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Die Moral der Märkte

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Zunehmend gerät Wirtschaftsethik in Spannung und Widerspruch zur personalen Ethik. Und immer mehr stehen Unternehmer, die ethisch handeln wollen, einsam vor ihren Entscheidungen.

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Zunehmend gerät Wirtschaftsethik in Spannung und Widerspruch zur personalen Ethik. Und immer mehr stehen Unternehmer, die ethisch handeln wollen, einsam vor ihren Entscheidungen.

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„Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral!“ So eindeutig wie Bert Brecht hat noch keiner das im Munde der Gebildeten nobel klingende „primum vivere“ der Römer mit der marxistischen Maxime vom wirtschaftlichen Unterbau, der den ideologischen Uberbau hervorbringe, zur Aggressionspoesie vereinigt.

Hinter der literarischen Schattierung verbirgt sich freilich eine quantitative Verschiebung. Denn das „Fressen“ meint mehr als das

Lebensnotwendige, dem sogar christliche Ethik eine gewisse Priorität einräumt — und auch mehr als einen Unterbau, der immerhin eine wirtschaftliche Ordnung darstellt. Das „Fressen“, auf das der Mackie Messer der „Dreigroschenoper“ Appetit hat, ist die Karikatur des Kapitalismus im Gewände des kleinen Mannes, der durch List oder Gewalt endlich an die Futterkrippe herankommt. Der Fresser Brechts ist der rächende Emporkömmling, der die Gunst der Stunde zur kapitalistischen Genuß-Orgie nützt. Er will das etablierte Unrecht eiligst und egoistisch kompensieren und Wird dabei selbstverständlich zur tragischen Figur, weil er nicht erkannt hat, daß das Geheimnis des Besitzes und der Macht im Maßhalten liegt.

In Österreich wurde die Geschichte in der letzten Zeit eher vom Meckerl Messer als Dreigroschenoperette gespielt. Erzeugt hat sie in weitesten Schichten zur Demokratie- und Parteienverdrossenheit auch noch eine Arbeitsverdrossenheit. Leistungswille ist so exemplarisch als Dummheit deklariert, daß die dadurch auftretenden Folgeschäden viel größer und unkontrollierbarer sind als alle von den großen „Fressern“ verursachten Defizite.

Der Ruf nach ethischen Maßstäben ist unüberhörbar. Wegen Unglaubwürdigkeit auszuscheiden sind dabei die politischen Trittbrettfahrer und Sonntagsredner, denen Moral nur eine populistische Formel ist. Auszuscheiden ist auch der Schrei nach Moral, der nur den Neid derer tarnt, die zu wenig Gelegenheit zur Unmoral haben.

Zunächst gilt für die Wirtschaft wie für jeden Lebensbereich die personale Ethik ehrlichen Handelns. Dieser ethische Wert mag eine Tugend des Einzelmenschen sein—für die Wirtschaf t hat er nur funktionale Bedeutung. Die personale Ethik ist im Sinne des gemeinschaftlichen Nutzens nämlich Voraussetzung des Wirt-

schaftens überhaupt. Personale Ethik für die Wirtschaft ist kein moralisches Verdienst, sondern die Spielregel. Wirtschaftspartner müssen sich darauf verlassen können, daß die Spielregeln normalerweise eingehalten werden und nur in Ausnahmefällen Gerichte eingreifen müssen. Die große Rolle, die das Vertrauen im Wirtschaftsleben spielt, ist der Ausdruck der personalen Ethik. 5 Es ist keine Frage, daß schon in diesem Punkt religiöse, gewissensmäßige, humanitäre Hintergründe eine wesentliche Rolle spielen. Es wäre unmöglich, Wirtschaft nur mit totaler Kontrolle und ständiger Reglementierung zu betreiben. Das Schwinden personaler Ethik begünstigt ohnehin bereits das Vordringen all jener mechanistischen Kontrollelemente, die der Wirtschaft ihren

ursprünglich lustbetonten Charakter nehmen. Gewissensbildung in der Erziehung kann der Wirtschaft aus solchen Gründen nicht gleichgültig sein.

