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Die Missetaten der Väter wirken weiter

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Am 20. April wäre er 74 Jahre alt geworden. Am 26. Jänner 1993 ist er gestorben. Vor 50 Jahren gehörte Axel von dem Bussche zu jenen Männern, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, um Deutschland von Adolf Hitler zu befreien. Eines seiner letzten Gespräche führte mit ihm im FURCHE-Auftrag Felizitas von Schönborn.

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Am 20. April wäre er 74 Jahre alt geworden. Am 26. Jänner 1993 ist er gestorben. Vor 50 Jahren gehörte Axel von dem Bussche zu jenen Männern, die bereit waren, ihr Leben zu opfern, um Deutschland von Adolf Hitler zu befreien. Eines seiner letzten Gespräche führte mit ihm im FURCHE-Auftrag Felizitas von Schönborn.

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Nach Winston Churchill gehört der deutsche Widerstand „zu dem Edelsten und Größten, was in der politischen Geschichte aller Völker je hervorgebracht wurde". Axel von dem Bussche ist einer der Namen, die für diesen Widerstand stehen. Der Mann, der durch seinen Mut und seine Entschlußkraft die Maschinerie des Mordens anhalten wollte, kam am gleichen Tag wie der Urheber dieses Grauens, Adolf Hitler, nur dreißig Jahre später zur Welt. Er war 24 Jahre alt, ein hochdekorierter Offizier, als er sich im November 1943 mit Hitler zusammen in die Luft sprengen wollte. Der ehemalige Direktor des „Deutschen Entwicklungsdienstes" und frühere Mitarbeiter am Weltkirchenrat in Genf, der seit Jahren am Genfer-see lebte, hätte manches Klärendes zu sagen gehabt. Doch ihm schien das Schweigen die angemessenere Form zu sein, dem Unsagbaren zu begegnen. Das ist zum einen die Schwierig-' keit, auszuleuchten, was mit den Deutschen in diesem Jahrhundert wirklich geschehen ist.

Zum anderen das Wissen um die Gefahr, daß Worte mißverstanden und zu groben Schlagwörtern umgeformt werden können. Ein weiterer Grund der Zurückhaltung lag für ihn, in dem wie er es nannte „Generationenumbruch". „Die erste Generation in meinem Sprachgebrauch ist die meiner Eltern, die entweder nicht aufgepaßt hat oder nicht genügend Phantasie besaß, das Kommende vorauszusehen. Die dritte und vierte Generation, derer die unter 50 sind, lehnt sich mit Recht dagegen auf, jetzt von einer Erbkrankheit, einem Klumpfuß belastet zu werden. Etwas, das ihre Großeltern nicht verhindern wollten oder konnten. Man sollte dieser Generation sagen, es ist wie es in den Büchern Moses steht, die Missetaten der Väter wirken bis ins dritte und vierte Glied. Das ist ein empirischer Befund von Hunderten von Priestern und Gelehrten. Ihr müßt groß genug sein, das zur Kenntnis zu nehmen. Ich fürchte, daß die Leute recht haben, die sagen, wir werden uns von Auschwitz nicht erholen."

Durch den ehemaligen Polizeipräsidenten von Berlin, Fritz Dietlof von der Schulenburg, kam Bussche in Kontakt mit dem Widerstand. Nach einem Treffen mit Stauffenberg, erklärte er sich bereit, das Attentat auszuführen. In der Wolfschanze, dem Hauptquartier Hitlers, sollte der Anschlag ausgeführt werden. „Für mich steht fest, daß die Tötung Hitlers ein Notwehrakt gewesen wäre", meinte Axel von dem Bussche in dem FUR-CHE-Gespräch. „Der Notwehrparagraph im Militärgesetzbuch und im zivilen Recht waren fast gleichlautend. Notwehr ist das notwendige Maß an Verteidigung, das hinreichend ist, um einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Zustand von sich und anderen abzuwehren." Viele Offiziere und Soldaten sahen sich wegen des Eides nicht imstande, sich aktiv am Widerstand zu beteiligen. „Ein Eid ist kein Lasso mit dem man jemanden einfängt. Nach dem Tode Hindenburgs i st die Wehrmacht unvorbereitet, durch einen über Nacht abgeänderten Eid überfallen worden. Der Entwurf wurde per Fernschreiben durchgegeben, bereits am nächsten Morgen wurden die Truppen vereidigt."

Das Schlüsselerlebnis, daß das unbewußte Unbehagen über das Hitlerregime in den Entschluß verwandelte, dem Ganzen konkret Einhalt zu gebieten, kam in der ehemals polnischrussisch-ukrainischen Bezirkshauptstadt Dubno. Der junge Offizier wurde Zeuge eines organisierten Massenmordes an Juden. „Wenn ich zurückblicke, wird mir das Bild wieder bewußt, wie 800 Juden-Männer, Frauen und Kinder, nackt in einer Schlange vor einem Massengrab standen und mit Maschinenpistolen erschossen wurden."

