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Digital In Arbeit

Die „Maschinenstürmer“ sitzen hinter den Schreibtischen

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Sensationsheischende Linksgazetten, unzureichend informierte Arbeitnehmervertreter und düstere Arbeitsmarktpropheten sehen die Katastrophe unaufhaltsam herankommen. Unter dem Vordringender Mikroelektronik wird ihrer Ansicht nach schon in wenigen Jahren die Vollbeschäftigung weltweit zusammenbrechen.

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Sensationsheischende Linksgazetten, unzureichend informierte Arbeitnehmervertreter und düstere Arbeitsmarktpropheten sehen die Katastrophe unaufhaltsam herankommen. Unter dem Vordringender Mikroelektronik wird ihrer Ansicht nach schon in wenigen Jahren die Vollbeschäftigung weltweit zusammenbrechen.

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Nicht die Arbeitnehmer sind es, die diesmal Sturm laufen gegen drohende Beschäftigungslosigkeit. Die Kassandrarufe kommen vornehmlich von Arbeitsmarktpolitikern und professionellen Verbreitern von Hiobsbotschaften aus nicht immer seriösen Motiven. Ihr Feindbild heißt: Mikroprozessor. Das kleine Bauelement der Mikroelektronik wird von ihnen zum Arbeitsplatzkiller hochstilisiert, ohne daß sie sich über seine sicherlich auch segensreichen Auswirkungen Gedanken machen. Der Mikroprozessor ist das Opfer einer Kampagne geworden, die von einer zum Teil politisch geschürten oder zumindest genützten Modewelle der Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit getragen wird.

Die Ursache für die Kampagne gegen den Mikroprozessor - auch Chip genannt - versuchten die beiden Schweizer Fachleute Marti und Mey zu erklären. Sie meinten, der Mikroprozessor habe im Gegensatz zum Transistor das Pech gehabt, das Licht der Welt inmitten einer weltweiten Stagnation zu erblicken. Dies, so meinten die Experten, habe unweigerlich zu einer Polarisierung der Ansichten über Sinn und Zweck der neuen - jetzt ungefähr zehn Jahre alten - Erfindung geführt.

Die Argumente für und gegen die Mikroelektronik lauten etwa so:

Pro:

• Jeder Mikroprozessor schafft einen neuen Arbeitsplatz - er muß ja auch entwickelt, produziert und bedient werden.

• Bis 198 werden, bedingt durch das Vordringen der Mikroelektronik, in Europa und in den USA eine Million neue Arbeitsplätze benötigt.

• In Unternehmen, die mit Mikrocomputern arbeiten, hat sich die Zahl der Arbeitsplätze erhöht.

Kontra:

• Fünf Millionen arbeitslose Stenotypistinnen und Sekretärinnen wird es bis 1990 allein in Westeuropa geben.

• Um 30 Prozent werden die Arbeitsplätze für Angestellte im Bank- und Versicherungswesen schrumpfen.

• Ebenso werden sich die Arbeitskräfte in traditionellen Handwerksberufen wie Werkzeugmacher und Mechaniker reduzieren. Im Gegensatz dazu geht eine Schweizer Studie allerdings davon aus, daß bei einem etwa ßprozenti- gen Wirtschaftswachstum die durch die Mikroelektronik wegrationalisierten Arbeitsplätze durch mehr Beschäftigte am EDV-Sektor insgesamt ausgeglichen werden.

Pauschalurteil problematisch

Ehe man die Mikroprozessoren in Bausch und Bogen verurteilt, sollte man die technische Entwicklung für sich sprechen lassen, um zu einem ausgewogenen, jedenfalls aber objektiveren Urteil zu finden. Vieles wäre heute höchstwahrscheinlich nicht möglich, gäbe es nicht die Chips. Das reicht von der Flugsicherung über die Raumfahrt und die Satellitenübertragung bis zur Krebsfrüherkennung. Am einfachsten zeigt sich die Entwicklung am Beispiel der Rechenmaschine.

