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Die Literatur und die Kirche

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Zufall? Am hundertsten Geburtstag Teilhard de Chardins in Paris in ein Volks-Hochamt in der Kathedrale Notre Dame geraten, eingefangen werden, umfangen werden, andächtig unandächtig, mit halbem Ohr hinhören, die Kadenzen der Fürbitten, der Generalbaß des Zelebranten, und plötzlich über die Sprachbarriere hinweg verstehen: Für die Priester und Poeten deiner heiligen Kirche...

Welche Poeten sind das? Paul Claudel, der hier an einem Pfeiler den strategischen Punkt seiner Bekehrung lokalisierte?

Die Psalmisten oder Peguy, Bloy, Mauriac, Bernanos, die großen streitbaren Geister, die mit ihrer Literatur den Katholizismus Frankreichs empor- und vorantrieben! Jener Bernanos, der vom Sakrament der Literatur sprach, jene ganze Epoche, von der heute nur noch Julien Green lebt? Deiner heiligen Kirche, hinüber den Rhein, Gertrud von Le Fort, Elisabeth Langgässer, Reinhold Schneider, bis ins Baltikum, Werner Bergengruen, der letzte Zeuge Edzard Schaper? Oder auch Heinrich Boll und Günter Grass?

Ins österreichische gewendet: Rudolf Henz und Friedrich Heer? Wer sind die Poeten deiner heiligen Kirche? Auch Peter Turrini kontra Papst Karol Wojtyla?

Ich bin beim Thema. Turrini, der zum Ärger österreichischer Katholiken wiederholt hat (siehe FURCHE Nr. 15/1981) was Herbert Rosendorfer auf gut katholischem Boden zwei Jahre vorher in Bonn gesagt hat: Die Literatur braucht die Kirche nicht. Punktum und ohne Amen. Ein Kind wird erwachsen, erkennt die Fehler seiner Eltern, beschließt selbständig zu werden und trumpft eines Tages auf:

Ich brauche euch nicht mehr! Worauf besorgte Mütter häufig in Tränen und unbedankte Väter in Zorn fallen. In Wirklichkeit hat sich eine ganz natürliche Entwicklung vollzogen.

Was heißt schon „brauchen"? Der Mensch braucht viel und wenig. Von der Uberzeugung, daß der Mensch einen Glauben braucht, lebt die kirchliche Statistik hierzulande seit Jahrzehnten.

Gebraucht zu werden ist ein mitmenschlicher Trost, manchmal auch eine Illusion. Das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, beherrschte heute viele Zeitgenossen und Gemeinschaften.

Die simple Wahrheit, mögen die Empfindungen noch so schwanken, ist doch die, daß jeder jeden braucht, materiell und metaphysisch. Es ist nicht gut für den Menschen, daß er allein sei.

Es ist nicht gut für die Literatur, daß sie allein sei. Die Literatur braucht vieles. Die Literatur braucht selbstverständlich auch die Kirche.

Unsere persönlichen Enttäuschungen mit kleinlichen Vertretern dieser Kirche, unseren Zorn über den Ubermut der Ämter, unser Leid an der Kälte dieser Institution, die eigentlich brennen müßte vor Liebe und Hilfsbereitschaft, unsere Erfahrungen mit der Habgier und dem Mißbrauch der Macht haben wir alle.

Ob sich der Papst im Blick auf seine literarischen Jugendwerke selbst als großer Dramatiker einschätzt, will ich mit dem Hinweis auf den doch unverkennbaren Humor dieses Mannes bezweifeln. Aber ist nicht der enorme Wille und auch das Charisma Johannes Pauls II. eine bisher noch nicht dagewesene Welt-Kommunikation herzustellen, ein Beweis dafür, welche Hilfe Literatur zu leisten vermag?

Mitunter sind auch wenig bedeutende Dramatiker ein Glück für die" Menschheit.

Ob ein Urteil über die Kirche aus den Ängsten eines „schwarzen" Parteiobmanns, der statt der Porno-Industrie ein paar realistische österreichische Autoren angegriffen hat, auch nur halbwegs allgemeingültig ist, stelle ich kopfschüttelnd dahin. Die Wahrheit ist konkret. Aber die Wehleidigkeit dient ihr nicht.

Warum aber soll gerade heute die Literatur die Kirche brauchen?

1. Weil es keine traditionslose Literatur gibt - und weil die literarische Tradition ohne die Sprachfülle der Kirche und ihrer heiligen Schriften undenkbar ist.

2. Weil die Frage nach dem Woher und Wohin des Menschen ein Motiv ist, ohne das Literatur sinnlos wird — und weil die Literatur in Zustimmimg oder Widerspruch bei der Behandlung dieser Frage auf die Kirche stößt.

3. Weil Phantasie als Raum der Literatur den Glauben an das Unsichtbare voraussetzt - und diesen Glauben die Kirche verkündet.

4. Weil literarische Gesellschaftskritik sich an dem Widerspruch von Moral und täglicher Praxis entzündet — und weil die hohe Moral der Kirche und die Hinfälligkeit des Menschen diesen Widerspruch wachhalten.

5. Weil die Erlösung des Menschen das einzige wirklich spannende Thema der Literatur (Peguy) ist — und weil eben dieses Thema die Kirche verkündet.

In dem visionären Roman „Der Stern der Ungeborenen", an dem Franz Werfel bis zu seinem Tode schrieb, stehen einander als archaische Gestalten der Papst und der Ewige Jude gegenüber. Der Messias als unerschöpfliches Thema.

Zurück nun ins summende Halbdunkel der Notre Dame, zu der ungewohnten Fürbitte für die Priester und Poeten der heiligen Kirche — einer Kirche, deren Sinnenfreude die Kunstgeschichte bestätigt, deren Sprachnot die Gegenwart jedoch aufzeigt.

Wer ist hierzulande schon auf den Gedanken gekommen, für Priester und Poeten zu beten, noch dazu gleichzeitig und gleichwertig?

Zuletzt noch: Die großen Werke, die die Literatur aus dem Geist des Glaubens geschaffen hat — nicht als „katholische Literatur", sondern oft auch gegen die Kirche — sind nicht aus der Diskussion darüber, wer da wen „braucht", wer da ohne wen auskommen kann, entstanden.

Gefordert sind überzeugende Werke.

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