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Die Massakrierung Goethes

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Wir leben im Zeitalter des Regisseurtheaters. Die Stücke sind für so manche heutige Spielleiter nichts anderes als Material, mit dem sie nach ihrem Gutdünken verfahren. Schon Arthur Kahane, der Dramaturg bei Max Reinhardt, erklärte: „Das Drama liefert den Vorwand, den Rohstoff sozusagen, die Gelegenheit, an der sich das Theater auswirken kann.“ Und heute stellt Hans Hollmann als Norm auf: „Alle Macht der Regie.“ Zu welchen Ungeheuerlichkeiten das führen kann, zeigt sich derzeit im Burgtheater. Da war vorgesehen, daß Walter Felsenstein den ersten Teil des „Faust“ inszenieren sollte. Er starb, so betraute die Direktion den bei uns besonders geschätzten tschechischen Regisseur Otomar Krejca mit der Inszenierung. Diese Wertschätzung zeigte sich, als er vor acht Jahren für eine Regiearbeit am Akademietheater von der Gemeinde Wien die Kainz-Medaille verliehen erhielt. Krejca aber begnügte sich nicht damit, Goethes Werk, wie es ist, darzubieten, er schuf eine eigene „Einrichtung für das Burgtheater“, bei der er mit einer Anmaßung sondergleichen fast Szene für Szene tiefgreifende Veränderungen vornahm.

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Wir leben im Zeitalter des Regisseurtheaters. Die Stücke sind für so manche heutige Spielleiter nichts anderes als Material, mit dem sie nach ihrem Gutdünken verfahren. Schon Arthur Kahane, der Dramaturg bei Max Reinhardt, erklärte: „Das Drama liefert den Vorwand, den Rohstoff sozusagen, die Gelegenheit, an der sich das Theater auswirken kann.“ Und heute stellt Hans Hollmann als Norm auf: „Alle Macht der Regie.“ Zu welchen Ungeheuerlichkeiten das führen kann, zeigt sich derzeit im Burgtheater. Da war vorgesehen, daß Walter Felsenstein den ersten Teil des „Faust“ inszenieren sollte. Er starb, so betraute die Direktion den bei uns besonders geschätzten tschechischen Regisseur Otomar Krejca mit der Inszenierung. Diese Wertschätzung zeigte sich, als er vor acht Jahren für eine Regiearbeit am Akademietheater von der Gemeinde Wien die Kainz-Medaille verliehen erhielt. Krejca aber begnügte sich nicht damit, Goethes Werk, wie es ist, darzubieten, er schuf eine eigene „Einrichtung für das Burgtheater“, bei der er mit einer Anmaßung sondergleichen fast Szene für Szene tiefgreifende Veränderungen vornahm.

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Vor allem ist da der „Herr“, wie Gottvater im Stück benannt ist, völlig eliminiert, Krejca kommt ja aus einem atheistisch orientierten Staat. Da darf es keine in die Welt eingreifende transzendente Macht geben, wie es der flach materialistischen Auffassung entspricht. Wohl gibt es bei Krejca das Mephistophelische, aber nicht das Göttliche. Man kann eine Antithese nicht halbieren, ohne daß sie zusammensackt. Das Mephistophelische, als dort verneinende Prinzip, verliert so seinen Sinn. Krejca streicht also die Wette des Herrn mit Mephisto, die Voraussetzung des Stücks fehlt, deren Auswirkung die gesamten Vorgänge bis zum Schluß umspannt. Die gewaltige Dimension der Tragödie geht verloren.

Gott gibt es nicht

Wie sehr diesen Regisseur ein mangelndes Gefühl für Wert- und Wesensunterschiede kennzeichnet, zeigt sich schon vordem im Vorspiel auf dem Theater, wo er den Direktor

abschließend Worte sagen läßt, deren Gehalt in vollem Widerspruch zu seiner praktischen Veranlagung steht: er spricht vom „Werdenden, das ewig wirkt und lebt“. Diese Worte sind dem Text des Herrn aus dem Prolog im Himmel entnommen. Was einer Uberschau über Welten und Zeiten entspricht, wird da kurzerhand einem betriebsamen Pragmatiker in den Mund gelegt. Noch ärger! Krejca setzt die „Stimme des zukünftigen Gretchens“ mit der Frage des Herrn an Mephisto ein: „Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?“ Krasser kann man die Gestalt Gretchens nicht mißverstehen. Auch diese Worte kommen aus kosmischer Überschau, werden nun einem sehr irdisch liebenswerten Geschöpf zugeordnet.

