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Die Miterben dürfen nicht hinausgebissen werden!

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Sensible Südtiroler nehmen Anstoß, wenn der Begriff „Tirol“ allzu selbstverständlich für das gleichnamige österreichische Bundesland vereinnahmt wird. Und sensible Bewohner des südlich angrenzenden Trentino, der ehemals österreichischen Region imi Trient, lassen sich ihrerseits nur ungern aus dem Begriff des südlichen Tirol ausgrenzen, der heute allzuoft als Monopol der deutschsprachigen Südtiroler in Anspruch genommen wird.

Beide — die sensiblen „Deutsch“ - und die sensiblen „Welsch“ -Tiroler südlich des Brenner — haben historisch recht: Niemals vor 1918 meinte der Name Tirol nur den nördlichen oder bloß den deutschsprachigen Teil des Landes.

„Tirol von Kufstein bis zum Brenner“ (das heutige österreichische Bundesland) ist genauso eine Neuschöpf ung, wie es das von manchen erträumte „Tirol von Kufstein bis Salurn“ wäre (wie es den deutschbewußten Tirolern gefiele), oder wie es die von Italien im Jahr 1948 geschaffene Region vom Brenner bis Ala — Südgrenze des alten Tirol und des heutigen Trentino - war, der man sich Süd-tirolerseits mit der auch gewaltsamen „Los von Trient“ -Bewe-gung der fünfziger und sechziger Jahre erfolgreich widersetzte.

Mit anderen Worten: das Erbe des historischen Tirol kann nur übernehmen, wer niemanden der Miterben hinauszubeißen bemüht ist. Denn dieses politisch versunkene Alt-Tirol umfaßte in seinen Grenzen von Kufstein bis Ala Menschen dreier Sprachen (deutsch, italienisch, ladinisch) nördlich und südlich des Alpenhauptkammes, die nicht nur unter einem gemeinsamen politischen und religiösen Dach wohnten, sondern auch in Kultur und Lebensart, Wirtschaftsweise und Naturbearbeitung viel initeinan-der zu tun hatten.

Wer nun heute im Namen jener Ubersteigerung nationaler Bestrebungen und nationalistischer Unduldsamkeit ein ethnisch bereinigtes Tirol als Alternative zu den gegenwärtigen politischen und administrativen Grenzen an die Wand malt, vergißt dabei nur allzuleicht, daß gerade das Streben nach nationaler Eindeutig-

keit und sauberen Grenzen das alte Tirol und das alte Österreich den Kragen gekostet hat.

Heute ist das Bewußtsein vom gemeinsamen Erbe und eine gewisse Sehnsucht danach vielleicht dort am stärksten verbreitet, wo man am weitesten davon entfernt scheint. Im fast rein italienisch-sprachigen Trentino beispielsweise bemüht man sich, kurioserweise gegen den Widerstand des offiziellen Südtirol, auf allen Ebenen um die Wiederbelebung beziehimgsweise Neuanknüpfung von Banden.

Partnerschaften und Freundschaften mit österreichischen Bundesländern (Salzburg, Niederösterreich), die gemeinsame Herausgabe eines zweisprachigen „Tiroler Almanachs“ in Irms-bruck xmd Trient (wobei Bozen überspnmgen werden muß), Tagungen über die politischen, institutionellen imd kulturellen

Schattierungen der ,Jfelix Austria“ an der Trientiner Universität, aktives Engagement in der (von Südtirol ebenfalls ungeliebten) Arbeitsgemeinschaft „Alpe Adria“ und zahlreiche andere Initiativen und Bestrebungen weisen in diese Richtung.

Ähnliches könnte man auch aus einer anderen Ecke berichten, der man allzu selbstverständlich eine geistige Distanz zu Alt-Tirol auf den Leib schneidern wollte: die kritisch eingestellte „Michael Gaismair Gesellschaft“ beispielsweise und andere gewiß nicht nostalgieverdächtige Kreise arbeiten seit Jahren unbekümmert über die Brennergrenze hinweg, geben alljährlich den gesamttiro-lischen Gaismairkalender heraus, haben die Zusammenarbeit zwischen Sozialhistorikern in Innsbruck, Bozen, Trient und Ro vereto ausgebaut und entfalten ihre Tätigkeit ohne jede demonstrative Verkrampfung bald nördlich und bald südlich der Staatsgrenze.

Deutscher und italienischer Nationalismus haben das größere Tirol zersetzt und zerbrechen lassen. Nur die Dolomitenladiner können von sich sagen, daß sie — als das kleinste Volk der Region — nie anderen den Mitbesitz und das gemeinsame Heimatrecht streitig gemacht haben.

Heute kann die Existenz vielleicht ungeliebter, aber letztlich sehr durchlässiger Grenzen zwischen Staaten und Regionen dem Bezug auf das alte Tirol zwischen Ala und Kuf stein neue Aktualität verleihen: man köimte sich als Vorzugsnachbam fühlen und gebärden.

Der Autor ist Abgeordneter zum Südtiroler Landtag f Or die .Altemative Liste fürs andere SüdÖror.

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