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Die Mutter der schönen Liebe

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Der 24. Dezember wird nur als der Heilige Abend gesehen, der auf das Christfest hinweist, aber fast nicht mehr als der Tag, der im Kalender des Kirchenjahres die Namen von Adam und Eva trägt.

Was vermag man auch schon unter unserem historisch-kritischen Blick mit den Stammeltern heute anzufangen? Das sind so Relikte unaufgeklärter Zeiten halb mythischer, halb poetischer Herkunft. So werden dann auch die alten Darstellungen auf Kathedralen oder in Bibelhandschriften interpretiert, ohne einmal darüber nachzudenken, daß sich die alten Meister vielleicht etwas ganz anderes gedacht hat-

ten als wir ihnen heute unterstellen. Liest man jedoch die alten Quellen nach, wie sie zum Beispiel das Lexikon der christlichen Ikonographie anführt, erlebt man echte Überraschungen (So auch in „Der Traum Adams“ von Werner Schade).

Das kultivierte Bilddenken des Mittelalters sah in der Schöpfung die Welt wie eine Ikonostase, wie eine Bilderwelt anthropologischer und theologischer Bedeutsamkeit. Das Kunstwerk war ihm Bedeutungsträger. Adam ist der Mensch, der schaut und versteht. Selbstverständlich auch Eva. Deshalb werden sie so oft in alten Bildwerken mit großen weit offenen Augen dar gestellt. Bloß stilistische Betrachtungen gehen hier fehl. Nach der griechischen Definition des Menschen als „anthro- pos“ ist ihm das Schauen wesentlich, wie das auch Plato im Ti- maios beschreibt, und mittelalterliche Philosophen und Theologen bestätigen. Und das Paradies war für sie kein geographischer Ort, sondern der Zustand dieses Schauens.

Augustinus interpretiert aus dieser Sicht die Genesis:

„Hierdurch wird auch jene Verzückung richtig verstanden, die Gott über Adam geschickt hat, und die ihn in Schlaf versenkte; geschickt zu dem Zweck, damit auch sein Verstand gewissermaßen durch die Ekstase Teilnehmer an der Kurie der Engel werde und, eintretend in das Heiligtum Gottes, die letzten Dinge erkenne“.

Das ist nun das Erstaunliche, daß der Schlaf Adams als Schau, als prophetischer Traum und Ekstase geschildert wird, was hinter Augustinus zurück auf alter jüdischer Überlieferung fußt. Adam schläft und sieht zugleich, und das ganz besonders während der Erschaffung Evas. In diesem Traum ist der Glaube und der Grund der Auferstehung enthalten, schreibt Hilarius von Poitiers um 350 n. Chr. So wird Eva Mutter aller Lebendigen genannt.

Wenn man nun altorientalische Quellen, genau wie die Bibel, mit- heranzieht, gewinnt die berühmte Rippe, aus der Eva geschaffen

sein soll, eine ganz neue Bedeutung: sie ist die Mondsichel nach dem Neumond, die die Gestalt einer Spannrippe hat. Nachdem der Mond als Neumond unsichtbar „im Himmel“ geschlafen hat, tritt er nun als Symbol einer Neuschöpfung in der Gestalt der Si- chel/Rippe hervor. Der Mensch: ein Mikrokosmos, in dem sich der Makrokosmos spiegelt. Daher die Motive von Sonne und Mond über beiden. Das ist ein großes Geheimnis, wie es im Neuen Testament heißt, das über verschiedene Stufen bis zum Bild des irdischen und himmlischen Jerusalem (Kirche und Vollendung) weitergeführt wird, und, wie Religionshistoriker feststellen, zu den bedeutendsten anthropologischen Entwürfen der Menschheit gehört.

Eine solche Stufe ist, daß Eva als Wolke aus der Seite Adams hervorströmend dargestellt wird. Die Wolke, lateinisch „nubes“ hängt mit „nubere - heiraten“ zusammen. Die Wolke, der Geist schwebte als göttliche Kraft über der Erde, und geht die heilige Verbindung einer Hochzeit zwischen Himmel und Erde ein, so wie dann Adam und Eva ein Fleisch werden.

