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Die Nachbarn verstehen...

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Die Kärntner Slowenen kämpfen um die zweisprachigen Schulen. Mehr als jede Theorie macht die Konfrontation mit der Praxis des Unterrichts ihr Anliegen deutlich.

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Die Kärntner Slowenen kämpfen um die zweisprachigen Schulen. Mehr als jede Theorie macht die Konfrontation mit der Praxis des Unterrichts ihr Anliegen deutlich.

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Sielach/Sele im Jauntal ist eines der typischen Dörfer im gemischtsprachigen Südkärnten: vom Fremdenverkehr praktisch unberührt, macht sich hier eine Idylle aus Einfamilienhäusern, Obsthainen, Kirchen und Bauernhöfen mit den traditionellen Krüppelwalmdächern breit.

Dann die Volksschule, modern und funktional, signalisiert das Gebäude schon nach außen hin seine Besonderheit: hier ist der Austragungsort all der ungelösten Probleme des zweisprachigen Gebiets. Und der zweisprachige Unterricht steht im Zentrum der Auseinandersetzungen.

In der Volksschule von Sielach/ Sele sind Direktor Franc Kukovi-ca und seine vier Lehrerkollegen vehemente Verfechter des zweisprachigen Unterrichts. Das Schulabschlußfest vermittelt ein eindrucksvolles Bild ihrer Arbeit. Die Schüler präsentieren in Eigenregie ein zweistündiges Programm, das in Gesang, Tanz, Spiel und in Sprache Abwechslung bietet.

Der Andrang ist groß, aber die zahlreichen Zuseher sind nicht nur aus Freude am Können der Kleinen erschienen. Das Nebeneinander von Deutsch und Slowenisch auf der Bühne läßt Emotionen hochkommen.

„Auch wenn ein Kind nicht für den zweisprachigen Unterricht angemeldet ist, muß es in einer zweisprachigen Klasse sitzen. Und während der Lehrer die angemeldeten Kinder auf slowenisch unterrichtet, werden die nichtangemeldeten mit Stillarbeiten beschäftigt. Dadurch kann ein Wissensdefizit entstehen“, befürchtet Sophie Pisar, Hausfrau. Sie jedenfalls wird ihr Enkelkind, das im Herbst mit der Schule beginnt, nicht zum zweisprachigen Unterricht anmelden.

Valentin, neun Jahre alt, kommt aus einer slowenischsprachigen Familie. Seine Mutter möchte, daß er die Muttersprache auch in der schriftlichen Norm beherrscht. Die Aggressivität in ihrer Stimme läßt die Bereitschaft erkennen, dafür auch zu kämpfen.

Franz Petschnig, Friseur, hat selbst slowenisch gelernt und erinnert sich an die Schwierigkeiten, die ihm das Deutsch noch in der Hauptschule bereitet hat. Er bedauert, daß seine Tochter Dun-ja eine zweisprachige Klasse besucht: „Dunja ist nur deutsch erzogen worden, aber auch wenn sie windisch (das ist der slowenische Dialekt Kärntens) verstünde, wäre die Diskrepanz zum Slowenischen zu groß, als daß ein Slowe-nischunterricht sinnvoll wäre.“

„Sprachen zu können, hat noch niemandem geschadet.“ Dieser Ansicht ist Gabriele Christian, Fabriksarbeiterin: „Meiner Tochter macht es Spaß, slowenisch zu lernen, und ich unterstütze sie dabei, weil es nur gut für sie sein kann.“

Obwohl die Eltern mittels Anmeldung über die Spracherziehung ihrer Kinder entscheiden können, wird am häufigsten der Vorwurf erhoben, den Schülern werde zwanghaft slowenisch beigebracht, schon allein weil sie dem gemischtsprachigen Unterricht beiwohnen.

„Das hat schon dazu geführt, daß ein Kind aus Protest und unter von zu Hause aufgeschnappten anti-slowenischen Parolen das Klassenzimmer verlassen hat“, erzählt Schuldirektor Ku-kovica. Und fragt dann: „Ist es denn so schlimm, seinen Nachbarn zu verstehen?“

Defizite in Deutsch hat er bei seinen Schülern noch nicht bemerkt: „Deutsch ist ohnehin die dominante Sprache, und die Kinder erlernen sie ja auch durch ihre Umwelt.“

Ein Punkt, in dem sich alle einig sind: Deutsch ist im Vormarsch, es ist die Sprache mit dem höheren sozialen Prestige und daher in den Familien, vor allem im Umgang mit Kindern, immer gebräuchlicher. Nur, was die einen bedauern - und sich aus Angst um das Bestehen der slowenischen Sprachgruppe'in Kärnten vehement dazu bekennen —, begrüßen die anderen: wer die Sprache mit dem höheren Prestige spricht, kommt selbst in dessen Genuß.

Ein nicht nur slowenenspezifischer Irrtum, der einer weitverbreiteten Arroganz gegenüber allen aus der Norm fallenden sprachlichen Varianten entspringt. Es entsteht ein Klima der Unsicherheit bis zur Selbstverleugnung dialektaler Gruppen und Minderheiten. Ist ihre Identität einmal untergraben, so sind sie in ihrer Existenz bedroht — das dokumentieren auch die drastisch sinkenden Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht.

„Wir können nur hoffen, daß sich das bis zum Schulbeginn noch ändert“, zeigt sich Vladimir Wakounig vom Institut für Schul-und Sozialpädagogik der Universität Klagenfurt besorgt.

Inzwischen wird auf der Bühne der Volksschule Sielach/Sele eine Bushaltestelle errichtet. Ein Bub fragt auf slowenisch einen Wartenden nach der Uhrzeit. Dieser schüttelt verständnislos den Kopf. Erst nach weiteren vergeblichen Versuchen wird der slowenisch Fragende verstanden.

„Politische Propaganda! Politik hat in der Schule nichts verloren!“ mokieren sich die Gegner des zweisprachigen Unterrichts.

„Politische Bildung und die Förderung des friedlichen Zusammenlebens zweier ethnischer Gruppen sind notwendig“, verteidigt sich der Schuldirektor: „Man hat mir auch schon vorgeworfen, den Nationalfeiertag und den Tag der Kärntner Volksabstimmung nicht gebührend zu feiern. Das Landesschulinspektorat hat sich aber vom Gegenteil überzeugt und ist mit der Führung der Schule einverstanden.“

Nicht so der sozialistische Bürgermeister: er montierte eines Morgens die zweisprachigen Klassenzimmerbeschriftungen eigenhändig ab. Der Schuldirektor hat ihn dabei überrascht, doch als alte persönliche Freunde haben sie den Konflikt mit einer Flasche Schnaps beigelegt. Seither kleben auf den Klassenzimmertüren auf Buntpapier gemalte zweisprachige Aufschriften. Und in den alten Bohrlöchern der Tafeln stecken Papierblumen.

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