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Die Minderheit braucht mehr als Gleichheit

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Auch die Volksgruppengesetze konnten die Probleme um die ethnischen Minderheiten in Österreich nicht aus der Welt schaffen. Der frühere Unterrichtsminister Dr. Theodor Piffl-Percevic erinnert sich in seinem Buch „Zuspruch und Widerspruch“ (Verlag Styria, 1977) an eine Szene während des österreichischen synodalen Vorgangs 1973.

Gleich zu Beginn der Aussprache hatte sich der Kärntner Delegierte Dr. Valentin Inzko zu Wort gemeldet und in deutscher wie in slowenischer Sprache Grußworte gesprochen und auf jene Aussagen und Beschlüsse der Kärntner Diözesansynode verwiesen, mit welchen ein Modell des gedeihlichen Zusammenlebens der deutschen und der slowenischen Kärntner erarbeitet worden war. Da empfand ich plötzlich die Notwendigkeit, ein Wort des Dankes für den Gruß und die Ausführungen unseres slowenischen Mitsynodalen zu sagen.

Im Verlauf der Vollversammlung brachte der Synodale Dr. Fritz Csok- lich, Chefredakteur der Grazer „Kleinen Zeitung“, den Entwurf einer „Resolution zur Minderheitenfrage in Kärnten, gefaßt am österreichischen Nationalfeiertag 1973“ ein, der mein besonderes Interesse erweckte. Schon die große Beratungsvorlage „Kirche in der Gesellschaft von heute“ hatte Leitsätze, Appelle und Beschlüsse „Zur Situation der ethnischen Minderheiten“ der Vollversammlung zur Beratung vorgelegt. Die Texte waren unter Mitwirkung von Mitgliedern der beiden Sprachbereiche ausgearbeitet worden. Aber Dr. Csoklich meinte hiezu, wenn es in der Vorlage heiße, wir sollten in der Minderheitenfrage in großmütiger Haltung ein gutes Beispiel abgeben, dann liege ein Fehlgriff in der Formulierung vor. Was heiße denn Großmut, wenn wir unseren völkischen, unseren sprachlichen Minderheiten das gäben, was ihnen zustehe?

Diese Überlegungen entsprachen ganz meiner Auffassung, und ich versuchte daher, sie in einer Wortmeldung zu bekräftigen. Der Wortlaut über die ethnischen Minderheiten müsse in jeder Hinsicht so formuliert werden, daß nicht der Eindruck entstehe, es würden Gnaden verteilt Bei den Fragen der Minderheiten handle es sich um Fragen der Gerechtigkeit, die auch nicht etwa durch einen mechanisch verstandenen Gleichheitssatz gefährdet werden dürfe, zum Beispiel dadurch, daß man die These auf stelle, auf Grund der Anzahl von Minderheitsangehörigen habe die Minderheit keinen Anspruch auf ein Gymnasium,

Das Beispiel vom Gymnasium kam mir nicht4von ungefähr in den Sinn. Ich wählte es ganz bewußt Es mag 1961 gewesen sein, als ein sehr kluger Abgeordneter der Freiheitlichen Partei in einer Parlamentsrede anscheinend nebenbei die Bemerkung einflocht, daß den Slowenen in Österreich nach ihrer Kopfzahl gar kein Gymnasium zustehe … Ich ging zu dem auf seinen Sitz zurückgekehrten Abgeordneten und machte ihh auf die Gefährlichkeit seiner Bemerkung für die Südtiroler Gymnasien aufmerksam.

Viele meinen, vergleichende Bezüge zwischen den Südtirolern und den Slowenen in Kärnten seien unzulässig. Die geschichtlichen Tatsachen und die Gegenwartsrealitäten seien unvergleichbar verschieden. Wer so argumentiert, … dringt nicht zum Kern der Minderheitenfrage vor, der für alle Minderheiten wesensgleich ist.

Der Kern beruht auf der Menschenwürde und den aus ihr entspringenden, angeborenen Rechten, die ein anderes Nationalgefühl, eine andere Sprache, andere kulturelle Bedürfnisse, als es jene der Mehrheit sind, wesenhaft in sich einsdhließen. Auf jener Menschenwürde, die ein unfreundliches „Wie du mir, so ich dir“ unter Berufung auf den Gleichheitssatz ebenso verbietet wie die oft verlangte, aber niemals mögliche Glattstellung historischer Schuldbilanzen. Auf der Men schenwürde, die, in christlicher Schau, die Hüfe einer hilfsfahigen Mehrheit gegenüber der Minderheit fordert.

Bevor eine nationale Minderheit gleich wie die Mehrheit behandelt werden darf, muß sie mit jenen Ergänzungen, Rechten wie Förderungen, ausgestattet werden, die sie erst auf einen gleich gesicherten und gefestigten Stand erhebt, wie die Mehrheit ihn kraft dieser Mehrheit genießt. Wer hier von abzulehnenden Vorrechten spricht, beweist, daß er entweder die Problematik jedweder nationalen Minderheit in einem mehrheitlich andersnationalen Staatswesen nicht kennt oder eben die Minderheit bewußt in ihrer natürlichen Schwäche erhalten, wenn nicht überhaupt zurückdrängen will.

Der „österreichische Synodale Vorgang“ verbesserte auf Grund der Diskussionen die erste Vorlage über den Schutz der ethnischen Minderheiten. Das Dokument fordert ein Zusammenleben in Brüderlichkeit, gegenseitiger Achtung und Unterstützung, fordert die Kirche auf, „für die Sicherung der Existenz und für die großzügige Förderung einer harmonischen Entfaltung der ethnischen Minderheiten einzutreten und appelliert an die Mehrheit, sich verpflichtet zu fühlen, der Minderheit bei der Bewahrung ihrer ethnischen Eigenart zu helfen; beide aber sollen Versuchen entgegentreten, die auf eine gezielte Änderung des ethnischen Charakters eines Lebens raumes hinarbeiten.

Nach dem Synodalen Vorgang hörte man Stimmen, die meinten, das Slowenenproblem in Kärnten gehe als ein politisches Problem die Kirche nichts an. Die Kärntner Synode und der österreichische Synodale Vorgang haben die außerordentliche, schwerwiegende, ganz Österreich berührende politische Bedeutung des entstandenen Konflikts keineswegs verkannt. Sie haben aber auch die tiefe religiöse Bedeutung und daher auch die religiöse Pflicht zur Konfliktsbewältigung beizutragen nicht übersehen, sich nicht an dieser Pflicht vorbeidrücken dürfen. Beratungsgegenstand und Beratungssinn waren also auf das Religiöse, das Moralische, das Humane gerichtet, nicht auf Politik.

Daher kamen auch Fragen der politischen Sorgen und der politischen Klugheit nicht zur Sprache, wie etwa die Erscheinung der Ur-Urangst, jener österreichischen Angst also, ‘die vor der Urangst bangt, sie könne Unkluges tun und eine solche Förderung der Slowenen behindern, die zum Ziele habe, daß sich diese auf ihren Kärntner Stammsitzen in einer solchen Weise wohl, heimelig, geschätzt und gefördert fühlen, welche unösterreichischen Gedanken und Anfechtungen gar nicht aufkommen und auswärtigen Absichten Widerstand entgegensetzen läßt, und daß aus der Urangst entspringende Unbedachtheiten Anlaß dafür werden könnten, daß zum Leide ganz Österreichs beim nächsten europäischen Beben das eintritt, wovor die Urangst Angst hat.

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