So sieht Hildegard von Bingen aus der Seite Adams eine lichte Wolke hervorkommen, die mit goldenen Sternen geschmückt ist: „So weht eine blendendweiße Wolke, die, von eines schönen Mannes Gestalt ausgegangen, viele, viele Sterne in sich trägt. Das ist die unschuldige Eva, die aus dem unschuldigen Adam hervorgegangen, mit ihm im Garten der Wonne weilt. Alle Menschenkinder trägt sie — so hat es Gott vorherbestimmt — leuchtend in ihrem Schoße.“ .

Zwischen Himmel und Erde findet seit uralter Auffassung eine Hochzeit statt, deren Inbegriff die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau darstellt, eine himmlische Hochzeit — hieros gamos — die schon bei den Ägyptern eine Rolle spielte. So sehen wir in alten Handschriften Adam im Hochzeitsbett liegend, neben sich die geschmückte Eva schauend, also Stiftung der Ehe.

Von dem allen muß Michelangelo noch etwas gewußt haben, wenn er in dem berühmten Schöpfungsbild der Sixtinischen Kapelle Adam mit offenen Augen zu Gottvater, der seinen Finger berührt, hinschauen läßt und im gebauschten Mantel, von Gottes anderem Arm umfangen, eine bezaubernde Frau und ein Kind schaut. Diese Frau kann als Eva, als Weisheit Gottes und als Maria gedeutet werden.

Hier weitet sich das „große Geheimnis“ aus: dem schlafenden Adam gleicht Christus im Kreuzesschlaf, aus dessen Seite die Kirche hervorgeht, also Eva, die Mutter der Lebenden als Mutter Kirche. Und Eva auch als Maria und als die Frau der Geheimen Offenbarung, mit der Sonne bekleidet, den Mond zu ihren Füßen

und einen Kranz von Sternen um das Haupt. In einer großen Zusammenschau also, wie Hilarius wieder sagt, Adam und Eva als Geheimnis der Zukunft („sacra- mentum futuri“) oder als Architektur der Welt; denn wörtlich übersetzt hat Gott Eva aus der Rippe „gebaut“.

„So komme denn Gott und erbaue die Frau. Siehe, das ist die Frau, aller Lebendigen Mutter. Siehe das geistige Haus. Siehe die Stadt, die ewig besteht, denn des Todes hat sie vergessen - Das ist die Stadt Jerusalem“, notiert Ter- tullian. Und in der Geheimen Offenbarung: die heilige Stadt, das neue Jerusalem, wie es von Gott vom Himmel niederstieg, „ausgestattet wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat“. So schließt sich der Kreis zum Anfang zurück, wo Hilarius sagte, daß im Traum Adams der Glaube und der Grund der Auferstehung enthalten ist.

Das ist der positive Hintergrund, von dem sich dann erst später der Sündenfall abhebt. So ist es auch zu verstehen, wenn die kirchliche Liturgie dieser Frau als Eva und Maria die Worte der Vulgata in den Mund legt: Ich bin die Mutter der schönen Liebe und der Gottesfurcht, der Erkenntnis und der heiligen Hoffnung. Bei mir ist alle Gnade des guten Wandels und der Wahrheit, bei mir alle Hoff

nung des Lebens und der Tugend. Kommt alle zu mir, die ihr mich begehrt, und sättigt euch an meinen Früchten.

Noch ein Gedanke zum Schluß. Philo von Alexandrien, ein jüdischer Philosoph und Theologe, der zur Zeit der Geburt Christi lebte, erklärt die Gestalten von Adam und Eva als nous und aisthesis, als Verstandes- und Sinnenkräfte. Wenn dann die Mystiker von den geistlichen Sinnen sprechen, könnte man wohl richtiger sagen: als Herzenskräfte.

