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Die moderne „Landflucht”

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„Wir ziehen hinaus aufs Land”, beschloß 1957 der englische Journalist John Seymour mit seiner Frau. In einem Buch, das diesen Titel trägt, beschreibt er humorvoll die Folgen dieses Entschlusses, ohne ihn jemals bereut zu haben: „Als Sally und ich vor mehr als zwei Jahren im Ginsterwinkel so zu leben anfingen, waren wir wahrhaft seltene Vögel. .Natürlich ist es blödsinnig, seine eigenen Nahrungsmittel selbst anzubauen', sagen die Leute, ,wenn man sie so leicht im Geschäft kaufen kann*. Trotzdem kamen -sie und betrachteten uns undy dachten, es müsse doch ein Riesenspaß sein, auch wenn es blöd. war...”

Dieter Dorner, ehedem ö 3 Radiosprecher und Moderator eines Konsumentenmagazins im Hörfunk, bewirtschaftet einen Bauernhof ebenso wie die erfolgreiche österreichische Pop-Gruppe „Bluespumpn”. Es sind aber nicht nur eingefleischte „Grüne”, die sich ein Plätzchen auf dem Lande suchen, um dort ein gesundes Leben in frischer Luft mit körperlicher Arbeit und selbstgezogenem Obst und Gemüse zu führen. Es sind dies auch Leute, die unabhängig sein wollen von mißliebigen Vorgesetzten oder wirtschaftlichen Zwängen.

Niemandem verantwortlich zu sein außer sich selbst, sein eigener Herr zu sein, ist ein menschliches Urbedürfnis, wonach heute wieder viele junge Menschen streben. Wenn sie sich gleichzeitig nur mehr um ihre eigenen vier Wände kümmern und mit den staatlichen Einrichtungen am liebsten gar nichts zu tun haben wollen, ist das zwar verständlich, aber illusorisch.

Eine Möglichkeit der Selbstverwirklichung ist, ein Unternehmen aufzumachen. Vielen Aussteigern gefällt es aber besser, einen Bauernhof selbständig zu bewirtschaften. Neben einer „Zu-rück-zur-Natur”-Romantik spielt hier die allgemeine Verunsicherung durch die kritische Wirtschaftslage eine maßgebliche Rolle: In Notzeiten hätte man wenigstens etwas zu essen.

Eine militante Variante des autarken landwirtschaftlichen Betriebes hat vor allem in den Vereinigten Staaten von sich reden gemacht: die „Survivalists”. Diese horten Lebensmittel und Waffenarsenale in „Fluchtburgen”, wo sie sich im Ernstfall (beim Zusammenbrechen des westlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems) mit ihren Familien verschanzen und alle Eindringlinge mit Waffengewalt abwehren wollen.

Hinter diesen Autarkiebestrebungen steht ein sehr menschlicher Wesenszug: die Motivation durch Eigentum. Wenn die Leistung nicht belohnt wird, weil alle für den Staat arbeiten und von diesem nur das Lebensnotwendige erhalten, fehlt dieser Anreiz. Arbeiten für ein Gemeinwohl, das einem indirekt wieder selber zugutekommt, ist für den einzelnen zu abstrakt. Das geht soweit, daß man lieber gar nicht arbeitet, als den Löwenanteil seines Verdienstes dem Fiskus abzutreten.

Uber den Profit hinaus ist eine Motivation für menschlichen Höchsteinsatz insbesondere die Vorsorge für die Nachkommen, und überhaupt jeder ideele Wert, mit dem sich der einzelne identifiziert. Für einen solchen Wert kann sich jemand mit all seinen Kräften vorbehaltlos einsetzen. Hier findet er seinen Platz, seine Aufgabe und den Sinn im Leben. Hierin liegt auch das Geheimnis, das einen Job von einer Beschäftigung unterscheidet, die Spaß macht. Die allgemeine Unzufriedenheit rührt nicht zuletzt daher, daß viele mit diesem Unterschied leben müssen.

Wenn sich ein Mensch mit dem Produkt seiner Arbeit identifizieren kann, wird ihm die Arbeit Freude machen. Er hat sich selbst verwirklicht und zugleich erhöht für eine größere Sache.

Antoine de Saint-Exupery hat für diese Wahrheit eine treffende Formulierung gefunden, wenn er den weisen Wüstenkönig in seiner „Citadelle” sagen läßt: „Wir wurden gewahr, daß das Leben nur dann einen Sinn hat, wenn man sich nach und nach austauscht (mit dem Produkt seiner Arbeit).”

Die Autorin studiert in Innsbruck Rechtswissenschaften und Dolmetsch.

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