218 Ingenieure bedienten 1946 einen elektronischen Großrechner in den USA. Er bestand aus 18.000 Radioröhren, war in einem Gebäude untergebracht und benötigte zu seiner Energieversorgung ein eigenes kleines Kraftwerk. Die Betriebsmannschaft schätzte sich glücklich, wenn sie den Betrieb der Rechenmaschine täglich eine Stunde aufrechterhalten konnte. Die restliche Zeit wurde für Servicearbeiten benötigt. Das Gerät kostete zu dieser Zeit übrigens 2 Mio. US-Dollar. Seine Leistung entsprach der eines heutigen Taschenrechners. Mit anderen Worten, um etwa 5000 S einschließlich dem Preis einer kleinen Batterie bekommt man heute dieselbe Rechenleistung. Ein solches Taschengerät ist überdies von Jedermann einfach zu bedienen. Bleibt die Frage, wie war diese Entwicklung möglich?

Zwischenstation Transistor

Selbst die etwas jüngere Generation wird sich noch gut erinnern können, wie der Transistor in den fünfziger Jahren die Radioröhre abgelöst hat. Die kleinen, handlichen und preiswerten Portable-Radlos übten eine derartige Faszination auf die Käufer aus, daß sie zu einer regelrechten Freizeitplage in den Erholungsgebieten wurden. Die Funktion der etwa fingergroßen Radioröhre hatte jetzt der streichholzkopfgroße Transistor übernommen.

Dieser Superfortschritt in der Halbleitertechnik kostet heute einen Mikroelektroniker bestenfalls ein Lächeln. Mittlerweile hat es die Mikroelektronik geschafft, auf einem Siliziumkristall mit einer Seitenlänge von einem halben Zentimeter 200.000 Transistoren unterzubringen.

Damit war einer weiteren Miniaturisierung in der Computertechnik Tür und Tor geöffnet. Denn neben dem Daten- und dem Programmspeicher ist der Prozessor der dritte wichtige Grundbaustein eines jeden Computers.

Gesucht werden Anwendungsmöglichkeiten

Kleinere Computer, größere Leistungsfähigkeit und ständig sinkende Preise haben eine neue Ära in der Anwendung der elektronischen Datenverarbeitung eingeleitet. Gerade was die Anwendung anbelangt, beginnt man jetzt allmählich, die Möglichkeiten des Mikroprozessors auszunützen. Experten haben festgestellt, daß es etwa 20.000 verschiedene Anwendungsmöglichkeiten gibt, wovon erst 2000 genützt sind.

Ohne Mikroprozessor wäre jedenfalls das Leben eine mühsame Sache. Schon der Griff zum Telefon bedeutet genaugenommen die Inbetriebnahme des größten Computers der Welt. Mikroprozessoren in den Vermittlungsämtern ermöglichen das Auffinden freier Leitungen im Millisekundenbereich. Diese Tätigkeit könnte nicht einmal ein Heer von Telefonvermittlern - die am Arbeitsmarkt gar nicht aufzutreiben wären - übernehmen. Hier war bis jetzt keine arbeitsplatzvernichtende Wirkung zu registrieren. Vielmehr hat der Mikroprozessor Funktionen übernommen, die überhaupt erst durch ihn möglich wurden.

Gegner der Chips argumentieren, in einem traditionellen Fernschreiber stecken durchschnittlich 75,3 Arbeitsstunden. Ein von Mikroprozessoren gesteuertes Nachfolgemodell hingegen benötigt bloß 17,7 Arbeitsstunden bis zur Fertigstellung. Selbst wenn diese Statistik richtig ist, muß man sich vor Augen halten, welche Bedeutung der Bürokommunikation In Hinkunft zukommt. Der Bedarf an Telex-Geräten wird bis 1985 von 1,3 auf 1,8 Mio. Einheiten anwachsen. Die nächste Entwicklungsstufe ist Teletex, eine Art erweiterter Telex-Dienst, welcher der Form und dem Inhalt nach der traditionell anspruchsvollen Bürokommunikation entspricht. 1982 wird die österreichische Post für die Aufnahme des Teletex-Dienstes gerüstet sein. Auch hier sind die Prognosen bezüglich Arbeitsplatzeinbußen mit Vorsicht zu genießen.

