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Die Mitte der Botschaft Jesu

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Mit dem hier auszugsweise abgedruckten Vortrag desWiener Alterzbischofs begann in Salzburg die 37. Pädagogische Werktagung zum Thema „Wir und das Fremde“.

An Jesus sehen wir als erstes: Sozusagen die Mitte seiner Verkündigung, die Fremdenliebe, ist ein öffentliches und überaus aktives Verhalten des Entgegenkommens und der Bereitschaft, Beziehungen aufzunehmen und Barrieren abzubauen — bis zu jenen Menschen hin, die so fremd sind, daß es Spannungen und Aggressionen gibt, also bis hin zu den Feinden. Es geht nicht um Passivität und Leidensmystik, sondern um Schritte zur „Entfeindung“ (Pinchas Lapide).

In der Bergpredigt finden wir ein bekanntes Beispiel für die neue Weise, wie Jesus das Gebot der Fremdenliebe ausgelegt hat:

Es ist die Aufforderung: „Wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann gehe zwei mit ihm.“ (Mt 5,41)

Es handelt sich hier um den Fall, daß ein römischer Soldat einen Juden auffordert, für ihn das Gepäck zu tragen.—Jeder Mensch im römischen Reich, sofern er nicht römischer Bürger war, wußte sich dazu verpflichtet, die Meile mitzugehen und das Gepäck zu tragen. Wenn der Träger nun aus freien Stücken zwei Meilen mitgeht -r so deuten es moderne Ex-egeten - dann ergibt sich die Möglichkeit zum Gespräch. Der Römer wird überrascht, und es kann zur Beziehung und Verständigung kommen.

Ein modernes Beispiel: Im Zusammenhang mit den Gedächtnistagen des sogenannten Anschlusses Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland vor 50 Jahren wurden verschiedene Umfragen über den Antisemitismus gestellt. Dabei ergab sich etwas ganz Typisches: Ablehnung und Mißtrauen gegenüber den Juden sind bei jenen am größten, die nachweislich nie Kontakt mit ihnen hatten, das heißt, sie nicht kennen und fern von ihnen wohnen. So pflegt man ein Feindbild. Andererseits aber —. ein anderes Ergebnis aus der Umfrage — gibt es erklärte Gegner von Juden, die freimütig zugeben, den einen oder anderen sympathischen Juden zu kennen.

Genauer ließe sich das Gebot der Feindesliebe gar nicht veranschaulichen: Das heißt nämlich: hinter dem Bild vom Feind den Menschen auszusuchen, den konkreten Nächsten ausfindig zu machen und zu sehen, ob er diesem Bild entspricht. Natürlich wird er diesem Bild nicht entsprechen. Das Gebot der Feindesliebe ist daher so zu verstehen: Du sollst es dir versagen, aus Bequemlichkeit Bilder und Vorstellungen anstelle von Menschen zu betrachten. Sprich daher mit dem, von dem man dir sagt, er sei dein Feind, und du wirst ihn meist als Mitmensch, als Nächsten erkennen lernen.

An Jesus sehen wir weiters: Die Feindesliebe, die Mitte seiner Verkündigung, bedeutet Selbstkritik und Bereitschaft, von Fremden zu lernen. Wir sind gerufen, gerade im Fremden das Wertvolle aufzudecken und uns beschenken zu lassen. Dabei geht es nicht um Vermischung oder Vereinnahmung, sondern um Ehrfurcht und Hochschätzung.

Jesus hat seiner Kirche die Fremden- und Feindesliebe als besonderen Auftrag eingestiftet. Es ist ein altes Grundgesetz, daß sich der Mensch oder eine Institution gerade dort als schwach und fehlerhaft erweisen, wo sie besondere Ansprüche erheben. So müssen wir in der Geschichte der Kirche heute schmerzlich sehen, wie wir gerade im Umgang mit dem Fremden gesündigt haben. Man kstnn zum Beispiel an den Umgang mit den Nicht-Christen in den Zeiten der Inquisition denken, an den Umgang mit Menschen, Frauen und Männern in Zeiten der Hexenverfolgungen, an den Umgang mit dem Judentum bis hinein in die Katastrophe des Nationalsozialismus.

