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Die Lösung heißt Konzentration

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Wenn auch nicht unmittelbar, so doch in absehbarer Zeit wird die Frage einer Koalitions- oder Konzentrationsregierung wieder Aktualität erlangen. Fritz Klenner plädiert für eine Konkordanzdemokratie.

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Wenn auch nicht unmittelbar, so doch in absehbarer Zeit wird die Frage einer Koalitions- oder Konzentrationsregierung wieder Aktualität erlangen. Fritz Klenner plädiert für eine Konkordanzdemokratie.

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Eine Konzentrationsregierung, wenn sie länger funktionieren, dem parlamentarischen System nützen und nicht nur als kurzfristige Notmaßnahme zur Krisenbekämpfung dienen soll, setzt eine Verfassungsreform voraus. Wenn eine Konzentrationsregierung nur für eine Ubergangszeit als Notstandmaßnahme gedacht ist, erübrigen sich Erwägungen über ihren Einfluß auf die Gestaltung der politischen Landschaft, da sie dann sicherlich von einer breiten Zustimmung getragen wäre.

Aber die Regierungstätigkeit würde bereits von der Zeit nach dem Ende der politischen Kräftekonzentration überschattet sein, in der die Gegensätze in ihrer früheren Spielart wieder aufleben würden.

Es erhebt sich daher zwingend die Frage: Warum keine Konzentrationsregierung auf Dauer? Daß die Vorschläge für eine solche Regierungsform gerade von den Landeshauptleuten jener Bundesländer kommen, in denen die Landesregierungen gemeinsam von allen im Landtag vertretenen Parteien gebildet werden, zeigt doch, daß sie um die Vorzüge eines solchen Systems wissen.

Bei den Überlegungen über die Bildung einer Konzentrationsregierung steht zwingend voran, daß gegenüber dem jetzigen parlamentarischen System eine entscheidende Veränderung in Konstruktion und Arbeitsablauf eintreten müßte. Nur wenn man bei bisherigen Denknormen verharrt, ist Konzentration eine „paktierte Krise"; wenn man bereit ist, umzudenken, könnte Konzentration eine konstruktive Lösung für das parlamentarische System sein. •

Entscheidend ist die Frage der parlamentarischen Kontrolle, die es scheinbar ohne Opposition nicht geben kann. Aber glattweg zu verneinen, daß eine Kontrolle bei einer Konzentrationsregierung nicht durchführbar wäre, hieße die Möglichkeiten der parlamentarischen Demokratie unterschätzen.

Voraussetzung einer Konzentrationsregierung ist eine Verfassungsreform, die die Kontrollrechte und in einem gewissen

Rahmen auch die Unabhängikeit der Abgeordneten gegenüber der gemeinsamen Regierung zu sichern hätte.

Regierungsbeteiligung dürfte keineswegs zu einem Verlust des Kontrollwillens der an der Regierung beteiligten Parteien führen.

Die Unabhängigkeit der Abgeordneten gegenüber „ihrer" Regierung müßte weitgehend abgesichert sein (eine Möglichkeit der Kritik war in Österreich schon zur Zeit der großen Koalition gegeben).

Bei Abstimmungen von weitreichender Bedeutung oder bei starkem Druck seitens der öffentlichen Meinung müßte den Abgeordneten freie Gewissensentscheidung, das heißt Freiheit vom Fraktionszwang, gewährleistet sein — was auch bisher in manchen Parlamenten schon ausnahmsweise der Fall war.

Der Einwand, daß durch eine Konzentrationsregierung die Kritik im Parlament von vornherein unterbunden wäre, ist nicht stichhaltig. In den Landtagen üben die Abgeordneten gleichfalls Kritik, auch wenn Vertreter ihrer Partei in der Landesregierung sitzen.

Die Rolle des Parlaments und seines Präsidiums könnte überhaupt aufgewertet werden, wenn Recht und Würde des Parlaments gegenüber der Regierung viel stärker als bisher vertreten würden.

Derzeit geht die Initiative für die parlamentarische Tätigkeit vorwiegend von der Regierung aus. Die parlamentarischen Klubs könnten sich jedoch bei größerer Unabhängigkeit viel mehr als bisher ins Spiel bringen und die Klubobmänner die parlamentarische Tätigkeit intensiver als heute steuern.

Eine Verfassungsänderung mit Einführung einer Konzentrationsregierung würde den Zwang zum Kompromiß und damit eine Konkordanzdemokratie ergeben. Das Programm der Regierungspolitik wäre dann der Niederschlag der sich aus dem Wahlresultat ergebenden Stärke der Parteien.

Erfolg und Mißerfolg der Regierungspolitik würden zum Vorteil oder zu Lasten aller Parlamentsparteien gehen, was in der Konsequenz für Staat und Volk nur nützlich sein könnte. Alltagspolitik der Parteien verführt zu Opportunismus. Mehr Sachlichkeit im Parlament und mehr Bewegung im Parteileben, die dann durch Unterstützung einer aktiveren Parlamentsarbeit gegeben sein könnte, kämen sicherlich dem Fortschritt und so auch der sozialistischen Bewegung zugute. •

Gerade eine Konzentrationsregierung, die sozusagen über den Parteien steht, gibt diesen und ihren Abgeordneten die Möglichkeit, innerhalb und außerhalb des Parlaments gegen sie Stellung zu nehmen, während jetzt eine Regierungspartei die Tätigkeit der Regierung auf jeden Fall decken muß.

Viel wirksamer als heute könnte dann dem Vorwurf der „Packelei", dem „Unter-einer-Decke-Stecken" ebenso begegnet werden wie einer demagogischen Ausuferung des Parteienwettstreites. s Das Aufkommen „konzentrierten Unbehagens" im Falle einer Konzentrationsregierung ... braucht man nicht zu befürchten — es ist ohnehin bereits vorhanden.

Man kann natürlich argumentieren, daß die Einführung einer Allparteienregierung „in einem politischen System, in dem die einzelnen Parteien unterschiedliche gesellschaftspolitische Zielsetzungen verfolgen, ein Zusammenrücken der Eliten angesichts einer gemeinsamen Gefahr" bezwecke. So begründete die ÖVP vor der Nationalratswahl im Oktober 1975 ihr Eintreten für eine Allparteienregierung mit dem Hinweis auf die Gefahren der anschwellenden Weltwirtschaftskrise.

Bezogen auf die Zukunft, könnte eine Allparteienregierung als Abwehraktion etablierter Parteien gegen die nunmehr noch tiefgreifenden wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und die Gefahr des Vordringens extremistischer politischer Kräfte aufgefaßt werden.

Eine Konzentrationsregierung als Organ einer verfassungsmäßig verankerten Konkordanzdemokratie könnte ein besseres Demokratiebewußtsein in der Bevölkerung herbeiführen. Der Einwand allerdings, daß die Regierungsausübung durch „ein permanentes Parteienkartell vor allem auch das Gefühl der Ohnmacht in den Bürgern fördern würde" (Friedrich Koja), ist nicht von der Hand zu weisen — eine permanente Alleinregierung ohne massiven Wählerrückhalt würde jedoch ein solches Gefühl in noch stärkerem Maß hervorrufen.

Der Autor war Generalsekretär des DGB, ist gegenwärtig Vorsitzender des Aufsichtsrates der BAWAG in Wien. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Kapitel „Plädoyer für eine Konkordanzdemokratie" im demnächst er-scheinenden Buch „Die Misere latenten Unbehagens" von Fritz Klenner, aus dem wir mit Zustimmung des Europaverlages zitieren.

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