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Die Mauer ist überall

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Die Berlin-Feier kann nicht ein von Spannungen und Krisen gereinigtes Bild der Geschichte der geteilten Stadt bieten. Dennoch gibt es Chancen für gemeinsame Projekte in der Zukunft.

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Die Berlin-Feier kann nicht ein von Spannungen und Krisen gereinigtes Bild der Geschichte der geteilten Stadt bieten. Dennoch gibt es Chancen für gemeinsame Projekte in der Zukunft.

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Man muß die Feste fallen lassen, wie man sie feiern will: in Berlin etwa, wo für 1987 der 750. Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung bevorsteht. Zwar nur von Cölln, der einen UrSiedlung auf der Spreeinsel—Berlin selbst wird erst 1244 zum ersten Mal erwähnt —, aber was tut's. 1937 beging man bereits die 700-Jahr-Feier.

Damals — 1937 — nahm das NS-Regime den Anlaß wahr, um seine größenwahnsinnigen Pläne für die Reichshauptstadt zu demonstrieren. Diesmal dient der Anlaß beiden Teilen der Stadt.

„Drüben“ — hinter der Mauer — soll die „Hauptstadt der DDR“ im Bewußtsein der Weltöffentlichkeit außer Diskussion gestellt werden.

Im Westen, zwischen Brandenburgertor und Wannsee, will man nicht nur dem Anspruch von „drüben“ entgegenarbeiten. Man will „Gemeinsames und Trennendes“ dokumentieren, wie eine der vielen Informationsschriften ankündigt. „Die Besucher werden die alte deutsche Hauptstadt, die heute den Westen des Ostens und den Osten des Westens darstellt, als Beleg für die Teilung der Welt erfahren.“

Das klingt vernünftig, friedfertig, zusammenarbeitswillig. Und tatsächlich scheint in diesen Tagen, da Berlin im Schnee versinkt wie schon lange nicht mehr, die Atmosphäre freundlicher, ruhiger, besänftigt — ganz anders als noch vor wenigen Jahren.

Vierzig Jahre hindurch, seit der Aufteilung zwischen Ost und West, schien dem Besucher die Inselneurose dieser „Frontstadt“ von Mal zu Mal stärker zu werden. Die Berliner merkten sie nicht, sie waren an sie gewöhnt.

Inzwischen sind vierzig Jahrgänge nachgewachsen, immer mehr Menschen können sich nicht mehr vorstellen, daß es je anders war. Im Gegenteil — es wurde besser, leichter. Heute kann die Großmutter aus dem Ostsektor, wenn sie in der Rente ist, jede Woche die Enkel im Westen besuchen, und diese können, wenn auch mit viel Bürokratie, aber doch, auch gelegentlich hinüber.

Die Schikanen an den Grenzübergängen der Transitstrecken haben längst aufgehört; erfreuliche Folge der zwischenstaatlichen Verträge der siebziger Jahre. Auch daß Hausbesetzungen, „Demos“ weniger häufig, auch weniger aggressiv geworden sind, ist ebenso der milder gewordenen Atmosphäre wie der bedächtigen Politik der Stadtverwaltung zuzuschreiben, seit Richard von Weizsäcker hier Regierender Bürgermeister war und nun Eberhard Diepgen seinem Beispiel folgt.

„Berlin ist nicht mehr die Stadt der Konfrontation“, heißt es in dem Heft weiter, „sondern der Vermittlung und der besonderen Entwicklungschancen auf wirtschaftlichem, kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet“.

Mit der Teilung, mit der Mauer, hat man sich abgefunden. „Nirgends kommt ihr so leicht, pro-

Memlos und schnell ins andere ■ Deutschland wie von Berlin (West) nach Berlin (Ost)“, heißt es in einem andern Heft, das vor allem den vielen Jugendlichen aus der Bundesrepublik, die Berlin besuchen, Tips geben will. „So solltet ihr auf einen Besuch jenseits der Mauer nicht verzichten.“

Auch die Schulklassen, für die der Berlin-Besuch Pflichtübung ist, werden „hinüber“ geführt, auch in das Museum für deutsche Geschichte im einstigen Zeughaus. Und weil ihnen dort die Geschichte Deutschlands nach östlicher Lesart vorgeführt wird, soll ihnen im Westen auch eine andere Lesart geboten werden. „In pluralistischem Sinn“, wie der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Werner Knopp, ausführt. Er ist für die Planung eines auch für Westberlin geplanten Museums deutscher Geschichte zuständig, für das der Grundstein während der 750-Jahr-Feier gelegt werden soll.

Wäre der gemeinsame Anlaß nicht auch wert, etwas Gemeinsames hinzustellen, zu versuchen, die Spaltung wenigstens etwas weniger deutlich zu machen?

Ansätze sind da — etwa im Austausch der alten Schinkel-Figuren von der Schloßbrücke gegen das Archiv der Preußischen Porzellanmanufaktur. Aber schon die geforderte Rückgabe eines Schillerdenkmals, das einst auf dem Gendarmenmarkt stand, wurde zum Streitfall. Für die Ju-büäumsfeiern gibt es zwar beidseitig Kontaktpersonen, aber viel geschehen ist bisher nicht.

So will sich (West)Berlin also nun im nächsten Jahr der Welt in Erinnerung rufen „als Stadt der Modernität, des Machtmißbrauchs und des Freiheitswillens“. Das deutet Akzente auf Gründerzeit und zwanziger Jahre, auf die NS-Zeit und auf die Zeit des Widerstandes gegen den Druck von Osten an.

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