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Die Literatur unter einem Hut

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LITERATUR

Bei rund der Hälfte der Manuskript-Einsendungen für das „Merkur-Forum Literatur" handelt es sich um Lyrik. Klammert man Autoren zwischen dreißig und etwa vierzig Jahren aus, so liegt der Anteil der Gedichte noch erheblich höher. Das ist ein interessantes Symptom. Warum wird die kleine, subjektive Gattung so bevorzugt? Sicherlich griffe die Erklärung zu kurz, mancher scheue eben für die ersten literarischen Gehversuche die große Form — obwohl auch solche Vermutung einiges für sich hat. Aber wichtiger scheint doch: Junge Autoren sind es satt, zu objektivieren, sie wollen wieder Gefühl zeigen, scheuen die noch so noble distanzierende Attitüde.

Dies hat nun freilich, genau besehen, auch wiederum Tradition. Für die moderne Weltliteratur gilt seit Jahrzehnten, daß Gat-

tungsgrenzen verwischt werden. Die jungen Autoren gehen nur einige Schritte weiter. Aber Radikalität hat der Literatur noch selten geschadet.

Indes, der Vorgang hat doch noch etwas spezifisch Deutsches. Im Unterschied zu den anderen europäischen Nationen hatte der große Gesellschaftsroman hierzulande kaum Konjunktur; die literarische Gewissenserforschung brächte allenfalls, je nach Quali-

tätsansprüchen, ein bis zwei Dutzend überragender Beispiele zutage. Der Amsterdamer Germanist Herman Meyer bekam fast die ganze deutsche Roman-Literatur von Rang unter seinen wissenschaftlichen Hut, als er den Typus des Sonderlings, des Einzelgängers, die Idylle des Glücks im Winkel untersuchte. Innerlichkeit gegen Welthaltigkeit, Gemüt gegen Intellektualität, Humor gegen Ironie: Das ist sehr deutsch. Goethe

hat es im Alter beklagt. Er betonte die Gefahren. Aber man sollte ruhig auch die Chancen sehen.

Erfreulich war wieder die Resonanz des „Merkur-Forums Literatur". Johanna Walser, die in der letzten Ausgabe fast lyrische Prosa veröffentlichte, steht mit einem der großen Belletristik-Verlage in Verhandlung. Dieser Tage werden die angeforderten Texte vom zuständigen Lektor auf die Veröffentlichungschance geprüft werden. Christine Wolter, die in Mailand lebende Deutsche, wird ihren neuen Roman bei Benziger publizieren, der Österreicher Alfred Paul Schmidt bei Residenz. Eberhard Ortseifen, vom „Merkur-Forum Literatur" entdeckt, wurde inzwischen eingeladen, am „Jahrbuch für Junge Lyrik" mitzuarbeiten, das im Zeitspalt-Verlag, Berlin, erscheinen wird.

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