Wer bedient die Mikrocomputer?

Brisanter ist das Problem mit den Industrierobotern im produzierenden Sektor. Doch darf dabei nicht übersehen werden, daß gerade der Industrieroboter Facharbeitern die Chance zu höherer Qualifikation bietet. So gelang es einem Großunternehmen in Wien, seine Elektromechaniker zu Mikrocomputertechnikern umzuschulen. Mittlerweile bedienen sich auch schon andere Unternehmen dieses Bildungspro- grampns und schicken ihre Mitarbeiter zur Umschulung. Denn hier liegt die große Chance für kleine und mittlere Unternehmen. Die Mikro- elektronikführtallefrüherenProgno- sen ad absurdum, die vorausgesagt haben, daß die kleinen und mittleren Betriebe von den großen Konzernen „aufgefressen" werden.

Das „small is beautiful" in der Betriebsstruktur wird allerdings erst dann Gültigkeit erlangen, wenn die Unternehmen genügend qualifiziertes Personal bekommen. Die Zukunft gehört den Anwendern der Mikroelektronik, denen allerdings noch ein mühsamer Suchprozeß bevorsteht, denkt man an die rund 18.000 unausgenützten Anwendungsmöglichkeiten. Nicht zu vergessen die Tätigkeit der Programmhersteller. Was hilft einem Unternehmen der beste Computer, wenn es ihm an Personal mangelt, das die nötigen Programme für den optimalen Einsatz des Gerätes entwickelt?

Im Ausland sind deshalb sogenannte Software-Häuser entstanden. Sie beschäftigen einen Stab von Programmierern, die im Auftrag verschiedener Unternehmen die gewünschten Programme erstellen.

Schon spricht man neben Hardware und Software auch von Comeware, womit bestimmte Serviceleistungen im EDV-Bereich gemeint sind. Die neue Technik ist jedenfalls erfinderisch, was Aufgabengebiete und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze anbelangt - ganz im Widerspruch zur „Jobkiller-Theorie". Ein Schweizer Fachmann hat die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt unter dem Einfluß der Mikroelektronik sehr vorsichtig beurteilt. Er meinte, die euphorische Überschätzung der gebotenen Chancen wäre ebenso unangebracht wie eine apokalyptisch-pessimistische Überzeichnung der möglichen Gefahren.

Für prognosehungrige Arbeitsmarktexperten sind solche Urteile leider nichtssagend. Sie wollen ja exakt wissen, was ihnen tatsächlich ins Haus steht. Mit genauen Zahlen werden sie sich aber wahrscheinlich noch etwas gedulden müssen. Verschiedene Untersuchungen kommen allerdings übereinstimmend zu demselben Ergebnis wie eine Umfrage der Vereinigung österreichischer Industrieller, die sie zum

Thema Mikroelektronik in ihren Mitgliederbetrieben durchgeführt hat. Sie ergab, daß der Start für den Einsatz der Mikroelektronik bereits vollzogen ist und eine evolutionäre Weiterentwicklung erwartet wird. Der Engpaß, der den Fluß der technischen Entwicklung bremst, so erklärte ein Großunternehmen, heißt Personalqualifikation. Die notwendige Aus- und Weiterbildung zur Bedienung der Geräte könne nicht mit demselben Tempo wie ihre technische Entwicklung vorangetrieben werden. Diese Aussage deckt sich mit dem dritten Punkt der erwähnten Umfrage, in dem es heißt, der Freisetzungseffekt wird gering, die Bemühungen hingegen, den Mitarbeiterstab auf die neue Situation einzustellen, von großer Bedeutung sein.

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