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Die Macht des Geistes

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„Die Macht des Geistes - Eine neue Lösung des Leib-Seele-Problem“ war der anspruchsvolle Titel einer Pleharveranstal-tung in Alpbach mit Sir John Eccles und Sir Karl Popper, die sowohl vom Thema als auch von den beiden prominenten Vortragenden her gesehen ein Ereignis ganz besonderer Art erwarten ließ. Daß die mit Spannung erwartete Begegnung mit zwei der bedeutendsten Wissenschaftlern unserer Zeit eher enttäuschend verlief, lag nicht so sehr an Poppers einleitender Feststellung, der Gegenstand seiner Ausführungen, sei viel bescheidener und er könne daher die mit dem Titel des Vortrages verbundenen Erwartungen nicht erfüllen. Der eigentliche Grund war vielmehr der, daß hier zwei Vorträge geboten wurden, die miteinander nur in einem sehr losen Zusammenhang standen.

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„Die Macht des Geistes - Eine neue Lösung des Leib-Seele-Problem“ war der anspruchsvolle Titel einer Pleharveranstal-tung in Alpbach mit Sir John Eccles und Sir Karl Popper, die sowohl vom Thema als auch von den beiden prominenten Vortragenden her gesehen ein Ereignis ganz besonderer Art erwarten ließ. Daß die mit Spannung erwartete Begegnung mit zwei der bedeutendsten Wissenschaftlern unserer Zeit eher enttäuschend verlief, lag nicht so sehr an Poppers einleitender Feststellung, der Gegenstand seiner Ausführungen, sei viel bescheidener und er könne daher die mit dem Titel des Vortrages verbundenen Erwartungen nicht erfüllen. Der eigentliche Grund war vielmehr der, daß hier zwei Vorträge geboten wurden, die miteinander nur in einem sehr losen Zusammenhang standen.

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Der Geist der interdisziplinären Zusammenarbeit - in Alpbach ganz groß geschrieben - blieb wieder einmal auf der Strecke. Daß das ausgerechnet zwei Männern passieren mußte, die seit 1944 in intensivstem Gedankenaustausch stehen und deren wissenschaftliche Kooperation in dem 1977 erschienenen Werk „The Seif and its Brain“ ihren Niederschlag fand, war freilich nicht vorauszusehen.

Karl Poppers Beitrag zum Thema beschränkte sich auf den Nachweis, daß das menschliche Wissen auf das menschliche Denken und durch dessen Vermittlung auch auf den menschlichen Körper und auf die physische Umwelt Macht auszuüben vermag.

3S

„Macht des Geistes“ ist für Popper daher identisch mit der Macht der objektiven Denkinhalte und hier wiederum im besonderen der wissenschaftlichen Annahmen und Theorien, die Welt der physikalischen Objekte und Kräfte gemäß dieser Theorien zu verändern.

Popper hat nun im Zuge der Entwicklung dieser Theorie eine eigene Terminologie erarbeitet, derzufolge man innerhalb des einen Universums drei Welten unterscheiden muß, die zueinander in einem Verhältnis wechselseitiger Interaktion stehen: „Welt 1“ besteht aus unserer physikalischen Umwelt, „Welt 2“ aus unseren subjektiven, seelischen Erfahrungen und Denkprozessen. Demgegenüber setzt sich die „Welt 3“ aus unseren Theorien und Ideen zusammen oder, allgemeiner gesprochen, aus den Produkten unseres Denkens.

Diese drei Sub-Welten stehen in einem Verhältnis wechselseitiger Interaktion. So hat die physikalische „Welt 1“ einen gewaltigen Einfluß auf die „Welt 2“ unseres mehr oder minder bewußten Geistes. Ein Schlag auf den Kopf beispielsweise, also ein Ereignis innerhalb der Welt 1, kann sehr wohl die Welt 2 unseres bewußten Seelenlebens zerstören. Umgekehrt können unsere Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen, unsere Träume und Pläne, unsere politischen Uberzeugungen u. a. m. einen nicht minder großen Einfluß auf die physikalische Welt 1 ausüben.

Das entscheidende Problem ist, ob und inwieweit die Welten 2 und 3

„wirklich“ sind. Popper sagt: Sie sind es! Obwohl seiner Meinung nach der Leib-Seele-Dualismus der Wahrheit näher ist als der materialistische Monismus, reiche der Dualismus keineswegs aus, um die Existenz und die Macht der Welt 3 zu erkennen.

Bezugnehmend auf das Generalthema „Wissen und Macht“ sagte Popper abschließend, er sei für das Wachstum des Wissens und gleichzeitig für die Beschränkung und Verminderung der Macht, die ein Mensch über den anderen ausübt. Im Grunde sei er mißtrauisch gegenüber jeder Macht, sogar jener, die über die Natur ausgeübt wird, denn jede Macht korrumpiere

und jede Macht könne ebenso sehr zum Guten wie zum Bösen verwendet werden. Eben darum sei es so wichtig, zu erkennen, daß alle unsere Handlungen unbeabsichtigte Folgen haben und der Weg zur Hölle oft mit den besten Vorsätzen gepflastert sei.