Der Tag und die Sonne sind dem Bewußtsein und Verstand vergleichbar, die Nacht und der Mond sind dem Schlaf und dem Unterbewußtsein ähnlich. Bewußtsein und Unterbewußtsein, Verstand und Sinnlichkeit, Verstandes- und Herzenskräfte bilden den ganzen Menschen, sein SelbsL Hält sich Eva, die Herzenskraft an die Ordnung des Verstandes, des Geistes, dann ergibt sich jene Harmonie, deren Bild das Paradies ist. Das gilt aber auch umgekehrt: die Harmonie zerreißt, wenn sich der Verstand verselbständigt. Eva, der Traum Adams, reißt den Mann aus dem autonomen Traum des Verstandes und führt ihn mit ihrer Herzenskraft empor.

Deswegen wird Eva oft mit erhobenen Armen dargestellt, ja sie steht sogar zwischen der Himmels- und Paradiesesleiter, sie symbolisiert die Verbindung zwischen Gott und Mensch, ist Zeichen der heiligen Hochzeit. Die Bischofskapelle des Gurker Domes, wo die Madonna unter dem Paradiesesbild des Gewölbes und gegenüber der Jakobsleiter auf dem salomonischen Stufenthron dargestellt ist, bietet eine weitere künstlerische Variation der Architektursymbolik der Frau.

Das zeigt auch, wie die Symbolgestalt Evas in der Marienverehrung weitergeführt wurde, die die Herzenskräfte christlicher Frömmigkeit aktiviert.

Die bildhafte Darstellung der Kunst, das Bilddenken, spricht also den ganzheitlichen Charakter des Menschen an, gegenüber

einem einseitigen, bloß verstandesmäßigen Agieren, das dann so leicht in eine Ideologisierung, in eine „atheistische Phantasielo- sigkeit“ (Lorenzer) mündet. Aus einem einseitigen sachlichen Interesse erwächst eine Frömmigkeitshaltung, der das aktive Wissen um den Gegenstand und das eigene Ich wichtiger sind als die Innerlichkeit des Erlebens.

„Rationalisiertes Bewußtsein verengt den ganzheitlichen Blick auf das Menschenbild und versäumt, die Tiefenkräfte des Glaubensvollzuges einzubeziehen“, schreibt die Wiener Psychologin Eva Firkel und fährt fort: man faßt dann das Bibellesen als bloße religiöse Funktion auf, abstrahiert Glaubenssätze und moralische Vorschriften. Durch das Bilddenken, das in der Bibel grundlegend ist, wird der Mensch zur Sinnfülle des Ganzen hingeführt, die ganze Schöpfung wird zu einem Hinweis auf Gott zur Ikonostase Gottes.

Vor allem aber wird das Menschenbild, das in Adam und Eva entworfen und zu Maria - Kirche — himmlischen Jerusalem weitergeführt wird, zu einem der bedeutendsten anthropologischen Entwürfen der Menschheit.

Gott führt dem Menschen das neue Geschöpf zu, interpretiert die Echter-Bibel, und dieser benennt es. Adam erkennt die Frau als aus seinem eigenen Gebein geschaffen und damit als gleichwertig. Künstlerisch fein wird hier der Gleichklang, der in den hebräischen Worten für Mann und Frau (isch — ischah) zum Ausdruck kommt, dargestellt.

Die engste und unauflösliche Zusammengehörigkeit von Mann und Frau, die beide aus einem Fleisch geschaffen sind, sollen auch wieder zu einem Fleisch werden: sie strebt über alle anderen Bindungen hinweg zu inniger Verschmelzung, die nicht nur in der geschlechtlichen Vereinigung gemeint, sondern in kühner dichterischer Vorstellung an ein Zusammenwachsen zu solcher Einheit gedacht ist, als ob zwei Menschen nur ein Fleisch besäßen. So wie sich eben Gott in der Menschwerdung mit der Menschheit verbunden hat. So wird das Weihnachtsgeheimnis auch zum Geheimnis von Adam und Eva, Mann und Frau, Gott und Mensch, Christus und Kirche, von dem Paulus sagt (Eph. 5,32): dieses Geheimnis ist groß.

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