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Die Macht läßt nicht los
Der Entschluß des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Vaclav Havel, noch einmal bei der Wahl für dieses höchste Staatsamt zu kandidieren, steht im Widerspruch zu seiner vor der Amtsübernahme erklärten Bereitschaft, nur vorhergehend zur Verfügung stehen zu wollen, um sich dann wieder seinem eigentlichen Beruf als Dichter und Schriftsteller widmen zu können.
Dieser Widerspruch läßt sich so aufklären, daß Havel tatsächlich nach wie vor unersetzlich ist und daher neuerlich die Bürde dieses Amtes auf sich nimmt. Es kann aber auch sein, daß er einfach Blut geleckt und gemerkt hat, „wie die Mächt schmeckt", um den Titel eines Erfolgsbuches seines Landmannes und Kollegen Ladislav Mnaöko aus den Tagen des Prager Frühlings zu zitieren. Es ist möglich, daß Havel gegen seine ursprüngliche Neigung Geschmack an der r-Macht gewonnen hat und sie weiter auskosten will, dabei den schalen und bitteren Bei- und Nachgescmack der Macht in Kauf nehmend.
Zwischen diesen beiden möglichen Deutungen aber braucht kein unüberbrückbarer Abgrund zu klaffen: es kann durchaus sein, daß sich Havel einredet oder gerne einreden läßt, unentbehrlich und unersetzlich zu sein. Und es gibt tatsächlich historische Situationen, in denen eine Person eine einzigartige, nur auf sie zutreffende
Eignung für eine Position besitzt. Ob eine solche weiterhin vorliegt oder das Argument nur zur Rationalisierung eines erwachten Interesses an der Macht dient, ist im konkreten Fall schwer zu entscheiden.
Jedenfalls gibt es wenig historische Beispiele des freiwilligen Verzichtes auf die Macht, selbst wenn sie, wie im Fall Havel, ausnahmsweise nicht erkämpft wurde, sondern dem Betreffenden in den Schoß gefallen ist.
Nur wenige vermögen sich zu der Haltung und dem Diktum des Königs von Sachsen - „Macht Euch Euren Dreck alleene" -durchzuringen und ihren Abschied zu nehmen. Wäre die Macht, wie die Politiker vorgeben, in erster Linie Pflicht und Verantwortung, wäre gar manch einer froh, ihrer bei gutem Wind ledig zu werden. In Wahrheit aber ist die Macht, wenigstens scheinbar und vorläufig, süß und stellt eine Sucht dar, von der man schwerer loskommt als von Drogen und sonstigen materiellen Abhängigkeiten.
Die Macht läßt, wenn man sie einmal kennengelernt und ihre Annehmlichkeiten genossen hat, nur sehr schwer los. Und es bedarf einer schier übermenschlichen Anstrengung, sich von ihr loszureißen. Das ist die Wahrheit, die von den Politikern selbst in einer Art Machtprüderie verschwiegen und bemäntelt wird, die sich aber gerade dadurch als mächtig erweist.
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