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Die menschliche Freiheit erhalten

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Was ist an unserer Gesellschaftsordnung verteidigungswert? Ist es am Beginn der achtziger Jahre wirklich notwendig, diese Frage wieder einmal zu beantworten? Man könnte fast der Meinung sein, daß die Erfahrung der älteren Generation mit dem System totaler Staatsmacht ohnedies eine so schlechte gewesen ist, daß die Demokratie als unabdingbares gesellschaftliches System unserer Zeit außer Frage stünde.

Leider kann man die Sache nicht so einfach abtun. Eine neue Generation hat längst die „Macht" übernommen, wenn auch noch der eine oder andere von uns Alten an einem Steuerrad steht; aber wie lange noch? Der Generation von heute fehlt das persönliche Erlebnis (Gott sei Dank!), obwohl es an Anschauungsbeispielen in vielen Teilen der Welt nicht mangelt.

Wenn wir aber als gegeben annehmen wollen, daß nur ein System menschlicher Freiheit ein erhaltungswürdiges ist, so dürfen wir uns bestehender Gefahren nicht unbewußt bleiben. Was ich nicht meine -ich weiß, daß ich damit den Widerspruch vieler meiner Leidensgenossen von ehedem wecke -, ist das große Geschrei gegen den sogenannten „Rechtsextremismus" in einigen europäischen Ländern.

Was sich da an makabren Gestalten zusammenfindet, sind entweder unbelehrbare Restbestände von ehedem oder jene lächerliche Minderheit, die es eben gibt und die, wenn nötig, eine Polizeiangelegenheit bleiben sollten und nicht etwas, was durch übertriebene Berichterstattung womöglich Zuzug erhält!

Aber welche Gefahren drohen der Demokratie? Demokratie ist das System, in dem Freiheit und Ordnung gleichwertig mit- und nebeneinander garantiert sein müssen. Es ist gerade die Ordnung, die manchmal droht, zu kurz zu kommen.

Das beginnt schon bei der behördlichen Mißachtung der Straßenverkehrsordnung. Wenn es Halte- and Parkverbote gibt - in Wien viel zu viele! -, dann muß die Polizei für ihre Einhaltung sorgen, oder aber, wenn sie personell dazu nicht imstande ist, muß das Gesetz geändert werden.

Man unterschätze die psychologische Wirkung des gegenwärtigen Zustandes nicht! Denn wo beginnt dann für den Staatsbürger die Verpflichtung, Gesetze einzuhalten, und wo hört sie auf? Lieber weniger Vorschriften, und diese streng gehandhabt, als zu viele, die man nicht handhaben kann!

Eine Demokratie, in der auf die Befolgung von Gesetzen zu wenig Gewicht gelegt wird, droht, sich zum Chaos zu entwickeln. Wir wissen, was Ordnung ohne Freiheit bedeutet: es ist ein menschenunwürdiges System. Wir wollen aber nicht erfahren, was Freiheit ohne Ordnung bedeuten kann, denn ohne Ordnung in der Freiheit gibt es diese schließlich auch nicht mehr.

„Law and order" - welch schreckliche Wörter! - sind nun einmal die Grundlagen für den dauernden Bestand eines menschenwürdigen Daseins.

Wir haben in Österreich das System von Freiheit und Ordnung vor 1938 nicht ganz zusammengebracht. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, ja, ich sage sogar: Entschuldigungen. Eine der Ursachen für die Entwicklung unserer Demokratie in der Zwischenkriegszeit lag in den schrecklichen wirtschaftlichen Verhältnissen.

Wenn es Hunderttausende Arbeitslose gibt, dann kann man von ihnen nicht verlangen, daß sie mit der herrschenden Ordnung einverstanden sind. Sicherlich lebt der Mensch nicht allein vom Brot, aber er braucht es, um zu leben. Und wenn es ihm nicht wenigstens in einem bescheidenen Ausmaß gesichert ist, dann verlangt er nach einer anderen Ordnung, von der er, ob zu Recht oder zu Unrecht, erwartet, daß sie es ihm geben kann.

Die Wehrverbände der Zwischenkriegszeit wären nie zu ihrer innerpolitischen Bedeutung herangewachsen, wenn die Menschen genügend Arbeit gehabt hätten uhd nicht soviel Zeit, um exerzieren zu gehen. Daß der in Deutschland erfundene Nationalsozialismus so große Erfolge haben konnte, hatte ähnliche Wurzeln.

Dazu kamen für Österreich der von Deutschland ausgeübte politische Druck und der Umstand, daß

der Kampf um die österreichische Selbständigkeit von den europäischen Demokratien überhaupt nicht unterstützt wurde. Es war einzig und allein das faschistische Italien, das wenigstens bis 1935 die österreichische Unabhängigkeit nachdrücklich geschützt hat.

Daß das mit politischen Konzessionen verbunden war, braucht nicht betont zu werden. Das autoritäre ständestaatliche System von 1934 war der Versuch eines Ausweges, die österreichische Unabhängigkeit gewissermaßen auf schwankendem Boden zwischen Scylla und Charybdis, zwischen Freiheit und Ordnung, zu retten.

Als wir 1945 wieder antraten, um unser Vaterland neu zu begrüßen, gab es keinen Zweifel, daß Österreich nur auf der Grundlage der Bundesverfassung von 1920 mit ihren Ergänzungen von 1929 wiedererrichtet werden mußte. Es gab auch keinen Zweifel darüber, daß das nur auf dem Wege einer inner-politischen Versöhnung geschehen konnte.

Solche Dinge brauchen ihre Zeit. Es hat fast 20 Jahre gedauert, bis mit dem berühmten Handschlag zwischen Alfons Gorbach und Bruno Pittermann am 12. Februar 1964 dieses Ziel erreicht war.

Man wird oft gefragt, ob die 1945er-Generatiön wieder bereit wäre, alle Mühen und Gefahren auf sich zu nehmen, um Freiheit und Ordnung in Österreich aufrechtzuerhalten, wenn das wieder einmal notwendig sein sollte.

Die Frage ist mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Denn unser Leben wäre ohne Freiheit und Ordnung nicht lebenswert.

Der Autor, nach seiner Verhaftung von 1938 bis 1939 im Konzentrationslager Dachau interniert, gehörte zwischen 1952 und 1968 zehn Bundesregierungen als Staatssekretär bzw. als Minister und Vizekanzler an.

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