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Die Mach-Mit-Kultur der Industriestadt Linz

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Wenn von Linz die Rede ist, denkt man im allgemeinen an den Stahlkonzern VÖEST-Alpine oder die Chemie Linz AG. Man nennt Linz eine Industriestadt und verbindet damit gerne auch wenig schmeichelhafte Vorstellungen über die dortigen Lebensbedingungen.

Freilich gibt es in der oberösterreichischen Landeshauptstadt bei knapp 200.000 Einwohnern derzeit rund 160.000 Arbeitsplätze. Wenn die Statistiker recht behalten, wird sich das Arbeitsplatzangebot In Linz bis 1985 auf rund 180.000 Arbeltsplätze erhöhen. Jetzt schon pendeln rund 70.000 Arbeitnehmer täglich zwischen ihren Wohnorten Im übrigen Oberösterreich und den Betriebsstätten in Linz. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich Oberöstörreichs Landeshauptstadt tatsächlich zu einem industriellen und wirtschaftlichen Schwerpunkt ersten Ranges entwickelt. Wo diese wirtschaftliche Expansion hinführen wird, läßt sich noch nicht absehen, zumal im Süden des Stadtgebietes ein größeres zusätzliches Areal für Industrieansiedlungen gewidmet worden ist und darüber hinaus der Raum zwischen Enns und Linz im Bereich der Donau als künftiges großes Industriegebiet vorgesehen ist.

Mit der explosiven Entwicklung von Wirtschaft und Stadtbild hat sich Linz den Ruf erworben, eine der aufstrebendsten und erfolgreichsten Städte in Österreich zu sein. Im internationalen Gespräch wird der oberösterreichischen Landeshauptstadt im allgemeinen ein guter Ruf zuteil, weil die Leistungen der Wirtschaft und die städtebaulichen Initiativen Anerkennung finden. Diese wohl etwas einseitige Beurteilung hat den Linzern zwar vom Standpunkt leistungsorientierten Denkens gefallen, aber sie haben immer auch das Übergewicht der Industrie als einen Nachteil empfunden. Es war daher ein alter Traum, ein entsprechendes Gegengewicht auf kulturellem Gebiet zu schaffen, was schließlich mit dem Bau des Linzer Brucknerhauses und den daraufhin einsetzenden kulturellen Initiativen gelungen ist.

Linz hat einen ausgesprochenen Ehrgeiz entwickelt, den kulturellen Nachholbedarf zu decken und Einrichtungen zu schaffen, die gerade der arbeitenden Bevölkerung Möglichkeiten einer sinnvollen, kulturbezogenen Freizeitgestaltung bieten. Dabei hat die Linzer Stadtverwaltung keine Kosten gescheut und tief in die Tasche gegriffen, um die Verwirklichung so stolzer Träume wie von einem Konzerthaus, einer modernen Kunstgalerie, einem schönen Museum oder der Neugestaltung eines barocken Monumentalbaues finanzieren zu können. Der Bau des Linzer Brucknerhauses hat 255 Millionen Schilling gekostet, für die Übersiedlung der Neuen Galerie der Stadt Linz in den Gebäudekomplex des „Lentia 200" mußten 50 Millionen Schilling aufgebracht werden, und die Revitalisierung des barocken Prunerstiftes, in dem die hoch angesehene Musikschule der Stadt Linz eine neue Wirkungsstätte fand, hat den Stadtsäckel um 24 Millionen Schilling erleichtert. Schließlich ist hier auch der Ausbau des Stadtmuseums Nordico mit einem Kostenaufwand von 15,6 Millionen Schilling zu berücksichtigen, ein zwar nicht sehr großes Museum, das dafür aber umso bemerkenswertere Aktivitäten entwickelt.

Die Stadtverwaltung hat sich aber nicht damit begnügt, das Kulturangebot in Form von neuen Objekten und einem reichhaltigen Programmzettel zu vergrößern, sondern bemüht sich nachhaltig darum, einen immer größeren Kreis von Menschen für diese verschiedenen kulturellen Möglichkeiten einzunehmen. Das besondere Anliegen der Linzer Aufbruchsstimmung ist es, die Bevölkerung in den Kulturbetrieb einzubinden und dabei eine möglichst große Anzahl von Menschen zu mobilisieren. Bestes Beispiel für dieses Bemühen und die damit verbundenen Erfolge ist die „ars electronica" im Rahmen der Brucknerfestwochen und damit verbundene Experimente, wie die Klangwolke des Jahres 1979 oder die Stahlsynfonie und das Mach-Mit-Konzert des Jahres 1980. Diese Versuche müssen als durchaus seriöse Experimente bezeichnet werden, ist es durch sie doch gelungen, Zehntausende Menschen für Musik zu interessieren, die zunächst keinerlei Beziehung zur klassischen oder modernen Musik gehabt haben.

Der Linzer Kulturbetrieb hat so ziemlich alles erfaßt, ohne Unterschied des Alters oder sozialen Stellung. Die Konzerte und die meisten sonstigen kulturellen Veranstaltungen Im Landestheater, im Landeskulturzentrum Ursulinenhof, in den Kellertheatern oder sonstwo, sind meistens ausverkauft. ■ Dabei bemüht sich insbesondere die Linzer Veranstaltungsgesellschaft LIVA, Eintrittspreise zu berechnen, die sich so gut wie jeder leisten kann. Das aus dieser sozialorientierten Preispolitik resultierende Defizit wird von der Stadtverwaltung getragen. Linz hat also neue Publikumsschichten für die Kultur geweckt und in Bewegung gesetzt.

