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Die Miskitos proben den Aufstand

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Kulturelle Autonomie? Nikaraguas neue Machthaber kennen so etwas nicht. Sie beharren auf dem straff organisierten Modernisierungsstaat, Regionalautonomie gilt nicht.

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Kulturelle Autonomie? Nikaraguas neue Machthaber kennen so etwas nicht. Sie beharren auf dem straff organisierten Modernisierungsstaat, Regionalautonomie gilt nicht.

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Die Indianer der nikaraguanischen Atlantikküste werden von der Regierung in Managua wegen ihrer uralten Forderung nach regionaler Eigenständigkeit als Konterrevolutionäre, Separatisten und Somoztas beschimpft. Das Resultat verbal-revolutionärer Ungeschicklichkeit: der charismatische Führer der Miskito-Indianer, Stedman Fagoth Muller, probt mit 2000 Miskitos von

Honduras aus den Aufstand gegen die Zentralmacht in Managua.

Die Sandinistas, sowieso mit ungezählten Problemen im eigenen Land und der Feindschaft der USA kämpfend, sehen sich auch noch mit dem potentiellen Verlust der Hälfte ihres Staatsgebietes konfrontiert.

Die Provinz Zelaya, die Atlantikküste Nikaraguas mit ihrem Hinterland, umfaßt 56 Prozent des Staatsgebietes, aber nur 200.000 Köpfe, also etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Noch bis 1894 war die „Mosquitia" britisches Einflußgebiet, dann erst wurde sie per Schlichtungsvertrag dem spanischsprachigen Nikaragua zugeschlagen.

Die Bevölkerung Zelayas, die „Costenos" (Küstenbewohner), ist nicht spanischsprachig. Pidgin-englisch sprechende Afrikaner, die vor allem im Süden und in den Küstenorten leben, bilden eine Art Oberschicht. Drei Indianerstämme — Miskito, Sumo und Rama — leben seit prähistorischen Zeiten als Jäger und Fischer mit etwas Landwirtschaft und Kleintierzucht auf ihrem Stammesland.

Unter dem Somoza-Clan wurde Zelaya einfach ignoriert. Unter der sandinistischen Oppositionsphase auch: Der Kampf gegen die „Latifundistas" (Großgrundbesitzer), die Befreiung der Landarbeiter berührte nur das moderne Kernland.

Zudem zogen die Sandinistas die englischsprachigen Küstenbewohner als Kampfpartner den Indianern vor. Dennoch versprachen sie, einmal an der Macht, alle offenen Fragen der Region zu lösen.

Tatsächlich wurde Stedman Fagoth (Verballhornung von „Fürchtegott") als Vertreter der Indianerorganisation MISURA-SATA (Miskito-Sumo-Rama-Sandinista-Union) in den Staatsrat nach Managua berufen, Forderungen und Pläne für eine weitgehende Eigenständigkeit Zelayas wurden ausgearbeitet, die gesetzliche Verankerung der indianischen Grundbesitzrechte sollte Ende Feber 1981 unterzeichnet werden.

Aber die Ideologie der Revolution stand im Wege, sodaß es auf beiden Seiten Mißverständnis über Mißverständnis gab: Zunächst wurde die Revolutionsbotschaft auf Spanisch gebracht, erst nach Protest der Küstenführer die Alphabetisierungskampagne in den Indianersprachen und auf Englisch fortgesetzt.

Die Indianer wiesen die spanischsprachigen Bauern-Berater darauf hin, daß es in Zelaya nichts zu organisieren gäbe, das Land gehöre seit jeher denen, die es bearbeiten; die Miskitos erklärten (vor allem den kubanischen) Beratern, man möge mit der Marxismusideologie in Ma-

nagua oder sonstwo bleiben, im Indianerland sei der Kommunismus älter als Marx; die Hafenstadt Puerto Cabezas, der wichtigste Brückenkopf für die Verteidigung gegen die honduranische Grenze, wurde zum „spanischen" Militärstützpunkt, die freien Indianer fühlten sich „besetzt".

Nur die Verstaatlichung der Krankenhäuser und Schulen der böhmischen Hussitenmission wurde begrüßt, weil sich damit zum ersten Mal Managuas Interesse an der sozialen Wohlfahrt der Costenos dokumentierte.

