aspirationen der Menschen von heute entsprechen und unbelastet von einer Schuld sind, die — nebenbei gesagt — dem Bertolt Brecht das Herz gebrochen hat.

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