Auch Erhaltung und Erneuerung des Altstadtbildes dürfen als besonderes Anliegen der Stadtverwaltung gewertet werden. Nicht nur, daß sie selbst mit gutem Beispiel vorangegangen ist und den von Johann Michael Pruner gestalteten monumentalen Barockbau mit beträchtlichem Kostenaufwand renovieren hat lassen, es werden von der Stadt jährlich auch 10 Millionen Schilling für Erneuerungsmaßnahmen in der Altstadt zur Verfügung gestellt. Mit diesem Geld werden private Sanierungsvorhaben gefördert, und zwar gibt es Beihilfen bis zu einem Kostenanteil von 30 Prozent der gesamten Bausumme. Vor allem auf

diese Initiative der Stadtverwaltung ist es zurückzuführen, daß in den vergangenen zwei Jahren immer mehr Fassaden und Höfe Im Linzer Altstadtbereich saniert und gefär-belt werden konnten, was In freundlicher und vorteilhafter Weise das Altstadtbild auffrischt und der Wiederbesinnung auf die Linzer Altstadt sichtbaren Ausdruck verleiht.

Zu einer solchen Besinnung auf den sehenswerten Altstadtkern haben die Linzer auch jede Veranlassung, zumal eine von der Stadtverwaltung veranlaßte Untersuchung sehr interessante Ergebnisse gebracht hat. Von insgesamt 334 untersuchten Altstadtobjekten konnte festgestellt werden, daß 61 im Kern gotische Häuser sind und 48 Objekte in die Renaissance zurückreichen. Stadtbildprägend sind Biedermeier und Historismus mit 37,5% und Frühbarock, Barock und Rokoko mit 29% aller Fassaden.

Die Altstadtgesinnung der Linzer Stadtväter hat ein weiteres Großvorhaben initiiert, mit dessen Vorbereitung die Experten bereits beauftragt worden sind. Es geht um die Sanierung des alten Rathauses und des gesamten sogenannten Rathausgevierts zwischen Hauptplatz und Pfarrplatz. Diesem Gebäudekomplex kommt eine besondere historische Bedeutung zu, zumal er neben der barocken auch mittelalterliche Bausubstanz enthält und im Zuge der Altstadtsanierung so weit wie möglich freigelegt und mit neuen Bauelementen ergänzt werden soll. Die Verwirklichung dieser Maßnahmen wird allerdings erst möglich sein, nachdem die Stadtverwaltung ihr am Brückenkopf Urfahr geplantes zentrales Verwaltungsgebäude bezogen und das alte Rathaus mit den umliegenden Häusern freigegeben hat.

In Linz wird also nicht wenig unternommen, um in der Bevölkerung die Schaffung eines Kulturbewußtseins zu fördern und dem nüchternen Geschäftsleben und Produktivitätsstreben einen gemütsbezogenen Ausgleich zu bieten. Auch die Gründung der Johannes-Kepler-Universität und der Hochschule für künstlerische und Industrielle Gestaltung sind diesen Bemühungen der Stadtverwaltung zuzuordnen, zumal schon von früheren Generationen das Fehlen höherer geistiger Bildungsstätten immer wieder als Mangel empfunden wurde, dessen Beseitigung erst recht In die jüngste Vergangenheit mit mehrheitlichem Nachdruck verlangt worden ist. So hat sich die Stadtverwaltung zu erheblichen finanziellen Opfern entschlossen, um vor allem die Gründung der Johannes-Kepler-Univer-sität und deren Betrieb zu fördern. Heute gibt es an dieser Universität schon mehr als 5000 Hörer und ihre Absolventen finden immer wieder Anerkennung und Erfolg auch im Ausland.

Linz gilt also in Österreich und darüber hinaus als ein großstädtisches Gemeinwesen mit hoher Lebensqualität, dem es gelungen ist,neben dem Ausbau der Großindustrie und der gewerblichen Wirtschaft auch Einrichtungen zu schaffen, die den kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung entgegenkommen und In einer lebenswerten Umwelt gute Voraussetzungen für die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit bieten. In Linz ist eine glückliche Verbindung von Industrie- und Handelsstadt mit hohem Freizeitwert und kultureller Vielfalt gelungen.

Das Linz unserer Tage versteht man wohl am besten aus seinem Land und Leute bezogenen Herkommen, den wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnissen seiner Menschen, dem städtebaulichen Ehrgeiz und einer biologisch begründeten, robusten Vitalität. Dies zusammen ergibt das heutige Linz und wird es wohl auch in den nächsten Jahrzehnten mit Aktivität erfüllen.

Gerade in Linz erleben wir das interessante Beispiel einer erfolgreichen Leistungsgesellschaft, die ihre Verwurzelung in der angestammten ländlichen Umgebung nicht verloren hat, dennoch aber allem Fortschrittlichem und Modernem gegenüber aufgeschlossen ist. Bei aller Weltoffenheit ist der Linzer bodenständig geblieben, und das ist ein gutes Fundament für die weitere Entfaltung und eine gesicherte Zukunft dieser Stadt.

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