Dann kamen die (klassischen Minderheiten-) Zwischenfälle: • An der Grenze gegen Honduras, die zu verteidigen für die Sandinistas lebensnotwendig ist,

die aber mitten durch das Miski-tostammland führt, kam es zu ersten kleinen Zusammenstößen — mit den nikaraguanischen Miskitos.

• Im September 1980 hißten in Bluefields drei Dutzend kubanische Ärzte und Techniker vor ihren Wohnhütten die Flagge der Zuckerinsel. Die darauffolgende Protestdemonstration endete in Schlägereien mit dem Militär, es gab 65 Verhaftungen.

Das alles waren nur Vorboten für den großen Krach im Februar 1981:

• Am 13. wurde in Puerto Cabezas ein Miskitofischer von einem Soldaten erschossen, angeblich, weil er den Eintritt in eine Tanzstätte nicht bezahlen wollte. Die Indianerführer flogen nach Managua, um die Sache zu bereden.

• Statt des angekündigten Gespräches mit der Junta wurden zwischen 18. und 20. drei Führer, unter ihnen Staatsratsmitglied Fagoth, verhaftet.

• Am 22. wurden an der Atlantikküste die Schlußfeiern für die Alphabetisierungskampagne begangen. Ein weiterer Führer, Elmer Prado, nahm am Festgottesdienst in Prinzapolka teil, als vier Soldaten erschienen, ihn festzunehmen. Die Gemeinde bat, Prado noch die Messe hören zu lassen, aber die Soldaten eröffneten das Feuer, mehrere Tote blieben

liegen. Daraufhin massakrierte die Gemeinde die Soldaten. Anstatt weiter zu feiern, flohen die Kirchgänger mit Prado in den Dschungel.

Wiederum versuchte man über Vermittlung der Hussitenkirche mit den Indianerführern noch Ärgeres zu verhindern: Prado, der verletzt worden war, kam unter Polizeiaufsicht in eine Klinik, die geflohenen Kirchgänger konnten nach Hause zurückkehren, die empörten Soldaten wurden in die Kasernen zurückbeordert.

In Managua jedoch ging die Eskalation weiter. Fagoth wurde das öffentliche Geständnis, er sei ein Somoza-Agent gewesen, abgefordert. Die anderen Indianerführer wurden zwar bald freigelassen, aber Fagoth erst nach Streiks der Costenos.

Nachdem Fagoth — nach 41 Tagen Haft — unter Aufsicht nach Zelaya gebracht worden war, nützte er, da seine sandinistischen Leibwächter nicht abgezogen wurden, die nächste Gelegenheit zur Flucht über die Grenze nach Honduras. In den folgenden Monaten wechselten an die 4000 seiner Stammesbrüder ebenfalls über die Grenze (was übrigens nichts Außergewöhnliches ist, weil die Miskitodörfer diesseits und jenseits des Rio Coco einander seit jeher Hilfe leisten).

Zwar gelang es dem verdienstvollen Miskito-Bischof der Hus-siten-Kirche, John Wilson, die Hälfte von ihnen wieder zur Heimkehr zu bewegen, aber der harte Kern um Stedman Fagoth blieb in Honduras.

Jetzt fiel der diplomatisch ungewandte Indianerkönig wirklich der „Konterrevolution" in die Hände. Aus trüben Quellen in Miami begann Hilfe zu fließen. Mit heftigen Attacken über Piratensender gab Fagoth seine Kriegserklärung ab: die Sandinistas hätten die Indianersache verraten, jeder, der an ihren Marxismus glaube, sei ein Verräter.

Daraufhin konnten in Managua die „Harten" die letzten Köpfe der Versöhnung überstimmen: In den vergangenen Wochen überschritten mehrere Dutzend San-dinista-Soldaten die honduranische Grenze und griffen die exilierten nikaraguanischen Miskitos an. Wieder gab es mehrere Tote.

Heute gibt es zwei getrennte und ungleiche Nikaraguas. Zwei Schritte wären zur Lösung des Konfliktes notwendig: erstens die Versöhnung, zweitens die Schaffung eines Autonomiestatutes. Dem aber steht im Wege, daß Lateinamerikas Revolutionsmodelle, die französische Revolution mit 200 Jahre Verspätung nachholend, für Regionalautonomie absolut kein Verständnis zeigen, weil sie theoriegemäß den straff organisierten zentralistischen Modernisierungsstaat anstreben.

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