Gibt es keinen Herrn, kann es auch keine Erzengel geben, der atheistische Übereifer wirkt sich aus. Aber ihre Verse werden zu „Stimmen“, und da begeht nun Krejca das nicht genug Anzuprangernde, daß er die

großartige Himmelsszene, in der man die „Brudersphären“ eines ganzen Weltalls zu sehen vermeint, in den ebenso großartigen ersten Faustmonolog einschneidet, der die Winzigkeit Mensch in bohrendem Erkenntnisdrang vorführt. Die Verse der „Stimmen“ und die Fausts wechseln ständig ab, selbstverständlich erschlagen sie sich gegenseitig, die kosmische Weite geht ebenso verloren, wie das Erleben von Fausts pak-kender geistiger Unruhe unmöglich gemacht wird. Nicht genug. Es sind nicht nur diese hier peinlich störenden Stimmen um Faust da, sondern noch „Fausten“ und „Mephistopheles“ “, wie Krejca sie bezeichnet, Personen von denen die einen mit Faust, die andern mit Mephisto „sympathisieren“. Es kann nicht genug Gestalten auf der Bühne geben, eine Konzentrierung auf den Text des Erkenntnissuchers soll offenbar vermieden werden, er ist ja nichts weiter als Material für den Regisseur.

Auch Mephisto ist in diesem

Monolog bereits anwesend, spricht mitten hinein Worte, die aus dem Prolog im Himmel stammen, wobei er nicht umhin kann, Gott doch zu erwähnen. Nur weiter! Höchste Zeit, daß auch der Direktor wieder auftritt, beste Gelegenheit für Krejca, ihn den Faust-Monolog unterbrechen zu lassen, wobei er sich mit Mephisto unterhält und abermals ihm völlig ungemäße Worte des Herrn spricht. Die vielen Anwesenden müssen nun aktiviert werden, sie sind ja wichtiger als etwa der Erdgeist, der hier nur „Geist“ benannt ist, daher machen sie „ekstatische“ Bewegungen.

Während Faust zur Phiole greift, wenden sich die anwesenden Leute von ihm ab, sie sind also mit seinem Vorhaben nicht einverstanden. Damit nun der Zuschauer verstehe, daß ein Stück des Teufels auch in Faust steckt, mußte schon vordem Mephisto manche Worte mit ihm zugleich herausschreien. Faust im Duett mit Mephisto! Doch all das

Gewoge um Faust ist noch zu wenig, es soll zugleich auch das österliche Getriebe außerhalb sichtbar werden: Leute begeben sich zur Kirche, nehmen ihre Kopfbedeckung ab, bekreuzigen sich, Knaben mit Klappern und Ratschen gehen vorüber, alles, um nur ja die Aufmerksamkeit von diesem Monolog tiefster seelischer Qual abzulenken. Man weiß, jedwede Verinnerlichung gilt in bestimmten Intellektuellenkreisen als suspekt. Herbert Marcuse hatte sich schon vor dem letzten Krieg gegen Verinnerlichung gewandt. Weshalb?

Weil sie den Kampf gegen das Bestehende verhindere.

Wie sehr Worte allein szenisch bildhaft werden können, scheint der Regisseur Krejca noch nicht bemerkt zu haben. Spielleiter von Format aktivieren die Phantasie des Zuschauers, vertrauen dem Wort. Man denke an Copeau und so manche Berühmte, die seine Schüler waren. Krejca aber stört der Monolog, mit dem Faust beim Osterspaziergang

auftritt, ein Monolog, der die österliche Landschaft Stimmungshaft vor uns erstehen läßt. Bewegung, Bewegung, Tanz, Gesang, das ja, der Monolog muß weg, es bleiben nur ein paar Zeilen. Sehr wirkungsvoll ist es, daß Mephisto bei Goethe zunächst als geheimnisvoller Pudel auftritt. Auch bei Krejca kommt der Pudel vor, Faust, in seine Studierstube zurückgekehrt, verweist ihm das Bellen. Wozu aber gibt es da den Pudel, Mephisto war doch schon vordem in der Stube. Die Sache mit dem Pentagramm dann, das Mephisto nur mit Hilfe des benagenden Zahns einer Ratte zu beseitigen vermag, um die Stube zu verlassen, fehlt, aber der Geisterchor, der die Aufgabe hat, Faust währenddem einzuschläfern, wird sinnwidrig beibehalten.

Kein „Tröpfchen Blut“

Da in dieser Bearbeitung die Wette Mephistos mit dem Herrn ausgemerzt wurde, fragt man sich, ob

es den Pakt zwischen Faust und Mephisto gibt. Ja, es gibt ihn. Aber das „Tröpfchen Blut“ ist Krejca unsympathisch. Ihm genügt ein Handschlag, Mann gegen Mann, richtiger Mann gegen Teufel. Es genügt ihm? Nein, doch nicht, dieser Handschlag muß vervielfältigt werden, Handschlag geben sich zugleich rings die „Fauste“ und „Mephistopheles'“. Krejca kann sich an unsinniger Vermehrung nicht genugtun, ein Schüler in der Schülerszene ist ihm zu wenig, es müssen fünf sein, von denen drei sprechen. Aufteilung des vor-

handenen Texts auf sie. Daß ein Mehr erheblich weniger sein kann, darauf sollte jemand Krejca aufmerksam machen.

