6838170-1975_27_06.jpg
Digital In Arbeit

Die Linke Mitte

Werbung
Werbung
Werbung

Mit der Verhinderung des drohen den Eisenbahnerstreiks durch eini direkte Intervention der britische! Regierung ist nicht nur das Lane vor einem neuen, schweren Arbeitskonflikt bewahrt worden, der seh; wohl verheerende Konsequenzer hätte haben können, sondern es ha sich damit auch ein interessante; Trend in der britischen Innenpolitik erneut bestätigt.

Die Extremisten unter den Ge werkschaftsführern wollten trot der warnenden Worte von Premierminister Wilson und Arbeitsministe: Foot — letzterer selbst ein prominenter Vertreter des linken Labour flügels — nicht von ihrer Ursprung liehen Forderung nach einer 35 %igei Lohnerhöhung abgehen. Aber als si< neben dem entschlossenen Widerstand der Regierung auch auf Ab lehnung in den eigenen Reihen stießen — der Generalsektretär des bri tischen Gewerkschaftsverbande; sprach von den unverantwortlichei Unruhestiftern der „sogenanntei Linken“ — erklärte sich die Exeku tive der Eisenbahnergewerkschaf schließlich doch mit der angebotenei Lohnerhöhung von „nur“ 29,8% einverstanden.

Noch wichtiger vielleicht aber ist der neuerliche Beweis dafür, daß die politische Mitte der Labourpartei ihre durch die erfolgreiche Europa-Kampagne wesentlich verstärkte Position nicht nur halten, sondern weiter ausbauen konnte. Diese höchst erfreuliche Tendenz hat in der vergangenen Woche auch einen ganz formellen Niederschlag gefunden, als sich eine Gruppe von Labourparteimitgliedern offiziell zur Gründung einer sogenannten „Sozialdemokratischen Allianz“ entschloß.

Seit Dezember 1974 besteht bereits eine Vereinigung von Labourabgeordneten, die sich als „Manifeste Group“ bezeichnet und als Gegengewicht zur extrem linken „Tribüne Group“ der Labour-Parlamentsfraktion gedacht ist, der Männer wie Michael Foot und der jetzige Energieminister Tony Benn angehören. Im Gegensatz zu den Manifesto-Leu-ten hat die Sozialdemokratische Allianz keine Abgeordneten unter ihren Mitgliedern, doch ist eine enge Zusammenarbeit dieser beiden Gruppen schon jetzt offensichtlich.

Zu den erklärten Zielen dieser neuen Gruppierung innerhalb der Labourpartei gehören die Verwirklichung einer freien, nicht-konformistischen Zusammenarbeit und eines christlichen Sozialismus, sowie eine totale Ablehnung dessen, was die Führer der Allianz als „die marxistische Analyse des Klassenstaates“ bezeichnen. Und da die Macht- oder Einflußsphären bei der Labourpartei mehr als bei anderen britischen Parr teien außerhalb des Parlaments zu finden sind, hat man es als wichtig betrachtet, den Kampf für diese Ideen an allen Fronten zu führen.

Was hat nun die Konservative Partei Großbritanniens diesen positiven Tendenzen und auch den anderen innenpolitischen Erfolgen der Labourregierung entgegenzusetzen? Im Augenblick scheinen die'Torfes sich von ihren traumatischen Erfahrungen des vergangenen Jahres noch immer nicht wirklich erholt zu haben. Schlagzeilen machen sie zur Zeit kaum durch konstruktive, profunde Vorschläge zur Behebung der Wirtschaftskrise oder für eine dringend erforderliche ideologische Umstrukturierung ihrer Partei, sondern mehr durch fortgesetzte innerparteiliche Zänkereien. So erregt jetzt gerade ein neuer Konflikt zwischen Parteiführerin Margaret Thatcher und ihrem Vorgänger Edward Heath einiges Aufsehen — nicht gerade erfreuliches. Nach Mrs. Thatchers Wahl zum Parteiführer war überall zu lesen, wie sie in großzügiger Weise, alle früheren Meinungsverschiedenheiten vergessend, den geschlagenen Kandidaten und Ex-Premier zur Beteiligung an ihrem Schattenkabinett einlud und ihm dabei das Amt des Schatten-Außenministers anbot, was Edward Heath jedoch ablehnte. Nun aber hat dieser mehreren englischen Zeitungen zufolge erklärt, er habe niemals ein solches Angebot von Margaret Thatcher erhalten, sie habe ihn damals vielmehr nur ersucht, ihr und der Partei bei der Europa-Kampagne behilflich zu sein, was er, Heath, auch zugesagt habe.

Das traurige Schauspiel, daß Führer und Ex-Führer der Konservativen Partei einander öffentlich der Unwahrheit zeihen — Mrs. Thatcher hat inzwischen in einem Interview ihr damaliges Angebot an Heath emeut bestätigt — kann kaum geeignet sein, die Glaubwürdigkeit der Torfes bei den britischen Wählern zu stärken, ganz zu schweigen von der persönlichen Position Margaret Thatchers, die einem kürzlichen Gallup-Poll zufolge bereits beachtlich an Popularität verloren hat. Die Konservativen werden mit aller Energie und.Eile darangehen müssen, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen, bevor sie sich dem britischen Volk als überzeugende Alternative zu einer Labourpartei präsentieren können, die sichtlich bemüht Ist, die ärgsten Auswüchse eines marxistischen Extremismus auszumerzen.

Wenn es der Labourregierung gelingt, bei den fortgesetzten dreiseitigen Verhandlungen mit Industrieverband und Gewerkschaftsbund eine Lösung für die alles überschattende Frage zu finden, wie die Inflationsrate drastisch gesenkt werden kann, ohne die Gewerkschaften zu verbittern und ohne gleichzeitig das Vertrauen der britischen Industrie und ausländischer Investoren zu erschüttern, dann dürfte damit zu rechnen sein, daß Großbritannien auf lange Zeit hinaus sozialistisch regiert wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung