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Die Macht des Koran

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Was man ursprünglich als innenpolitische und religiöse Streitereien in der islamischen Welt angesehen hatte, entpuppte sich in jüngster Zeit als gefährliche Revolten: Die Forderung nach Rückkehr zu den alten Sitten und Gebräuchen des Islam, erhoben von militanten Koranpredigern, hat in verschiedenen islamischen Ländern die politischen Führungen in arge Bedrängnis gebracht. Erinnert sei an den Iran. H. L. Kaster hat sich für den „Rheinischen Merkur“ mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und auch der FURCHE seine Analyse zur Verfügung gestellt.

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Was man ursprünglich als innenpolitische und religiöse Streitereien in der islamischen Welt angesehen hatte, entpuppte sich in jüngster Zeit als gefährliche Revolten: Die Forderung nach Rückkehr zu den alten Sitten und Gebräuchen des Islam, erhoben von militanten Koranpredigern, hat in verschiedenen islamischen Ländern die politischen Führungen in arge Bedrängnis gebracht. Erinnert sei an den Iran. H. L. Kaster hat sich für den „Rheinischen Merkur“ mit diesem Phänomen auseinandergesetzt und auch der FURCHE seine Analyse zur Verfügung gestellt.

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Die westliche Welt erlebt seit einigen Jahren ein Phänomen, das anfänglich unterschätzt und vielfach auch belächelt wurde, sind wir doch längst daran gewöhnt, Religion und Staat säuberlich voneinander zu trennen. Darüber wird jedoch allzuleicht vergessen, daß in der islamischen Welt die zwei untrennbar miteinander verknüpft sind, ist doch der Islam nicht nur eine Glaubenslehre, sondern auch eine Sammlung von Vorschriften, die das private und öffentliche Leben bis in die letzten Einzelheiten regeln. Es schien eine Weile, der Einbruch westlicher Gedankengänge und westlichen materiellen Fortschritts habe ihn zurückgedrängt.

Entsprechende Annahmen haben sich jedoch inzwischen als falsch herausgestellt. Es ist zu einer neuen Besinnung auf den Islam gekommen, die mittlerweile sich zu einer innenpolitischen Kraft entwickelt hat, mit der gerechnet werden muß. Was daraus noch werden kann, läßt sich schwer voraussagen. Aber die Regierungen der islamischen Staaten tragen dieser religiösen Bewegung, die ständig weiter um sich greift und längst militante Züge angenommen hat, schon Rechnung. Sie stehen dabei vor der schwierigen Frage, wie die materiale Modernisierung und der ohne die westliche Technologie nicht erreichbare Fortschritt mit den Lehren der Religion in Einklang gebracht werden können, die wenigstens zum Teil schwerlich zu heutigen Auffassungen passen.

In der seit Atatürk laizistischen Türkei ist der Kampf um eine Renaissance des Islam schon seit Jahren im Gange. Nach dem Willen ihrer Vorkämpfer soll dem Land wieder der alte islamische Mantel umgehängt werden. In Zeitschriften wird für eine Rückkehr zu dem alten islamischen Gesetz, für die Wallfahrt nach Mekka, für das Mitspracherecht der Geistlichkeit in öffentlichen Angelegenheiten geworben, und eine politische Partei mit religiöser Färbung hat bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen. Die Regierung hat eine Reihe von Zugeständnissen gemacht.

In Ägypten muß ein Sadat mit einer stark gewordenen Muselmanischen Bruderschaft rechnen, deren Mitgliedschaft sich quer durch alle sozialen Ränge erstreckt, die ihre eigenen Zeitungen herausgibt und Abgeordnete in die Nationalversammlung entsendet. Ein Antialkoholgesetz wurde erzwungen. Die Einführung des koranischen Strafgesetzes wurde zwar vorläufig einmal vertagt, steht aber nach wie vor zur Erörterung. Immerhin urteilte vor einiger Zeit ein ägyptisches Gericht, auch einem koptischen Christen stehe das Recht zur Mehrehe zu mit der Begründung, Ägypten sei ein islamischer Staat, in dem das koranische Gesetz allein Gültigkeit habe. Nun, darüber ist es zu lauten Protesten gekommen, so daß dieses Urteil zunächst einmal beiseite gelegt wurde. Immerhin wird noch nicht öffentlich ausgepeitscht und einem Dieb auch noch nicht die Hand abgehackt, wie es unter dem Militärregime in Pakistan heutzutage geschieht.

Für die Islamisierungsbewegung zeichnet weitgehend Saudi-Arabien verantwortlich, es unterstützt sie großzügig mit Geld. In ganz Afrika wachsen neue Minarette aus Beton in die Höhe; Staatsführer wechseln entsprechend die Religion. In Saudi-Arabien und in den Emiraten am Golf wird das koranische Gesetz genau beachtet; wer dagegen verstößt, ob Einheimischer oder Ausländer, wird bestraft. Man paßt sich äußerlich den Erfordernissen des internationalen Lebens an, aber der Islam bleibt oberstes Gesetz, die Modernisierung bleibt auf die materielle Seite begrenzt. Ob das jedoch auf die Dauer möglich ist, ohne die alten Vorstellungen anzunagen, muß allerdings doch bezweifelt werden, denn alle, die im Ausland ausgebildet wurden, beugen sich zwar den Regeln, bringen aber Auffassungen mit, die sich nach und nach doch auswirken.

Trotz allem aber greift die religiöse Erneuerungsbewegung ständig um sich, weil in ihr auch ein guter Schuß Nationalismus zur Geltung kommt. „Haben eure Vorfahren nicht einmal die halbe damalige Welt beherrscht, sind sie nicht bis nach Tours gekommen? Hat das ölgeld uns nicht zu Einfluß auf die Weltwirtschaft verholfen? Kommen nicht die Weltunternehmen zu uns, um Aufträge zu erhalten?“ Die Rufe gehören zu dieser großen islamischen Renaissance ebenso wie die Forderung nach Rückkehr zu den alten Sitten und Gesetzen.

Der jüngste Kampfplatz dieser Bewegung ist der Iran. Die rasche Modernisierung, die zweifellos auch eine verbesserte Lebenshaltung für den weitaus größeren Teil der Bevölkerung mit sich brachte, hat die unzufriedene schiitische Geistlichkeit lange niedergehalten, obwohl es an Spannungen zwischen ihr und dem Schah nie fehlte. Man hat nämlich auf Seiten der Geistlichkeit dem Schah weder die Wegnahme großen Grundbesitzes im Zuge der Bodenreform noch die Beseitigung des Einflusses auf alle öffentlichen Angelegenheiten oder speziell die Gesetze über die Emanzipation der Frau verziehen. Man hatte zusehen müssen, wie der Schah die vorislamische iranische Geschichte zum Mittelpunkt einer neuen nationalen Ideologie machte, die zur geistigen Grundlage des modernen Staates werden sollte und den islamischen Kalender durch einen iranischen ersetzte.

Die Geistlichkeit erhielt unverhofft Aufwind, als sich herauszustellen anfing, daß der Iran unter einem „unverdauten“, zu stark beschleunigten Wachstum litt, das zwar zu einer Aufbesserung der Lebenshaltung, aber auch einer schlechten Verteilung der Einkommen und mit ihr zu sozialen Spannungen geführt hatte. Jedenfalls begannen die Menschen unter dem enormen Preisauftrieb zu leiden, die Unzufriedenheit über die Zurschaustellung des Reichtums griff um sich.

Besondere , Umstände, von dem Schah wahrscheinlich unterschätzt, kamen hinzu. Noch immer sind vielleicht drei Viertel der Iraner gläubige Schiiten. Die Moschee ist trotz aller Modernisierung Mittelpunkt geblieben. Überdies ist der schiitische Islam stets militanter geblieben, und der Hang zu Gewalttätigkeit hat seit jeher iranischen Regierungen zu schaffen gemacht. Eine unterschwellige Fremdenfeindlichkeit, belebt durch die vielen im Land heute tätigen Ausländer, verschafft der religiösen Propaganda Auftrieb. Von da bis zu der Entschlossenheit, notfalls mit Gewalt gegen das feindselige Neue vorzugehen, war es kein großer Schritt.

Der Schah spricht heute von einer unheiligen Allianz der Mollahs und der Linken, obwohl die Geistlichkeit wahrscheinlich stark genug ist, um auf deren Unterstützung verzichten zu können. Böse Zungen behaupten, sogar Moskau leiste Hilfe auf dem Weg über europäische Bankkonten. All die Unruhe reicht nicht aus, um den Schah aus dem Sattel zu heben, dem die Armee nach wie vor den Thron sichert. Aber zu Zugeständnissen hat er sich doch schon bereit finden müssen, wobei man jedoch nicht weiß, ob es dabei bleibt, denn jetzt ist auch der „Appetit“ der Geistlichkeit gewachsen.

Die Auseinandersetzung ist noch nicht ausgestanden. Die Kinos,- Bars, Nachtlokale, eleganten Restaurants und manches andere bleiben in den Augen der religiösen Eiferer Schaustücke westlicher Dekadenz, Symbole westlicher Zivilisation, die den Islam von seinem alten Platz verdrängen will. Noch ist die Geistlichkeit nicht bereit, der Auseinandersetzung ein Ende zu machen und sich mit dem Schah auszusöhnen. Von seinem Exil in Irak hat der Ayathollah Khomeini die Gläubigen aufgerufen, den Kampf fortzusetzen. In. Qum, der heiligen Stadt, lassen die Ayatollahs, die „Auserwählten Gottes“, zunächst einmal alles in der Schwebe.

Wahrscheinlich wird der Schah mit ihnen verhandeln müssen. Sie sind einfach zu stark.

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