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Die mageren Jahre kommen

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Im Oktober 1974 prognostizierte das Wirtschaftsforschungsinstitut für das laufende Jahr ein reales Wachstum des Sozialprodukts von immerhin 4,5 Prozent. Diese Prognose wurde in den letzten acht Monaten nun schon das dritte und bestimmt nicht das letzte Mal nach unten korrigiert. Auf Grund der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Osterreich und in unseren Nachbarstaaten ist für das laufende Jahr mit einem realen Wirtschaftswachstum von eher unter als über einem Prozent zu rechnen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut wird das spätestens nach dem 5. Oktober 1975 in das Bewußtsein der Öffentlichkeit rufen.

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Im Oktober 1974 prognostizierte das Wirtschaftsforschungsinstitut für das laufende Jahr ein reales Wachstum des Sozialprodukts von immerhin 4,5 Prozent. Diese Prognose wurde in den letzten acht Monaten nun schon das dritte und bestimmt nicht das letzte Mal nach unten korrigiert. Auf Grund der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Osterreich und in unseren Nachbarstaaten ist für das laufende Jahr mit einem realen Wirtschaftswachstum von eher unter als über einem Prozent zu rechnen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut wird das spätestens nach dem 5. Oktober 1975 in das Bewußtsein der Öffentlichkeit rufen.

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Auf die individuellen Lebensverhältnisse in Österreich übertragen heißt das, daß wir mit weniger auskommen müssen, besonders dann, wenn diese Rezessionsperiode länger anhält und sich die Bedürfnisse der Gesellschaft nicht mehr auf Pump befriedigen lassen. Die Situation des Staatshaushaltes und die Höhe der österreichsen Staatsschulden signalisieren das schon längst: 1975 dürfte das Budgetdefizit mehr als 30 Milliarden Schilling betragen (der Haushaltsplan sah ursprünglich 16,5 Milliarden Schilling vor) und für das kommende Jahr kündigte Finanzmi-hister Dr. Androsch ein Budgetdefizit in Höhe von mindestens 22 Milliarden Schilling an (entwickeln sich die Dinge so wie 1975, dann wäre realistisch mit einem Budgetdefizit in Höhe von rund 40 Milliarden Schilling zu rechnen); nicht minder bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß die Staatsschulden Ende 1975 die Höhe von 135 Milliarden Schilling erreichen werden, das ist

fast das Dreifache des Staatsschuldenstandes zu dem Zeitpunkt, da die SPÖ die Regierungsgeschäfte übernahm.

Es ist nur zu befürchten, daß schon in den nächsten Monaten immer mehr Österreicher persönliche Erfahrungen mit der Wirtschaftsrezession machen werden müssen. Denn alle Aufschwung-Parolen erwiesen sich bisher als Fata Morgana und die derzeitige wirtschaftliche Situation darf längst nicht mehr allein aus konjunkturpolitischer Sicht beurteilt werden. Die wirtschaftliche Misere hier und anderswo hat erhebliche strukturelle Ursachen: der Rohstoff-, der Bau- und der Textilmarkt sind nicht im Gleichgewicht, die Chemie und Autoindustrie kämpfen gegen weit mehr als einen wiederkehrenden Konjunkturrückschlag; die Entwicklung der internationalen Handelsbeziehungen signalisiert weit mehr als einen vorübergehenden Rückschlag. In der Konsequenz heißt das: die wirtschaftliche Belebung wird aller Voraussicht nach langsam

und nur in bescheidenem Maße kommen.

Es wird weniger zu verteilen geben und wenn es in solchen Situationen nicht zu einem dem Gemeinwohl verpflichteten Konsens der wirtschaftlichen und politischen Gruppierungen kommt, dann sind Verteilungskämpfe jedenfalls nicht auszuschließen. Verteilungskämpfe, die die Gesellschaft insgesamt sehr teuer kommen und unser ohnedies sehr labiles politisches System in zusätzliche Gefahr bringen.

Für das kommende Jahr sind Budgetausgaben von rund 212 Milliarden Schilling vorgesehen; dieser Betrag muß als unterste Grenze verstanden werden und nicht nur die Opposition, sondern auch der Kreditapparat hält das Ausgabenwachstum auf Pump für nahezu unfinanzierbar, es sei denn über die Inflation.

Für die Schuldenfinanzierung steht der Bundesregierung derzeit ein sehr ergiebiger Kapitalmarkt zur Verfügung. Er ist freilich deshalb so ergiebig geworden, weil die kopfscheu gewordene Privatwirtschaft ihn nicht nutzt. Je länger sie ihn aber ungenutzt läßt, desto ferner ist die Belebung. Dazu kommt ein zweites: es fällt heute auch der Regierungspartei schwer, die staatliche Schuldenpolitik als Versuch, die Konjunktur anzukurbeln, zu deklarieren (beispielsweise ist das Volumen der staatlichen Bauaufträge deutlich gesunken). Das Fatale daran ist, daß lediglich mit einem Teil der aufgenommenen Gelder zusätzliche öffentliche Investiti-

onen finanziert werden, der andere Teil aber in den Konsum-Haushalt des Staates fließt — etwa für die Finanzierung des Staatspersonals, wofür 1976 bereits 40 Prozent notwendig sein werden — Quittung einer Fehlentwicklung, die in der Zeit der vollen Staatskassen eingeleitet wurde.

Die fetten Jahre zwischen 1970 und 1973 haben gezeigt, wie Staatseinnahmen sich in nichts auflösen kön-

nen. Nun aber schrumpfen die Einnahmen bei noch immer steigenden Ausgaben. Der konjunkturpolitische Spielraum des Bundeshaushalts hat sich auf ein Nichts verengt; der Finanzminister ist schon froh, wenn es ihm gelingt, die Haushaltslöcher kurzfristig zu stopfen. Er flüchtet in eine schlechte Zahlungsmoral, was wiederum die Unternehmer zwingt, ihre beabsichtigten Investitionen auszusetzen.

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