1943 durfte kein Unbefugter das Areal der Wolfschanze betreten, daher mußte ein Vorwand gefunden werden. Axel von dem Bussche sollte bei einer Vorführung von Uniformen als Erklärer fungieren. Dabei wollte er den Sprengstoff in der Hosentasche verborgen tragen, Hitler anspringen und mit ihm in die Luft gehen. Nach zwei quälenden Tagen des Wartens wurde das Unternehmen abgesagt. Die Uniformen waren bei einem Bombenangriff auf Berlin vernichtet worden.

Hitler ist mehr als 40 Attentatsversuchen entgangen. Mit dieser Bereitschaft, sich selbst auszulöschen, um andere zu retten, sehen manche Bussche gerne in der Rolle eines Helden. Doch solche Überlegungen wies er brüsk zurück. „Im Englischen Fernsehen habe ich mich, wie ich hoffe glaubhaft, gegen den Vorwurf des Heldentums verteidigt. Ich war ein trainierter Soldat und konnte mit Sprengbomben und Handgranaten umgehen. 1943 im Herbst war ich mit 24 Jahren Herr über 400 bis 500 Menschen. Wir lagen an einer ruhigen Front, der Russe war 2.000 Meter entfernt, jeden Tag mußten wir Gefangene machen. Ich schicktejedes-mal sechs Leute hinaus, ahnend, daß die Hälfte wahr-scheinlich nicht wiederkommen würde. Wenn man das ein paar Wochen, mit dem Wissen und den Beziehungen, die ich hatte, macht, dann ist der Entschluß, sich selbst in die Luft zu sprengen, eine rein militärische In-teressens-abwicklung."

Von den Verschwörern des 20. Juli wurde Axel von dem Bussche trotz Folter nicht verraten. Bei ihm wuchs zunehmend das Gefühl, daß es eigentlich unzulässig ist, überlebt zu haben - während die anderen alle aufgehängt wurden.

Oft wollte man von ihm wissen, ob das, was sich im Dritten Reich in Deutschland abgespielt hat, auch in einem anderen Land möglich gewesen wäre. „Meine Standardantwort lautet: Bisher ist es nur in Deutschland passiert. Hitler hat es geschafft, in sechs Jahren Akademiker, Ärzte, Menschen bis hinunter zu den Erschießungskommandos abzurichten. Bisher haben das nur die Deutschen gemacht. Was immer wir auch von anderen, Nichtdeutschen ausgraben... es schlägt letzten Endes wieder auf uns zurück. Angefangen haben wir... Und je mehr sie ,Tu quoque' (du auch) schmettern, desto mehr kommt es auf uns zurück." Und dann stellte er sich selbst die Frage „Was ist los mit den Deutschen? Ist das so etwas wie eine Erbanlage? Ich weiß es nicht." Und er fuhr fort „1918 hat man diesem Volk den Kopf abgehauen und dann ist es zwölf Jahre herumgelaufen wie ein Huhn ohne Kopf und später hat Hilter wieder seinen Kopf darauf gesetzt."

Und wie sah er die jetzige Situation? „In Amerika sagte ein Zyniker nach dem Krieg zu mir: Adenauer, der verpackt euch so, daß ihr nicht wieder herauskommt, EWG, Europäische Armee und so weiter. Der bindet euch ein - Aber ich sehe jetzt doch bedenkliche Atemübungen, aus der Verpackung herauszusteigen."

Meinte er die rechtsradikalen Republikaner, die bei den letzten Wahlen beträchtliche Erfolge aufzuweisen hatten? Schönhuber, der drei Jahre jünger ist als er, empfand er als „peinlich". „Er entfesselt die Dummheit zu patriotischen Biertischphrasen von Deutschland in einer Sonderrolle." Die junge Generation forderte Axel von dem Bussche in dem FURCHE-Gespräch auf „Denkt an die Frau von Lot, die, als sie sich umdrehte, um zurück zu blicken, zur Salzsäule erstarrt ist. Ihr müßt zwar wissen, was passiert ist, aber ihr dürft nicht nur nach hinten starren."

Er sprach von den großen Herausforderungen unserer Zeit, der Zerstörung der Umwelt, dem Raubbau der Energie Einhalt zu gebieten, die den ganzen Einsatz brauchen. Und er mahnte zu besonderer Wachsamkeit, weil die technologische Entwicklung durch die B- und C-Waffen auch die Gefahr einer „Anonymisierung des Massenmordens" habe anwachsen lassen. „Das Ziel kann im Grunde nur sein, was mit den Seligpreisungen in der Bergpredigt gemeint ist. Es wird aber nur ganz wenigen überlassen sein, aus dem Begriff ,selig sein' wieder etwas Erstrebenswertes zu machen."

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