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Die links-rechten Seiltänzer

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Wird das Jahr 1973 auf seine politische Ausrichtung hin geprüft, so war es für Italien das Jahr der Rückbesinnung auf die linke Mitte. Nach Andreottis elfmonatigem Zwischenspiel einer Zentrumsregierung unter Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen kam es im Juni zur Neuauflage der Links-Mitte-Koalition zwischen Christdemokraten, Sozialdemokraten, Republikanern und den Nenni-Sozialisten, wie sie bereits neun Jahre lang, von 1963 bis Anfang 1972, ununterbrochen bestanden hatte.

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Wird das Jahr 1973 auf seine politische Ausrichtung hin geprüft, so war es für Italien das Jahr der Rückbesinnung auf die linke Mitte. Nach Andreottis elfmonatigem Zwischenspiel einer Zentrumsregierung unter Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen kam es im Juni zur Neuauflage der Links-Mitte-Koalition zwischen Christdemokraten, Sozialdemokraten, Republikanern und den Nenni-Sozialisten, wie sie bereits neun Jahre lang, von 1963 bis Anfang 1972, ununterbrochen bestanden hatte.

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Daß die Nenni-Sozialisten einmal mehr an die Stelle der Liberalen treten, hatte präzise parlamentsdemokratische, wähl- und staatspolitische Gründe: Im Verein mit den Liberalen verfügte Andreotti lediglich über eine prekäre Mehrheit im Senat, was sein Kabinett zum Spielball der Oppositionsparteien degradierte. Da Linkssozialisten und Kommunisten die Zentrumsregierung von Grund auf verurteilten und jegliche Zusammenarbeit ablehnten, lief die winzige Mehrheit in einem der Häuser auf die Abhängigkeit von den Neofasohisten hinaus. Diese schwere Hypothek konnte die Democrazia Cristiana nicht länger bezahlen, wollte sie nicht ihre seit Kriegsende erfolgreich behauptete Vormachtstellung gefährden. Ein längeres Verharren in einer nach links geschlossenen Koalition schloß die Gefahr einer Aufspaltung der eigenen Partei in sich. Bekanntlich gehören dieser Partei auch in erheblicher Zahl sogenannte Linkskatholiken an, die lieber mit den Kommunisten als mit den Liberalen zusammenarbeiten.

Bei der Restauration des Links-Mitte-Kurses ging es den Christdemokraten aber nicht nur darum, ihre eigenen Reihen zu schließen, sondern auch zu verhüten, daß Linkssozialisten und Kommunisten sich zu einer neuen Volksfront-Allianz zusammenschlössen. Um j dieses Schreckgespenst zu bannen, ist es ja 1962 überhaupt zur apertura a sinistra, zum Zusammenschluß zwischen der Democrazia Cristiana und den Linkssozialisten, gekommen. Kommunisten und Linkssozialisten verfügen in Italien nach wie vor über 40 Prozent der Stimmen. Einen derart gewichtigen Teil der Wählerschaft gegen sich zu haben, kann sich auf die Dauer keine Regierung leisten.

Bei der bedenklichen Produktionskrise, die sich auf die Jahresmitte hin in der Entwertung der Lira gegenüber den harten Währungen um 25 Prozent widerspiegelte, konnte sich Italien unter keinen Umständen ein Wiederaufleben der sozialen Unrast leisten. Ein paar zusätzliche Streiks hätten der ohnehin schwer bedrohten Wirtschaft den Todesstoß versetzt.

Den Italienern wird seit eh und je die Fähigkeit zugesprochen, selbst in hoffnungslosen Situationen mit großer Bravour auf die Füße zu fallen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als sie sich wegen Beteiligung der Partisanenverbände an der Vertreibung der deutschen Besatzungstruppen als halbe Sieger aufspielten und nicht einmal Triest an das kommunistische Jugoslawien verlorenging, obwohl die Italiener wenigstens drei Jahre lang auf selten der deutschen Partner gekämpft hatten, lieferten sie einen überzeugenden Beweis des Sich-immer-retten-Könnens.

Auch die letzte Neuauflage des Links-Mitte-Kurses vom vergangenen Juni lieferte ein solches Probestück. Bevor es zu einer „chilenischen Situation“ kam, riß Fanfani das Steuer auf die linke Seite, wo er hoffen konnte, im Verein mit den alten neuen sozialistischen Bündnispartnern die Gefahr eines Bürgerkrieges oder einer autoritären Lösung abzuwenden.

Aus Angst vor einer Erstarkung der neofaschistischen Bewegung machten die Kommunisten gute Miene zum (für sie) bösen Spiel und unterstützten wenigstens indirekt die neue Linksöffnung, von der sie zwar offiziell ausgeschlossen sind, unter der sie sich jedoch als Retter in der Not und Ordnungspartei aufspielen können. Nicht wenige Beobachter befürchten, daß auch die italienischen Kommunisten, trotz fortgesetzten Bekenntnisses zum „nationalen Weg des Sozialismus“, bloße Wölfe im Schafspelz sind, sich also ihr demokratisches und gutbürgerliches Gebaren früher oder später teuer bezahlen lassen. Fast unbemerkt haben sich zahlreiche Kommunisten in die Staatsverwaltung und all die halbstaatlichen Betriebe eingenistet und verfolgen derart von innen und außen eine Politik, bei der mittlere und kleine Betriebe je länger je schlechter gedeihen und die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, daß sie früher oder später dem Moloch des Staates in die Hände fallen.

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