6964211-1985_07_15.jpg
Digital In Arbeit

Die Literatur Österreichs aus arabischer Sicht

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn Herbert Eisenreich nicht gerade in einer besonders produktiven Phase jede Ablenkung von seiner Arbeit zu vermeiden versucht und daher nicht mich an seiner Stelle vorgeschlagen hätte, so wäre ich wohl nicht vom österreichischen Kulturinstitut in Kairo eingeladen worden, die jährliche Schriftstellerlesung an den germanistischen Instituten der drei Kairoer Universitäten (Kairo-Universität, Ain Schams, Al-Azhar) samt darauffolgendem Symposium zu bestreiten.

So aber hielt Otto Zundritsch, der dynamische Leiter dieses Instituts — von Weltsicht und Habitus her ideal als ein solcher Vorposten geeignet — meine arabisti-sche Qualifikation wohl für ausreichend, das wettzumachen, was mich an literarischem Gewicht trennen mag von so illustren Lesungs-Vorgängern wie Barbara Frischmuth, Dietmar Grieser, György Sebestyen, Gernot Wolf-gruber, Jutta Schütting und Peter Marginter.

Ich muß gestehen, daß ich anfangs aus zwei Gründen zögerte, diese Einladung anzunehmen: Zum einen war ich immer der Meinung, daß Ägypten für Nicht-ägyptologen ein geradezu klassisches Beispiel für Perlen vor die Säue ist. Zu oft hatte ich selbst über Neckermänn-Touristen gewitzelt, die vor den Wundern uralter Kulturdenkmäler stehen; erst langsam habe ich mich dazu verstehen können, unbefangen Gräber, Tempel, Sand und blauen Himmel zu genießen, ohne Hoffnung, auch nur die einfachste Königsnamen-Kartusche selber entziffern zu können.

Zum zweiten war mir qualvoll bewußt, wie sehr meine extrem subjektive Art zu schreiben ungeeignet ist, vor Hörern nichtdeutscher Muttersprache vorgetragen zu werden. Um hier eine gewisse Abhilfe zu schaffen, bereitete ich mir arabische Paraphrasen einiger wichtiger Schlüsselstellen in den vorzulesenden Geschichten und Feuilletons vor — was sich beim Vortrag, zumindest als cap-tatio benevolentiae, auch bewährt zu haben scheint. Zugute kam dem Verständnis natürlich die Tatsache, daß die Vortragenden Kopien ihrer Arbeiten monatelang vorher an die germanistischen Institute zu senden haben — Grundlage auch für die Referate, die von Dozenten und fortgeschrittenen Studenten während des Symposiums gehalten werden.

Es ist erstaunlich, mit welchem Eifer und auf welch hohem — teilweise sehr hohem — Niveau das Studium des Deutschen in Ägypten betrieben wird. Mit Wehmut muß sich der Arabisch-Lehrer an der Wiener Universität eingestehen, daß wir in Österreich — obgleich arabische Grammatik auch bei uns mit allen ihr eigenen Ausformungen angeboten wird — auf der praktischen Seite nie das erreichen können, was Orientalen mit westlichen Sprachen gelingt. Unter den Deutsch-Studierenden konnte ich freilich ein breites Spektrum beobachten, das vom bemühten Anfänger mit charakteristischem Tonfall bis zum Germanistik-Dozenten reicht, der in quasi-muttersprachlicher Beherrschung über aktuelle Probleme seiner Wissenschaft zu diskutieren in der Lage ist.

Die germanistische Ausbildung an der Kairo-Universität wird von Kamal Radwan geleitet, der nicht nur in germanistischen, sondern — unter anderem als Mitarbeiter an Schregles großem Deutsch-Arabisch-Lexikon — auch in arabistischen Kreisen wohlbekannt ist und soeben den „Ackermann aus Böhmen” ins Arabische übersetzt hat. Ihm zur Seite stehen ein west- und ein ostdeutscher Gastprofessor, beide vor kurzem erst in Kairo eingetroffen und dem österreichischen Vortragenden gegenüber kritischer im Ton als die Ägypter, vielleicht weil sie—wie viele Deutsche — glauben, aus dem gleichen Kulturkreis wie der Österreicher zu stammen und überdies das Freundlichkeitsgebot dem Gast gegenüber für sie wegfällt, da sie ja selber hier Gäste sind.

An der Ain-Schams-Universi-tät untersteht die Germanistik Mustafa Mahir; seinem Institut oblag heuer die — zwischen den drei Universitäten rotierende — Organisation des Literatursymposiums.

Diese Veranstaltung, die sich am Tage nach den Lesungen über fünf Stunden hinzog, war für mich belehrend, unterhaltend, die Selbsteinsicht fördernd und — vor allem — steigerte sich von Stunde zu Stunde meine Bewunderung für den Fleiß, das Ausmaß an Arbeit, das die Hörer in ihre Vorbereitung gesteckt hatten. Insbesondere fesselten mich Beiträge von Studentinnen, die glaubten, aus einigen Stellen eine anti- oder zumindest präemanzipatorische Haltung entnehmen zu können und dagegen lebhaft Protest einlegten.

Übersetzung als Symbol

Die stärkste Sympathie verbindet mich mit der Germanistik an Al-Azhar, die erst im Jahre 1969 im Zuge der von Nasser veranlaß-ten Einrichtung weltlicher Studienzweige an dieser ältesten aller geistlichen Universitäten des

Islam ins Leben gerufen wurde. Professor Abu 1-Hatab al-Chalid betreut hier an die 600 Germanistikstudenten, die zum Teil ohne Vorkenntnisse angefangen haben und Beachtliches zu erreichen imstande sind. Unterstützt wird der Ordinarius dabei vom enthusiastischen, glänzend arabisch sprechenden Lektor Alfred Huber aus Wien, der gleichzeitig in Wien dissertiert, aber — in Kairo verheiratet — dort seine Lebensmitte gefunden hat. Alfred Huber stellt einen typischen Vertreter jener sprachbegabten und einsatzfreudigen Orientfachleute dar, über die Österreich seit je verfügt und über die zu arbeiten eine wirklich lohnende Aufgabe darstellte.

Man ist sich auch in Al-Azhar der Bedeutung der österreichischen Gegenwartsliteratur voll bewußt: Abu 1-Hatab hat eben Barbara Frischmuths „Verschwinden des Schattens in der Sonne” ins Arabische übersetzt — ein Ereignis, dessen Symbolhaf-tigkeit nicht hoch genug einzuschätzen ist: ein zwar selbst nicht geistlicher, doch sicher frommmuslimischer Professor an Al-Azhar übersetzt ein Buch einer führenden, allem Fortschrittlich-Emanzipatorischen aufgeschlossenen Schriftstellerin, deren Bedeutung freilich wie die aller wirklich guten Literaten weit über alles Partikuläre und Ideologische hinaus ins Allgemein-Menschliche hineinreicht.

Schon heute beneide ich den österreichischen Schriftsteller (oder die Schriftstellerin), der (die) im nächsten Jahr Gast des Osterreichischen Kulturinstituts in Kairo sein wird.

Der Autor ist Lektor für Arabisch am Institut für Orientalistik an der Universtität Wier und Schriftsteller.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung