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Die Messe von Poznan-Posen: Österreichs Schaufenster im Osten

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Jahr für Jahr sind es 70 bis 80 österreichische Firmen - es wurden ihrer mit der Zeit immer mehr die auf der „Internationalen Poznaner Messe“ an einer großen Kollektivausstellung teilnehmen; dazu kommen stets auch etwa 50 österreichische Einzelaussteller, teils Handelshäuser, teils Firmen, die wegen der Provenienz ihrer Exponate nicht in der Österreich-Halle selbst auftreten können und wollen.

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Jahr für Jahr sind es 70 bis 80 österreichische Firmen - es wurden ihrer mit der Zeit immer mehr die auf der „Internationalen Poznaner Messe“ an einer großen Kollektivausstellung teilnehmen; dazu kommen stets auch etwa 50 österreichische Einzelaussteller, teils Handelshäuser, teils Firmen, die wegen der Provenienz ihrer Exponate nicht in der Österreich-Halle selbst auftreten können und wollen.

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Warum Polen und warum gerade Poznan-Posen? Daß Österreich in Polen ein Kapital alter und neuer Sympathien besitzt, die man, gut abgelegen und ausgereift, sozusagen von der Straße aufheben kann, wird jedem Reisenden bewußt, der in diesem Lande Kontakt mit der Bevölkerung sucht und findet. Wirtschaftstreibende sind, neben Wissenschaftlern und Künstlern, fast immer die ersten, die es verstehen, einer solchen Lage der Dinge gerecht zu werden.

Poznan-Posen? Der Ort lag schon in Urzeiten an einer der beiden Bem- steinstraßen, eine Furt durchquerte die Warthe, eine Insel beherrschte die Furt. Nichts naheliegender, als daß die westlichen Polanen, die hier siedelten, diese Insęl alsbald befestigten und daß der erste geschichtliche Herrscher Polens, Herzog Mieszko, hier eine Wehrburg errichtete. Im 13. Jahrhundert verlagerte sich der wirtschaftliche Schwerpunkt Poznan-Posens auf das linke Ufer der Warthe und dort ent stand, was die Polen Jarmark“ nennen und was sich seit dem 15. Jahrhundert zu einer der bedeutendsten Industrie- und Handelsmessen des europäischen Ostens auswachsen sollte.

Auf der Insel ist es seither still und beschaulich geworden. Hier steht die Kathedrale - herrlichste Backsteingotik, während des letzten Kriegs fast bis auf die Grundmauern zerstört, von den Polen mit aller Hingabe und allem Können, die sie ihren geschichtlichen Monumenten zuteil werden lassen, Stein um Stein, Rippe um Rippe, bis hinauf zu den barocken Turmhelmen auf so vollendete Weise wieder hergestellt, daß der Besucher glauben könnte, das Original vor sich zu haben. Im kleinen wiederholt sich hier, was in Warschau zur europäischen Sensation geworden ist. Aber nicht nur der Dom ist in Posen, wo 55 Prozent des Baubestandes vernichtet war, neu erstanden

- auch das Renaissance-Rathaus, das barocke Ensemble des ehemaligen Jesuitenkollegs, die Universität, die Mo- niuszko-Oper, die von der Familie Dzialynski geschaffene Bibliothek - und dies alles in einem Lande, das nach dem Zweiten Weltkrieg nicht bei Null, wie Österreich, sondern bei minus Hundert beginnen mußte; ein Land, in dem die Versorgung der Bevölkerung nicht gesichert ist und in dem immer noch die kleinen Dinge des Alltags nur unter Umständen funktionieren. (Kühlschränke liefern Lauwarmes, Schalterknöpfe hopsen quer durchs Zimmer, Wasserspülungen haben sich verschworen.)

Die Polen, ein Volk mit Phantasie (mit zu viel Phantasie, wie einige von ihnen behaupten), vermögen jahr zehntelang, jahrhundertelang über Mißstände hinwegzukommen und dennoch ihre Identität zu wahren. Poznaft-Posen etwa leistet sich eine Philharmonie, Sängerknaben, ein in seiner Art unübertroffenes Museum für Streichinstrumente und, im Gedenken an Wieniawski, alle fünf Jahre ein Geigenfestival. Es leistet sich alljährlich eine Internationale Messe, dazu etliche nationale Spezialmessen. So sollen im April des Jahres 1978 Textilmaschinen gezeigt werden, dazu kommen die „Salmed“ genannte Ausstellung medizinisch-technischer Apparate und eine dem Umwelt- und Arbeitsschutz gewidmete Schau. Im Oktober 1978 kommen Baumaterialien, Holz und Büroeinrichtungen an die Reihe.

Wo Handel, dort zumeist auch Industrie. Die Cegielski-Werke in Poznafi- Posen erzeugen sämtliche Eisen- .bahnwaggons für Polens eigenen Bedarf und für den Export, Werkzeugmaschinen und, in industrieller Ko operation mit Österreich, Schiffsmotoren. Poznan-Posen ist zudem das Zentrum der polnischen Möbelindustrie, deren Bereich sich bis Bielitz im Süden erstreckt.

