6972685-1985_36_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Menschheit bessern!

Werbung
Werbung
Werbung

Während eines langen Lebens war Franz Theodor Csokor mit der Besserung der Menschheit beschäftigt. Er glaubte in jungen Jahren daran, die Welt durch die Macht des aufrechten Wortes zu erlösen, und ein Rest dieses Anspruchs wirkte noch in seinen späten Werken. Es blieb die Hoffnung, das Publikum durch die Kraft des Dramas ethisch zu läutern. Sie erzeugte

Uberschwang. Csokors Theaterstücke entspringen einem romantischen Lebensgefühl, er selbst lebte, wenngleich stets bescheiden, so doch im Sinne der Romantik heroisch.

Die Germanisten zählen ihn zu den Autoren des Expressionismus. Sie mögen recht haben, allerdings zeigt sich am Beispiel Csokors eine geradezu bestürzende Analogie zwischen den ästhetischen Idealen der Romantik und den himmelstürmenden Zielsetzungen der Expressionisten. Csokor träumte von einer Menschheit in schönerer Gestalt. Sein humanistisch gestimmtes Pathos entsprang einer Uberzeugung, die ästhetisch und zugleich politisch war.

Politik war für Csokor die Möglichkeit, den Menschen menschlicher zu machen. Deshalb hielt er die Zielsetzungen von Bert Brecht, bei aller Wertschätzung, für zu eng, die von Thomas Mann, bei aller Verehrung, zu weit gefaßt. Er schätzte die dramatische Kraft Gerhart Hauptmanns, er war der Meinung, daß sein damals noch weitgehend unbekannter Freund ödön von Horväth der bedeutendste Dramatiker unter den Zeitgenossen sei; unter allen Theaterdichtern deutscher Zunge hielt er Georg Büchner für den größten. „Theaterdichter“ war ein Wort aus Csokors Vokabular. Im Geiste Büchners hat Csokor eines seiner eindringlichsten Stük-ke verfaßt, „Die Gesellschaft der Menschenrechte“, i

Wir, Jüngeren, sahen in ihm einen gütigen, hilfsbereiten, von seinem ethischen Auftrag erfüllten Romantiker, dem es gelungen war, die öde Praxis der Literaturpolitik seinen kompromißlosen Idealen dienlich zu machen.

Seine beiden Zimmer in der Neulinggasse in Wien boten das Bild einer literarischen Werkstatt und zugleich eines Museums. Uber meterhoch aufgetürmten Manuskripten hing die verschleierte Totenmaske einer Schauspielerin; vergilbte Plakate an den Wänden erinnerten an Premieren, die v6*r Jahren und Jahrzehnten stattgefunden hatten; in einer Kommode standen Bouteillen, die private und offizielle Verehrer dem Dichter geschenkt hatten. Csokor trank nicht. Nur in Gesellschaft machte er dann und wann einen Schluck aus dem Glas seines Tischnachbarn. Dafür verbesserte er seine Bouillon gerne mit einem Schluck Rotwein. „Gel', Franzi, du trinkst nie?“ fragte einmal Erhard Buschbeck, ein Freund Georg Trakls, langjähriger Betriebsdirektor des Burgtheaters, Weintrinker, eines Tages in einem Wirtshaus. Csokor erhob die ergraute Löwenmähne und sagte: „Ich liebe nicht, wenn etwas stärker ist als ich.“ Durch ihn fanden wir lebendige Verbindung nicht nur zu Georg Trakl, zu Gerhart Hauptmann, zu Thomas Mann, natürlich zu Horväth, auch zu Rainer Maria Rilke (durch Csokors Freundin Anni Mewes), sondern auch zum Rußland der Vorrevolutionszeit. Ida Orlow, für die dann Hauptmann sein Stück „Und Pippa tanzt“ geschrieben hat, gastierte in Sankt Petersburg mit Csokors „Die rote Straße“, die übrigens nicht in Wien zuerst gezeigt worden ist, sondern in dem aus Brettern gezimmerten Sommertheater des Mätyäs Feld in Budapest.

Wie von einem romantischen Helden verfaßt waren auch Csokors Telegramme. „Großer Erfolg“ lautete die Meldung, wenn das Publikum die Premiere günstig aufgenommen hatte. Zeigten sich die Zuschauer verständnislos, lautete die Meldung „Umstrittener Erfolg. Csokor“.

Seine Ablehnung des Nationalsozialismus zeigte der Dramatiker nicht nur am legendären PEN-Kongress in Dubrovnik 1934. Er, dessen Stück „3. November 1918“ im März 1938 im Burgtheater gespielt wurde, verließ nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht Wien mit der Begründung: „Dieser Hitler hätte mir am Ende noch die Hand reichen wollen. Das aber durfte nicht sein.“

Das Exil führte Csokor durch Polen und Rumänien auf die dalmatinische Insel Korcula; von dort brachten ihn die Partisanen gemeinsam mit seinem Freund Alexander Sacher-Masoch zu den Engländern nach Süditalien.

Solange wir leben, bleiben sein Werk und seine Gestalt unvergessen. Sein menschliches Wesen formte den Alltag der Literatur; nur Csokor konnte es gelingen, Lernet-Holenia, den Poeten einer neuen Klassik mit dem kommunistischen Publizisten Ernst Fischer im Bestreben zu vereinen, den österreichischen PEN auch international wirksam zu machen. Nur Csokor war es gegeben, ein dramatisches Werk zu schaffen, das den Abschied von der alten Monarchie mit dem Aufbruch zum Neuen in der entfesselten Sprache des Expressionismus vereint.

Csokor ist ein bedeutender Dramatiker. Wenn nun die Werke seines Freundes ödön von Horväth oft, seine eigenen aber selten gespielt werden, so ist das ein Zeichen dafür, daß die Bühnen dem Zeitgeist unterliegen. Der Geist wirkt aber über die Zeiten hinweg. Im richtigen Augenblick werden die Theater Csokor neu entdecken. Seine Botschaft erreicht die kommenden Generationen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung