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DIE MALERIN ALS VORBILD

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Eine bemerkenswerte Initiative des Sozialministeriums ist „Radita", ein Berufsorientierungskurs für ausländische Mädchen, der in Wien seinen Sitz hat.

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Eine bemerkenswerte Initiative des Sozialministeriums ist „Radita", ein Berufsorientierungskurs für ausländische Mädchen, der in Wien seinen Sitz hat.

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Fröhliche, fremdländisch aussehende junge Mädchen in Arbeitskluft tapezieren unter Anleitung einer energischen Österreicherin den Fußboden eines Klassenzimmers. In einer ehemaligen Volksschule an der äußeren Triesterstraße im südlichen Industriegebiet Wiens. Dort ist „Radita" untergebracht.

Nach dem Abschluß der Hauptschule können dort fünfzehn- bis neunzehnjährige ausländische Mädchen in einem einjährigen Kurs Klarheit über ihre Berufsfähigkeiten und -wünsche finden und eine Lehrstelle - auch abseits der gängigen Mädchenberufe -suchen.

Die junge „Radita"-Mitarbeiterin Tülay Kurcan, selbst gebürtige Türkin und in Wien aufgewachsen, soll den Mädchen helfen, eine für sie sinnvolle Berufsentscheidung zu treffen, mit der sie auch Chancen auf einen Arbeitsplatz und eine entsprechende Bezahlung haben. „Radita" wurde im Jahr 1990 von der Arbeitsmarktverwaltung eingerichtet. Der Kurs dauert täglich von neun bis fünfzehn Uhr, die Mädchen sind dabei krankenversichert und bekommen ein Taschengeld von zweitausend Schilling monatlich. Sie werden vom Arbeitsamt oder durch Mundpropaganda vermittelt. Da pro Lehrgang nur achtzehn Mädchen aufgenommen werden, existiert eine Warteliste. Es kommt auch vor, daß Mädchen schon früher aussteigen, wenn sie die für sie passende Lehrstelle gefunden - oder wenn sie nicht genügend Ausdauer haben.

Im praktischen Teil des Kurses werden Fachbereiche wie Tischlerei, Tapeziererei, Malerei, Elektrotechnik oder Goldschmiedekunst, und zwar nur von Frauen, unterrichtet. Arbeiten im eigenen Haus dienen dazu, in den Mädchen den Mut zum Hand werklichen zu wecken. Außerdem können dabei die Fertigkeiten und die Ausdauer der Mädchen von den Mitarbeiterinnen besser eingeschätzt werden.

Die Frauen aus der Praxis erzählen von ihren eigenen Erfahrungen mit diesen Berufen, von ihrer Ausbildung, der Bezahlung. Das weibliche Vorbild bei der konkreten Tätigkeit ist für die ausländischen Mädchen, in erster Linie Türkinnen und Jugoslawinnen, besonders wichtig.„Erst wenn sie eine Frau bei Malerarbeiten auf der Leiter gesehen haben, wird dies auch für sie selbst vorstellbar."

Es gibt auch Exkursionen zu Firmen, und es besteht die Möglichkeit, ein Praktikum bei Firmen zu absolvieren. Wenn das Mädchen Glück hat, wird es dann als Lehrling aufgenommen.

Derzeit wird ein solcher Berufsorientierungskurs für ausländische Mädchen nur in Wien geführt.

Im Kurs werden auch Deutsch, Mathematik und die jeweilige Muttersprache gelehrt. Für die Deutschkenntnisse spielen die Familie und die engeren Kontakte mit Österreichern eine ausschlaggebende Rolle.

Dem Unterricht in der Muttersprache Türkisch oder Serbokroatisch kommt besondere Bedeutung zu, weil die meisten Mädchen diese zwar im Reden, aber kaum mehr im Schreiben beherrschen. Auch das hängt vom familiaren Umfeld ab. Dieses spielt auch für Probleme, die aus dem Zusammenprall der verschiedenen Kulturen resultieren, eine wichtige Rolle (zum Beispiel das Tragen des Kopftuches und so weiter). Tülay Kurcan selbst unterrichtet Türkisch und Deutsch.

Gibt es fallweise Schwierigkeiten mit den Eltern? „Es gibt immer wieder Fälle, wo Mädchen nicht mehr herkommen dürfen, weil die Eltern den Eindruck haben, daß die Mädchen hier nichts lernen, im Sinne von schulischem Lernen. Natürlich meinen manche Eltern auch, das Mädchen brauche keinen Beruf, es solle im elterlichen Haushalt mithelfen und werde bald heiraten und eine eigene Familie haben".

In Wirklichkeit geht mit dieser Berufsorientierung also ein umfassender Bewußtseinsbildungs- und Emanzipationsprozeß einher.

„Manchmal meinen Eltern, das Mädchen müßte sofort nach Kursbeginn eine Lehrstelle finden, obwohl es vorher bereits eine Jahr lang auf Stellensuche war, die werden ungeduldig. Aber viele Eltern unterstützen auch die Suche ihrer Töchter nach einer qualifizierten Ausbildung. Die setzen dann oft selbst die Töchter unter Druck."

Auch spiele die Fähigkeit der Mädchen, sich mit den Eltern selbständig auseinanderzusetzen, eine wichtige Rolle. Oft können „Radita"-Mitarbei-terinnen da unterstützend eingreifen, etwa durch die Information der Eltern über den Kursverlauf.

Besonders Müttern falle es manchmal schwer, für ihre Töchter einen Weg zu akzeptieren, der sich von ihrem eigenen sehr unterscheidet.

Ist es schwierg, für diese Mädchen Lehrstellen zu finden? „Ein Teil der Schwierigkeiten liegt in den mangelnden Deutschkenntnissen, trotz Schulabschluß, ein anderer besteht in den Vorurteilen, die gegen Mädchen - auch inländischen - in bestimmten Berufssparten einfach existieren." Hin und wieder werde freilich der Hinweis auf die dünklere Hautfarbe der Ausländerinnen (Verkäuferin!) oder deren mangelnder Fleiß vorgeschoben.

Selbstverständlich wird den Mädchen im Kurs auch ihr Wert als Frau bewußt gemacht, in einer sonst von Männern dominierten Kultur soll ihr Selbstbewußtsein als Frau gefestigt werden.

Ein mühsamer, zeitaufwendiger Prozeß? „Für uns Mitarbeiterinnen ist es sehr motivierend zu sehen, wie sich schüchterne junge Mädchen zu selbstbewußten jungen Frauen mit klaren Berufszielen entwickeln. Ein Erfolgserlebnis haben wir, wenn ein Mädchen, eine junge Frau von hier weg eine gute Lehrstelle findet und beide Seiten zufrieden sind", sagt Tülay Kurcan.

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