Man mag daran denken, daß uns Katholiken die evangelischen Christen so fremd waren, daß der Besuch ihrer Gottesdienste untersagt war, gewiß auch aus Sorge um Spannungen oder Mißverständnisse. Oder Schriftsteller, die wir heute schätzen und lesen — auch Philosophen wie Nietzsche und Sartre — waren uns so fremd, daß ihre Werke auf dem Index standen; dies allerdings zum Schutz der Unwissenden. Alle diese Probleme reichen in subtiler Form bis in unsere Zeit hinein.

Sicher kann man diese schwierigen Zeiten nicht einfach am heutigen Verständnis der religiösen Toleranz messen. Denn Toleranz kann auch mißverstanden werden als „Vermischung, Vermengung“ katholischen Glaubens mit irrigen Auffassungen. Trotz allem zeigt die Geschichte unserer Kirche eine Uberforderung im Umgang mit dem Fremden. Aller Intoleranz zum Trotz bleibt aber die Forderung Jesu in der Kirche immer gegenwärtig und lebendig.

Das wird manchmal bei einzelnen Zeugen deutlich, in der Kritik wie im Widerstand. Die Probleme mit dem Fremden, dem Fremdenhaß, der Intoleranz, waren sicher mitbestimmend am Aufbruch der Kirche im II. Vatikanum. Auf diesem Konzil hat die Katholische Kirche das Fremde, den Umgang mit dem jeweils anderen, anerkannt und bejaht, wie es in der Geschichte der Christenheit früher kaum je der Fall war.

Ob das Konzü von der Missionstätigkeit der Kirche, vom Dienst der Priester oder vom Apostolat der Laien, von der Religionsfreiheit oder vom Ökumenismus spricht, ob es über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen geht, oder über ihre Stellung in 4er Welt von heute Aussagen trifft — in fast allen Dekreten und Erklärungen ist der Umgang mit dem Fremden auch ein wichtiges Anliegen. Die Kirche mußte so ihr Verhältnis zur modernen Welt, die ihr fremd geworden war, neu bestimmen.

So ist es eine Aufwertung des Fremden, wenn das Konzil im Dokument über die nichtchristlichen Religionen erklärt: Die Kirche betrachtet „mit Hochachtung“ den Hinduismus, den Buddhismus, den Islam. Ausführlich behandelt sie die Frage des Verhältnisses von Christen und Juden.

Wörtlich heißt es: „Sie lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen (das heißt, den nichtchristlichen) wahr und heilig ist; sie sucht es vielmehr zu sehen und aufzudecken... Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verweigern.“

Oder, wie „Gaudium et spes“ sagt: „Daher wendet sich das II. Vatikanum nach einer tieferen Klärung des Geheimnisses der Kirche ohne Zaudern nicht mehr bloß an die Kinder der Kirche, oder an alle, die Christi Namen anrufen, sondern an alle Menschen in der Absicht, allen darzulegen, wie es Gegenwart und Wirken der Kirche in der Welt von heute versteht.

Die Heilsbotschaft der Kirche ist für alle Menschen bestimmt und nicht nur für einen inner-kirchlichen Bereich. Also muß die Kirche am Fremden interessiert sein — und zwar nicht nur karitativ, sondern im Sinne eines menschlichen Austausches. Wir müssen den Fremden nicht nur helfen und ihnen etwas bringen,sondern wir können ebenso von ihnen empfangen und lernen. Das heißt, die Kirche lernt von der Welt und vom Fremden, für die Vermittlung ihrer Heilsbotschaft. Ausdruck eines solchen Wandels im Verhältnis zum Fremden ist das Friedensgebet in Assisi.

Wenn es heute neue Spannungen in der Kirche gibt und sogar ein neues Schisma, dann liegt der Grund auch darin, daß sich die Kirche in der Begegnung mit dem Fremden weit geöffnet hat. Denn eine solche Begegnung verunsichert und hat ambivalente Rückwirkungen auf den Innenraum der Kirche. Das Fremde fasziniert und bedroht zugleich.

Das Konzil hat einen mutigen Weg gewählt, den der Mensch unserer Zeit bei aller Gefährdung auch als Befreiung empfindet. Die Kirche kann ihre Identität, ihr Wesen, wie sie es im II. Vatikanum beschrieben hat, nicht durch Rückzug aus der Welt sichern, sondern durch Öffnung zur Welt erklären im festen Vertrauen auf ihren Ursprung und ihr Ziel.

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