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Die Nacht unterm Lampenschirm

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Die Wetterkuppel lag düster schillernd über dem Hoch-gebirg. Stein, Wald, Wiese, Zaun und Straße ließen sich kaum unterscheiden. Einzig die Siedlungen waren an ihren hellen Fenstern erkennbar. Den Schiern hinauf verkleinerten sich die Gevierte zu Perlschnüren und Lichttupfen. Das Krippendorf Kastel-

ruth glich nxm dem transparenten Lampenschirm, den ich als Kind geklebt hatte. Er leuchtete gedämpft mit blauen, roten, grünen, gelben und violetten Edelsteinaugen durch meine vielen Kinderkrankheiten und hielt in mir die Ungeduld wach, noch viele solcher Modellierbogen auszuschnitzein.

Die zwei werden wohl schon im Ort sein, schätzte Hildegard. Und wenn sie nichts finden?

Dann, entschied ich, übernachten wir im Auto.

Setzen wir uns einmal hinein.

sonst verkühlst du dich, sagte sie. Die Höhenluft oder das Unbehagen machte uns frösteln. In die Polsterung gekuschelt, empfanden wir die geschwisterliche Vertrautheit mehr als sonst. Die kleine Kabine inmitten der ausgelöschten Landschaft wurde zur Salzburger Kutsche. Und mein Bewußtsein wiegte sich schlaftrunken mit dem Blick auf den Lampenschirm, bis er zu jenem zeitlosen Nachtstück zusammenschrumpfte, das, immer schon dagewesen, in seiner letzten Wiederholung noch kein Jahr zurücklag. Meine Schwester gehörte auch in diese Erinnerung. Nur war der Lampenschirm ein scheckiges Seidentuch geworden, und die Kutsche ein Spitalszimmer.

Ist dir nicht gut? hörte ich Hildegard fragen, in rosiger Gesundheit über mich geneigt xmd bemüht, in meinem Gesicht zu lesen.

Ihre Besorgnis erheiterte mich zu emem Lachein, weil nun sie an der Reihe war. Inwendig lauernde Probleme befremdeten und beunruhigten sie in dem Maß, als sie äußerliche Gefahren leichtnahm. Ich hinwieder wurde auf der Oberfläche zuweilen schwindlig. Darum wollten wir abwechselnd einander das Leben besoiützen.

Schon besser, sagte ich, dankbar für ihre Gegenwart, in der sich unsere Mutter leise zu erkennen gab. Nicht allein die Mutter. Ich brauchte nur die Augen zu schließen, und das warme Taxikutschenbett wurde eine wolkige Hängematte, die rhythmisch im-ter dem Bildhimmel meiner jenseitigen Gesellschaft schwang.

Alles ist nah. Es verfließen die Säume, / Von den Gewittern der Schöpfung berührt, / Alles ist wahr, blitzte es durch mein dämmerndes Bewußtsein… ist Wahr… heit, was ich mir träume, was ich mir reime… gelöst von der Bürde… und ledig der Zäime… Räume, Schäume, Bäume, Keime, kraime, Leime, Feime, gleime, geheime…

Zum Schauen entführt, stotterte und stolperte ich, von Dichterimpulsen getrieben und auf neue Blitze gefaßt. Sie kamen nur zögernd als Wetterleuchten.

Schläfst du? hörte ich Hildegard flüstern, während mich mein abwesendes Selbstgespräch zu den Unsichtbaren weitertrug. Unhörbar natürlich, sonst hätte sie mich angeblinzelt wie seinerzeit unsern guten Kindheitsonkel Fritz, wenn er feierlich als Zauberer oder als Nikolo auftrat. Meine mystischen Anwandlungen nahm sie wohl ernster. Sie zog mich, wenn ich versank oder schwerelos wurde, so schüchtern als auch nüchtern ins angeborene Element zurück. Sie fragte: Soll ich dir Rotwein holen?

Mein Finger an den Lippen beschwichtigte sie zu jener Geduld, mit der ich immer wieder ihre neun Monate miterlebt hatte. Nun hoffte ich, an die endlose Geborgenheit zwiespältig hingegeben, daß meine Einbildungen zu Harmonie würden. Noch verwirrten sie mein Hirn, noch waren sie nichts als menschlicher Widerhall der unerschöpflichen Urkraft, die mit ein paar Funken eingeschlagen hatte. Sie gewitterte mir durch Verstand und Sinne und entfachte meinen dichterischen Eifer zur Leidenschaft.

Ich betete, mechanisch und taktsicher mit den Fingern skandierend und verzweifelt um das Sinngemäße bemüht, indem ich meine Einbildungen hemmungslos durch das Labyrinth der Sprache jagte und Gedankenlücken mit Zufallswörtern übersprang.

Aus dem Nachlaß der 1983 verstorbenen Autorin erscheint demnächst im Verlag Sty-ria, Graz, die Erzählung, JJie Reise nach Bri-xen“ , der dieser Abschnitt entnommen ist.

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