Es ist begreiflich, daß in der Zwischenkriegszeit die günstige Lage der damaligen Hauptstadt „Großpolens“ vom wiedererstandenen polnischen Staat ausgenützt, daß der Ausbau des Jarmark“ forciert wurde und daß dabei die alten Beziehungen zum Deutschen Reich ihre Rolle spielten. Seltsam genug sind ja die allenthalben vorhandenen wilhelminischen Reste aus der Zeit, da dieser Teil Polens preußisch war, Reste aus der Jahrhundertwende, die sich nach Berliner Vorbild zu dem offiziell verpönten Jugendstil nicht recht bekennen wollen: Villen der einstigen dünnen deutschen Oberschicht und ein Stadtschloß, das einer Zwingburg gleicht, im totalen Gegensatz zu den zugänglichen, weit geöffneten, mitunter von der Bevölkerung schon immer als „Durchhäuser“ benützten Residenzen, wie sie sich über das ganze Gebiet des einstigen Österreich-Ungarn verstreut finden. Polnisch war in Preußisch-Polen der städtische Mittelstand, waren selbstverständlich die Bauern ringsum auf dem flachen Lande.

Zweimal geteilt, von West nach Ost und von Ost wieder nach West verschoben, besetzt, besetzt und wieder besetzt, mußte Polen nach Dezimierungen, nach Verschleppungen hierhin und dorthin und nach den Schrecknissen des Zweiten Weltkriegs versuchen, mit der Vernichtung zu leben und sich aus dem Chaos emporzuarbeiten. Schon 1946 gab es in Poznan-Posen wieder eine Mustermesse, seit 1948 beteiligt sich Österreich daran, rückte von der anfangs siebenten Stelle unter den westlichen Ausstellern zur nunmehr vierten auf. Alles in allem betrachtet, erfüllt der Jarrrtark“ von Poznan-Posen die Funktion eines Propagandainstruments der österreichischen Wirtschaft gegenüber den verstaatlichten Unternehmen des Ostens, eines großen, weit geöffneten Schaufensters, vor dem sich die Ingenieure und Werkmeister drängen, die ihrerseits über Manager und Direktoren einen nicht unwesentlichen Einfluß auf die staatlichen Schaltstellen ausüben. Österreichs Firmen trachten selbstverständlich, anzubieten, was den jeweiligen Fünfjahresplänen entspricht, doch besteht keine Sicherheit darüber, was wo und wann auch tatsächlich gewünscht wird. Auf das diesjährige Angebot bezogen, herrscht auf österreichischer Seite gedämpfter Optimismus. Letzt lich erfolgt die Begutachtung der Offerte in technischer Hinsicht durch die östlichen Industrievereinigungen, in kommerzieller durch die östlichen Außenhandelsstellen. Und die Fachminister, denen schließlich das letzte Wort zusteht, sind im Osten auch wirklich Fachleute.

In Polen führt Österreich mit Chemieanlagen, Hüttennjaschinen, Ei- senbahn-Oberbau-Maschinen, Spritzgußmaschinen, mit Lkw-Bau, Ventilbau für Großkompressoren und Schiffsmotoren, vor allem aber auch mit Papiermaschinen: die Einrichtung fast aller neuen Papierfabriken Polens wurde von österreichischen Firmen geliefert. Die Kooperation mit östlichen Unternehmen erwies sich bei all dem als sehr zufriedenstellend und das anfängliche Außenhandelsdefizit Österreichs verwandelte sich in dem relativ kurzen Zeitraum zwischen 1971 und 1976 zu einem polnischen Defizit im ungefähren Ausmaß von 3,3 Milliarden Schilling - eine Tendenz, die sich 1977 insofern verflachen dürfte, als Polen, nach dem Übergang von extensiver zu intensiver Wirtschaftspolitik, mehr Wert auf Kompensationsgeschäfte legt.

Erfolge fallen nicht in den Schoß. Der von Imponderabilien des bodenständigen Alltags in der Seele ver- grauste Österreicher stellt angesichts der Austria-Halle auf der Poznaner Messe anfangs ungläubig und erstaunt, dann aber mit Freude und wachsendem Stolz, der mit Mir-san- mir-Bomiertheit nichts mehr zu tun hat, fest, welche unabsehbare techni sche Vorarbeit und welch psychologisch treffsicheres Arrangement hier von der Außenstelle der Bundeswirtschaftskammer und vom Wirtschaftsförderungsinstitut geleistet wurden. Helle und fröhliche Farben empfangen den Besucher, der aus der kontinentalen Hitze des polnischen Frühsommers kommt und den rot-weiß-roten, grün-weißen Bereich der österreichischen Ausstellung betritt. Die ebenso komfortable wie einladende Stimmung in allen Kojen und allen Verhandlungs räumen unterscheidet sich wohltuend von der unklugen Wohlstandsprotzerei manch anderer Pavillons westlicher Industriestaaten und von der seltsamen Kombination greller und zugleich verschlissener Farben, die der Osten aus rätselhaften Gründen bevorzugt. Sucht man Information, so gerät man fürs erste vor die Schönbrunner Schloßfassade, bedarf man der Hilfe einer Dolmetscherin, so sieht man sich in den klimatisierten Büros einem Lipizzanęr gegenüber,’ der zur Levade ansetzt, kommt es im Konferenzraum zum Geschäftsabschluß, so erfolgt dieser inmitten der Eröffnung des Opemballs. Mag da einer hierzulande spöttisch den Mund verziehen - es sind eben doch diese für uns so selbstverständlichen und überständigen Dinge, die ein Gespräch mit Nichtösterreichern erleichtern, mit den Polen vor allem, einem Volk, das - wir sagten es - Phantasie besitzt (zuviel vielleicht?), Musikalität bis in die Fingerspitzen, und sehr viel Sinn für unaufdringliche Höflichkeit.

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