Vor Szenen, die in sich geschlossen sind, hat dieser Regisseur offenbar einen Horror. So müssen die lebenden Figuren eines Orchestrions in Auerbachs Keller gleich am Anfang auch die Hexenküche einrichten. Vor allem aber geht es Krejca darum, weiterhin Szenen ineinan-derzuschneiden, darin kann er sich

nicht genugtun. Gleich wieder die ersten Szenen Gretchens und jene, in denen Faust und Mephisto über sie sprechen. Nur nichts im Wort belassen, ist die Devise, Gestalten, die Goethe lediglich erwähnt, werden auf die Bühne gestellt, so Gretchens Mutter, die kein Wort spricht, man sieht sie nur flüstern, aber sie hilft Marthe Wolle aufwickeln und während Gretchen das Lied vom König in Thüle singt, wird das zarte Gefühl, das daraus spricht, zerstört, die Mutter kniet am Boden und Faust „schaut auf sie.“ Ja, die Mutter „beschnuppert“ dann noch die Schmucksachen, die Gretchen fand, und nimmt sie ihr weg. Selbstredend muß nun der ebenfalls nur erwähnte „Pfaffe“, Gretchens Beichtvater, auf die Bühne, er untersucht „habsüchtig“ den Inhalt des Kästchens, wik-kelt es ein, geht damit davon. Nichts kann Krejca greifbar genug sein, mag es noch so sehr vom Wesentlichen ablenken. Stets sind in den privatesten, in-

timsten Szenen andere Leute dabei. Alle Mitwirkenden befinden sich auf der Bühne, als Faust mit dem „Wald-und Höhlen“-Monolog Gretchens Verse („Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer“) dauernd unterbricht. Nur keine Konzentration, kein Gefühl aufkommen lassen! Möglichst viel Theater! Im schlechtesten Sinn. So läßt sich Krejca den Tod der Mutter nicht entgehen. Kaum ist das Religionsgespräch vorbei und Faust hat Gretchen den Schlaftrunk für die Mutter gegeben, sieht man sie bei laufenden sonstigen Dialogen, kaum zwei Manuskriptseiten weiter, schon im Sarg liegen, es gibt Begräbnismusik und einen Trauerzug. Die „Fausf'-Show hat wieder eine Spitzenstelle erreicht.

Man muß es wiederholen: Krejca scheint es besonders zu reizen, zwei Monologe durch Ineinanderschnei-den gegenseitig zu erschlagen, so den Gretchens „Wie könnt ich sonst so tapfer schmälen“ und den Valentins, die bei gleichem Vorwurf je aus völlig anderer innerer Einstellung entstehen. Gretchen muß dann ihr Gebet zu der Mater dolorosa schon „aus der Ferne“ rufen. Subtiles kann nicht laut genug sein. Und schon stopft Krejca wieder höchst störend eine „ShoW-Szene in das Stück. Als Valentin durch Faust getötet ist, gibt es eine Totenglocke, selbstredend einen Totenzug, einer hebt noch das neben dem Toten liegende Schwert auf, schwingt es vor einer entsprechend großen Menschenmenge.

Die Kirchenbesucher geraten nach der Szene im Dom in die „Zauber-und Sinnlichkeitswelt“ der Walpurgisnacht, ziehen sich aus. Krejca läßt es sich dann nicht entgehen, die am Schluß von Goethe nur knapp angedeutete Desillusionierung kraß zu übersteigern. Der Direktor muß wieder her, es gibt sogenanntes „Arbeitslicht“, die Mitwirkenden bewe-den sich als Zivilpersonen und der Direktor spricht Servüis' Worte. Schließlich gibt er dem Beleuchter eine Anweisung, die Szene „Trüber Tag“ setzt ein. Wieder vor Leuten, trotz der sehr persönlichen Vorwürfe Fausts gegen Mephisto. *

„Kitsch in Potenz“ Das Ärgste an übelster Theatrali-sierung folgt, ein Äußerstes, kaum glaubbar: Ein Blutgerüst wird aufgerichtet, es gibt einen Priester, einen Richter, einen Henker, man hört noch ein Jahrmarktslied über eine Kindsmörderin, zahlreiche Zuseher füllen die Bühne und in dieser Umgebung spricht Gretchen den Kerkermonolog! Nicht genug damit — Krejcas besonderer Einfall — Faust kniet beim Richtblock nieder, während nun der Scherge Gretchen die Hände bindet und der Henker bereits die Axt schwingt, legt Faust die Stirn auf den Block, aber Gretchen ruft: „Schickt ihn fort!“ Kitsch in höchster Potenz. Grelles Licht, Mephisto stellt fest „Sie ist gerichtet!“, aber nicht die Stimme von oben ruft „Ist gerettet!“, sondern wieder einmal der Direktor, der nicht fehlen darf. Für ein Nachspiel mit Direktor, Faust und Mephisto, das Krejca hinzugefügt hat, verwendet er Textstellen aus dem Beginn des zweiten Teils der Tragödie. Soll das den Anschein erwecken, daß es einen zweiten Teil gar nicht gibt?

Was im Burgtheater mit diesem Spitzenwerk der Bühnendichtung geschieht, ist unfaßbar, Schwerer geistiger Unfug? Ein milder Ausdruck. Die Verantwortung trägt letztlich der Direktor.

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