Die eigentliche Wirtschaftsethik unterscheidet sich jedoch von der personalen Ethik. Hier geht es um die Frage, welchen Sinn und welches Ziel wirtschaftliche Entscheidungen haben. Der Sachzwang ist eindeutig: Wirtschaftliches Handeln ist stets auf Gewinn gerichtet. Wobei das semantische Spiel, das negativ besetzte Reizwort „Profit“, zu vermeiden, zwar betrieben werden kann und soll, aber an der Tendenz gar nichts ändert. Es war ein Fehler, den die Wirtschaft heute noch zu bereuen und zu korrigieren hat, sich zeitweise zu dieser Gewinnabsicht nicht offen zu bekennen.

Die Unterordnung aller anderen Nebenzwecke unter die Gewinnabsicht hat jedoch zur Folge, daß eine Reihe idealer Wertvorstellungen zwangsläufig unter die Räder kommt. Es kann im Einzelfall von dem Verantwortungsgefühl des wirtschaftlichen Ent-scheidungsträgersabhängen.ober auf den ganzen oder teilweisen Gewinn zugunsten anderer Werte verzichten will. Das menschliche Leben, der Friede, die Gesundheit und anderes werden heute als solche Werte anerkannt.

Aber selten liegen die Fakten und Risiken ganz eindeutig vor. Schon bei Arbeitsplätzen und Umwelt bestehen kontroverse Meinungen. Die Wirtschaftsethik

gerät in Spannung und Widerspruch zum personalen Gewissen.

Der Calvinismus, der den Gewinn zum ethischen Selbstzweck erhöht, hat dieses Problem auf seine Weise ebenso gelöst wie sein liberales Erbe. Der demokratische Sozialismus hat mit einer Fülle gesetzlicher Einschränkungen versucht, eine geregelte Wirtschaftsethik mit Rücksicht auf den Menschen zu installieren und befindet sich im sozialen Wohlfahrtsstaat damit in einer Krise, die bereits den eigenen Bereich bedroht. Die christliche Soziallehre konnte sich wirtschaftlichen Makrostrukturen überhaupt nicht anpassen.

Der Unternehmer oder Manager, der wirtschaftsethisch handeln will, steht heute ohne echten Beistand einsam vor seiner Entscheidung. Eine Rückwende zum

calvinistischen Liberalismus ist aus Rücksicht auf die Sozialstruktur nicht möglich — und trotzdem verurteilt die Öffentlichkeit jeden verfehlten Gewinn als Mißerfolg. Aus dieser Sicht ist Hölderlins „Rettendes“ in Gestalt einer verbindlichen Wirtschaftsethik nicht zu erkennen.

Es bedürfte nun der Unterstützung aller bewußtseinsbildenden Kräfte und moralischen Instanzen, unternehmerisches Handeln und Verantworten in diesem Geiste als ethisch wertvoll einzustufen und abzusichern. Denn es kann nicht auf Dauer von den Entscheidungsträgern, die ja auch Menschen mit Gewissen und Mo-tiviationsbedürfnis sind, verlangt werden, daß sie Richtiges tun und dabei als Beutelschneider verleumdet werden.

Die Wirtschaftsethik, die sich nun in der Anerkennung ehrlichen Gewinnstrebens abzeichnet, sollte weder ein Anlaß zur Anbetung des Kapitals an sich, noch zur Angst vor sozialer Demontage sein. Der Spätkapitalismus sollte von seiner Negativbesetzung endlich befreit werden. In seiner sachverständigen Anwendung hat er nämlich eine innere Wand-lungs- und Reformkraft bewiesen, die zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Menschheit mehr beigetragen hat als alle Revolten, deren Verdienst lediglich darin bestand, den Spätkapitalismus zu reformieren.

Der Autor ist Pressereferent der Lenzing AG in Lenzing. Der Beitrag ist ein Auszug aus dem Heft 1/86 der Zeitschrift B & I, Berichte und Information.

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