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Die Moralapostel

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Duo cum faciunt idem non est idem“ würden die Lateiner in diesem Fall wohl gesagt haben. „Wenn zwei dasselbe tun, ist es noch lange nicht das gleiche.“ Gemeint sind der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky und die amerikanische katholische Wochenzeitung „The Wanderer“ . Beide haben vor kurzem hier recht nachdrücklich die Behandlung des österreichischen Bundespräsidenten durch die USA kritisiert.

Das mehr als 100 Jahre alte, landesweit gelesene Blatt schwimmt in den USA als eines der wenigen gegen den Strom der publizistischen Meinungsmacher, wenn es schreibt: Kurt Waldheims Taten während der Nazi-Herrschaft könne man sicherlich nicht bewundern, ja man könne ihn sogar verachten. Aber es war Krieg und jeder hätte wohl „an irgend etwas“ teilgenommen. Und in Wirklichkeit, meint der „Wanderer“ , sei wohl das persönliche Verhalten dieses „politischen Chamäleons“ Kurt Waldheim unwichtig. Viel schlimmer sei doch, daß die USA durch ihren watch-list-Akt begonnen haben, sich als Moralapostel für die ganze Welt aufzuspielen.

„Dabei“ , so der „Wanderer“ , „treiben wir jedes Jahr eine Million Kinder ab und belehren Südafrika über Menschenrechte. Wir liefern angebliche Kriegsverbrecher … der UdSSR aus,… während dieses Land in Afghanistan weiterhin Völkermordbetreibt .,. Hat deshalb das amerikanische Justizministerium erwogen, Herrn Gorbatschow die Einreise zu verweigern? Nein, wir machen Geschäfte mit ihm und behalten uns den moralischen Zorn für kleinere, zivilisiertere und freundlichere Staaten wie Österreich vor.“

Interessant an diesem Artikel ist, daß der Autor zwar das Justizministerium kritisiert, aber keineswegs meint, daß die Entscheidung an sich falsch gewesen ist. Im Gegenteil, wollte man die ganze Sache ernst nehmen, müßten noch ganz andere Politiker auf diese Art öffentlich angeprangert werden.

Hinter diesen Schlußfolgerungen des „Wanderer“ steht unausgesprochen etwas, das Wien offensichtlich so schwer verständlich zu machen ist, woran aber das ganze politische Selbstverständnis der USA hängt: Recht ist Recht, und es steht auf jeden Fall über der Politik. Die — wenn man so will - Staatsräson Amerikas war immer das Gesetz im Gegensatz zur Machtpolitik im alten Europa.

Und gerade jetzt gibt es hier eine neue Sensibilität für Verfassung und Staatsverständnis. Nicht nur, weil seit Watergate so vieles brüchig geworden ist; und nicht nur, weil vor genau 200 Jahren, am 25. Mai 1787 in Philadelphia der Grundstein für die amerikanische „Constitution“ gelegt wurde. Auch die Iran-Contra-Af- färe ist letztlich ein verfassungspolitisches Tauziehen um die Frage, ob die Regierung über oder unter dem Gesetz steht. Hat sie sich aus politisch-moralischen Überlegungen heraus über das Recht gestellt, indem es das Boland-

Amendment (Kongreßbeschluß über den Stopp der Contrahilfe) und damit die Verfassung verletzt hat?

Vor diesem Hintergrund muß es dann natürlich schon für amerikanische Ohren recht merkwürdig klingen, wenn die dreimal wiederholte Kernaussage des österreichischen Bundeskanzlers bei seinem zehnminütigen Fernsehauftritt schlicht lautete: die ganze Waldheim-Affäre sei politischer Natur, und das sollte für die USA eigentlich schwerer wiegen als die bloße Vollstreckung eines amerikanischen Gesetzes. Hier werden Vranitzkys Äußerungen ebenso schlicht als Aufforderung zu einer schrägen Tour verstanden, nämlich die Politik dem Gesetz vorzuziehen.

Und für hiesige, österreichische Ohren klang auch ein wenig das heimische Verständnis von Gesetz und Politik durch. Fast war es, als hätte Vranitzky augenzwinkernd via Fernsehen gesagt: „Mr. President, wir werd’n doch kan Richter brauchen?“

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