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Die mageren Jahre

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Von jährlichen realen Einkommenszuwächsen um die drei Prozent war einmal die Rede. Die Rechnung geht längst nicht mehr auf. Wir werden uns bescheiden müssen.

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Von jährlichen realen Einkommenszuwächsen um die drei Prozent war einmal die Rede. Die Rechnung geht längst nicht mehr auf. Wir werden uns bescheiden müssen.

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Die letzten Jahre, vor allem ab 1980, haben Arbeitnehmern und Pensionisten wiederholt Realeinkommensverluste beschert.

Die Brutto-Löhne der unselbständig Erwerbstätigen sind 1984 um rund 4,7 Prozent gewachsen. Die Pensionsanpassung betrug vier Prozent. Die Inflationsrate aber lag 1984 bei 5,8 Prozent.

Die Entwicklung der Netto-Einkommen ist noch schlechter, als es. die Brutto-Zahlen andeuten. So sind im Zeitraum von 1976 bis 1983 die Brutto-Massenein-kommen um 67 Prozent nominell gestiegen, die Steuer- und Abgabenbelastung aber hat nominell um 106,8 Prozent zugenommen.

Die Einkommen werden in einer Zangenbewegung beschnitten: Bei den Lohnrunden wird die Notwendigkeit betont, die internationale Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Produkte nicht durch überhöhte Forderungen zu gefährden. Die Lohnabschlüsse liegen also etwa in der Höhe der Inflationsrate.

An dieser Lohnpolitik wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Die Prognosen aller Wirtschaftsforscher für den Zeitraum 1984 bis 1988 gehen davon aus, daß das vorausgesagte jährliche durchschnittliche Wirtschaftswachstum von zwei Prozent in erster Linie durch zusätzliche Exporte zustande kommt.

Wir müssen also möglichst kostengünstig exportieren können. Denn die derzeitige Wirtschaftsund Finanzpolitik in Österreich läßt einen Wirtschaftsaufschwung aus eigener Kraft nicht zu. Weder die Investitionen und schon gar nicht der private oder öffentliche Konsum werden stark genug sein, entscheidende Impulse für einen hausgemachten wirtschaftlichen Aufwind zu setzen.

Laut Prognose werden die Realeinkommen in den nächsten vier Jahren bestenfalls um 0,6 Prozent jährlich zunehmen — eine Rate, die nicht ausreicht, um die private Konsumkraft entscheidend zu stärken.

Und die Einkommen werden auch von der Regierung beschnitten:

• Die Lohnsteuer wird bis 1988 um 30 Prozent zunehmen, falls keine Lohnsteueranpassung erfolgt, da die „kalte Progression” einen immer größeren Teil der Brutto-Lohnerhöhung wegsteuert (fünf Prozent Lohnerhöhung bedeuten derzeit für einen Durchschnittsverdiener zehn Prozent Lohnsteuerer höhung);

# dieSozialversicherungsbeiträ-ge werden für Unselbständige um 0,5 Prozent, für Selbständige um ein Prozent erhöht;

# Nichtabgeltung der Teuerungsverluste bei Kinderbeihilfen und anderen Transferzahlungen;

• keine Valorisierung der Steuer absetzmöglichkeiten (Sonderausgaben usw.);

# Erhöhung öffentlicher Gebühren und Tarife;

# der Pensionsanpassungsfaktor wird entsprechend den Arbeitslosenzahlen zumindest 0,5 Prozent unter den Lohnzuwächsen liegen; allein daraus wird es 1985 für die Pensionisten einen Einkommensverlust von 1,2 Prozent geben (Pensionsanpassung 3,3 Prozent, Inflationsprognose 4,5 Prozent);

• die einkommensschwächeren Gruppen und die Pensionisten werden zusätzlich durch die erhöhte Mehrwert- und Energiesteuer überproportional belastet; so liegt der Pensionsindex gegenwärtig ein Prozent über dem Verbraucherpreisindex;

• die durch die neuen Wohnbaugesetze ermöglichten erhöhten RückZahlungsforderungen bei Wohnbaudarlehen werden ab 1985 wirksam.

Der entscheidende Ansatz zur Verbesserung der Einkommenssituation muß also bei Steuern und Abgaben gesetzt werden. Durch eine sofortige Lohnsteueranpassung muß verhindert werden, daß bis 1988 zusätzlich 30 Milliarden Schilling an Lohnsteuer abgeschöpft werden.

Damit würde auch der Empfehlung des sozialpartnerschaftlichen Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen entsprochen, der feststellte, daß angesichts der ein-nahmenseitig bereits gesetzten Maßnahmen (sprich Steuererhöhungen) die Budgetsanierung zukünftig in erster Linie ausgaben-seitig (sprich durch Budgeteinsparungen) erfolgen müsse.

Auch hat eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) gezeigt, daß eine Lohnsteuersenkung beachtliche Wachstumsimpulse auslösen könnte, die die Kosten für das Budget weitgehend kompensieren.

1983 mußten 6,7 Prozent der Angestellten, 36,3 Prozent der Arbeiter und 20,1 Prozent der öffentlich Bediensteten in Alleinverdienerhaushalten mit zwei Kindern mit einem unter der Armutsgrenze von 4.010 Schilling liegenden ProKopf-Einkommen auskommen.

Ein internationaler Vergleich der OECD zeigt, daß unter Einbeziehung aller Transferzahlungen ein durchschnittlich verdienender Familienvater (Alleinverdiener, zwei Kinder) 1982 von seinem Bruttogehalt 92 Prozent netto zur Verfügung hatte, 1974 waren es noch 95 Prozent. Die Umstellung auf Direktzahlungen hat also die Steuererhöhungen nicht kompensiert.

Das bedeutet, daß über 50.000 Alleinverdienerfamilien mit zwei oder mehr Kindern mit einem Pro-Kopf-Einkommen unter der Armutsgrenze auskommen müssen.

Daß trotz Verdreifachung des Umverteilungsvolumens seit 1973 die Zahl der Armen in Österreich auf rund 800.000 angestiegen ist, weist auf die Fehlorientierung der „Sozialpolitik mit der Gießkanne” hin. Umverteilungspolitik muß also zukünftig den einkommensschwächsten Gruppen zugute kommen und an der subjektiven Bedürftigkeit sowie an Einkommens- und Vermögensgrenzen orientiert werden.

In der Lohnpolitik wäre es deshalb vor allem notwendig, die Mindestgehälter und -löhne überproportional anzuheben. Auch eine Analyse der effektiven Stundenlöhne zeigt enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Und die Uberzahlungen zum kollektivvertraglichen Bezug sind äußerst unterschiedlich. Daß sie gerade in manchen krisengeschüttelten verstaatlichten Betrieben weit über denen in der Privatindustrie liegen, ist ein zusätzlicher Ansatzpunkt der Kritik.

Eine verantwortliche Lohn-und Einkommenspolitik muß daher auch die Frage nach der Lohngerechtigkeit mit einschließen.

Die Lohnpolitik wird aber für die Einkommensentwicklung nicht die entscheidende Rolle spielen. Der Schlüssel zu einer wirtschaftsbelebenden Erhöhung vor allem der kleineren und mittleren Einkommen liegt für die nächsten Jahre beim Finanzminister.

Der Autor ist wirtschaftspolitischer Referent der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im Osterreichischen Gewerkschaftsbund.

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