Ethik allein, obwohl sehr wichtig, genüge nicht. Vielmehr müßten wir aus unseren Fehlern lernen und unsere Handlungen berichtigen, um ihre bösen, unbeabsichtigten Konsequenzen zu vermeiden. „Macht mag böse sein, Wissen an sich ist neutral. Aber es ist unverzichtbar, um Fehler zu vermeiden. Kritisches, fehlbares Wissen kann uns lehren, die Macht nicht zu mißbrauchen.“

Es sei kein Zufall, daß sich in den letzten Jahrzehnten das uralte Leib-Seele-Problem immer mehr auf das Problem der Zusammenhänge von Gehirn und Denken verlagert hat, sagte der Neurophysiologe und Nobelpreisträger Prof. John C. Eccles. Denn das Gehirn-Denken-Problem, mit dem wir uns konfrontiert sehen, wenn wir versuchen, uns selbst in unserem Verhältnis zur natürlichen Welt zu verstehen, sei das größte und erstaunlichste Problem.

Eccles gab einen faszinierenden Uberblick über die großartigen Fortschritte, die in den letzten beiden Jahrzehnten in der Gehirnforschung erzielt werden konnten und an denen er selbst einen maßgeblichen Anteil hatte.

Nqch um die Jahrhundertwende glaubte man, daß Nervenzellen oder

Neuronen, aus denen sich der cerebrale Neocortex zusammensetzt, in keinerlei größerer Einheit zusammengefaßt sind und jede für sich ihr unabhängiges biologisches Leben lebe. Gemäß dieser „Neuronentheorie“ empfängt jedes Neuron von den anderen Neuronen Informationen, und zwar mittels feiner Verästelungen.

Heute weiß man, daß die eigentlichen funktionalen Einheiten die sogenannten „Module“ sind - zylinderartige Gebilde, von denen jedes aus rund 10.000 bis 30.000 Nervenzellen besteht. Wenn man bedenkt, daß es im menschlichen Neocortex an die zwei Millionen Module gibt, kann man sich eine ungefähre Vorstellung davon machen, wie immens die Möglichkeiten für die Entwicklung raum-zeitlicher Muster sind und dies selbst unter der Annahme, daß jedes Modul in der Rezeption und Projektion von Information als eine eigene Einheit arbeitet.

Eccles gab einen anschaulichen Vergleich, indem er auf die immensen

Möglichkeiten der 88 Klaviertasten verwies, wie sie von großen Komponisten wie Beethoven oder Chopin reali* siert wurden. Man werde verstehen, meinte Eccles, daß die enorme Hervorbringung musikalischer Muster mit nur 88 Klaviertasten auf die praktische unbegrenzte Kapazität von zwei Millionen Modulen in der Hervorbringung räumiich-zeitliicher Muster hindeute; .

Doch was folgt aus alledem, für das i philosophische Leib-Seele-Problem oder, um die Terminologie Karl Poppers zu benutzen, für den Zusammenhang von Welt 1 und Welt 2? Vor allem die begründete Annahme, sagte Eccles, daß sich das menschliche Selbstbewußtsein grundsätzlich und wesentlich vom Bewußtsein höherer Tiere unterscheidet.

Bis jetzt zumindest hat es sich als

unmöglich erwiesen, eine neurophy-siologische Theorie zu entwickeln, die eine Erklärung dafür liefert, wie eine Vielzahl von Hirnvorgängen zur Synthese einer einheitlichen bewußten Erfahrung gelangt. Wörtlich sagte Sir John, der sich im Unterschied zu seinem agnostischen Freund Karl Popper als religiös gläubiger Mensch bekannte:

„In einer einigermaßen geheimnisvollen Weise hat das menschliche Gehirn Eigenschaften entwickelt, die einer gänzlich anderen Ordnung angehören als alle übrigen Dinge in der Natur. Als den Gipfelpunkt dieser Eigenschaften nenne ich in erster Linie die kreative Imagination, die die Welt 3 einschließlich aller Werte hervorgebracht hat, und dann die nicht minder wichtige Tatsache der Selbst-Bewußtheit. Und genau hier ist das Geheimnis am weitesten von der Möglichkeit adäquaten Verstehens entfernt.“

Und er fuhr fort: „Es ist ein Maßstab unseres Unwissens, daß im Neocortex bis jetzt keine spezifischen strukturellen oder physiologischen Eigenschaften entdeckt werden konnten, die es erlauben würden, das menschliche Gehirn vom Gehirn eines Anthropoiden scharf zu unterscheiden. Der gewaltige . Unterschied im .^Verhalten kann kaum ausschließlich auf die dreifache Menge an Modulen zurückgeführt werden. Ich hoffe, daß uns diese Herausforderung zu einer neuen wissenschaftlichen Ära führen wird, in der Struktur und Funktion des menschlichen Neocortex durch die fortgeschrittensten wissenschaftlichen Techniken, erleuchtet durch ein Maximum an kreativer Imagination, untersucht werden.“

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