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Die Nachtigall soll völkisch singen

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Singen mehrerer Chöre von Gemeindebediensteten statt, wobei man den Bürgermeister durch Vorträge geistlichen Inhaltes zu erfreuen hoffte. Dr. Schmitz kam von politischen Besprechunigen sehr verspätet zu dieser Veranstaltung und fiel durch seine gedrückte Stimmung auf. Am darauffolgenden Tag stand er bereits als Nachfolger Dr. Schuschniggs und Urheber von Widerstandsplänen in öffentlicher Diskussion. Sein telephonischer Versuch, in Paris stärkere Unterstützung der österreichischen Sache zu finden, wurde nur der engeren Umgebung bekannt und erinnerte an seine kurze Amtszeit als Außenminister in einem längst vergessenem Kabinett. Rund um das Rathaus fanden am 11. März mehrere Demonstrationen statt. In den späten Nachmittagsstunden erschien Vizebürgermeister Fritz Lahr mit einigen Nationalsozialisten vor den fürsorglich geschlossenen Gittertoren des Gebäudes und begehrte Einlaß sowie Aussprache mit Dr. Schmitz, der nur noch von wenigen Beamten und den Kommandanten der Rathauswache umgeben war. Lahr gab sich dem aufs höchste befremdeten Bürgermeister als Vertreter des kommenden Regimes zu erkennen und erklärte, Dr. Schmitz solle froh sein, daß kein extremer Verfechter des Nationalsozialismus vor ihm stehe. Lahr forderte die Hissung einer Hakenkreuzfahne am Rathaus und machte sich erbötig, diese zu besorgen. Nach solchem Zwischenspiel zog sich Dr. Schmitz in seine Räumlichkeiten zurück, erschien gegen 23 Uhr abermals, um die letzten noch wartenden Mitarbeiter kurz zu verabschieden. Richard Schmitz hatte bereits mehrere Beamte des Präsidialbüros, die den Nachmittag über Akten und Aufzeichnungen in altertümlichen Zusatzöfen neben der Zentralheizung verbrannten, gegen 19 Uhr

Vater noch die Wohnung verlassen und über den Keller des Rathauses flüchten können. Beim Portal wäre er ja zweifellos von den immer zahlreicher aufkreuzenden SS-Leuten angehalten worden. Aber Schmitz lehnte es ab, sich auf diese Weise zu entfernen, ja er glaubte, durch sein Ausharren den Angehörigen und den Gesinnungsgenossen das künftige Schicksal zu erleichtern. Wenig half jetzt die Erinnerung an Verdachtsmomente, die schon seit längerem im Familienkreise diskutiert worden waren und die der Bürgermeister stets als unglaublich von sich gewiesen hatte. So hatte es geheißen, daß einer der beiden Kriminalbeamten, die bislang für seine Sicherheit sorgten, illegaler Nationalsozialist und Geldempfänger aus Deutschland sei. Der Lebensstil des Betreffenden lag jedenfalls weit über den Gehaltsmöglichkeiten eines österreichischen Polizisten anno 1937. Ein anderer brauner Kämpfer beobachtete den Bürgermeister als Hausdiener und verfügte über Nachschlüssel zum Safe im Schlafzimmer der Familie Schmitz.

Gegen Abend des 12. März 1938, nachdem bereits immer häufiger in der Dienstwohnung von SS-Männern auf den Führer“ beschlossen. Das kommissarische Wirken endete jedoch bereits am darauffolgenden Sonntag: In den Nachmittagsstunden des 13. März erging an einige Rathausfunktionäre der Auftrag, den von Dr. Seyß-Inquart neuernannten Bürgermeister Wiens, Dipl.-Ing. Hermann Neubacher, von dessen Nobelvilla in Gersthof mit zwei Autos abzuholen. Lahr mußte verschwinden, ließ es sich aber nach einiger Zeit angelegen sein, ehemalige Untergebene oder Kollegen der früheren Ära über den Zwang der Umstände, unter denen er während der Umbruchstage agierte, eingehend zu informieren und daraus die Entschuldbarkeit seines Verhaltens abzuleiten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, den er als Offizier der Deutschen Luftwaffe mitmachte, wagte er es jedoch nicht, nach Wien zurückztikehren, obwohl er sich im Kameradenkreis durch Vorträge und Äußerungen bereits in betont österreichischem Sinn hervorgetan hatte. Sein Traum war zu Ende.

Der Abend und die Nacht von Freitag auf Samstag, also vom 11. auf den 12. März, war voll von Begeisterung, Entschlüssen, unbegrünlich geworden war, geschlossen zur Annexions-Feier vor der Hofburg am 15. März 1938 geleitet. Die Entfernung mißliebiger Elemente, deren Versetzung, Entlassung oder Verfolgung wurde je nach der Sachlage intensiviert: Beim Magistrat erfolgten 1091 Entlassungen und Maßregelungen, darunter nicht weniger als 396 leitende Funktionäre (54 Hingerichtete, zu „lebenslänglich“ Verurteilte, ins KZ Verschickte usw. werden 1945 für den Bereich der Stadt. Feuerwehr angegeben, 17 Hingerichtete bei den Stadt. Gaswerken). Dementsprechend stieg auch die Selbstmordrate.

Die „Reinigung“ in Wien wie auch in den Landeshauptstädten zerfiel in zwei Teile: Einerseits das Abspalten der politisch Untragbaren und andererseits die Eliminierung des jüdischen Kulturanteiles. Ersteres wurde im Stofflichen der Öffentlichkeit entzogen oder umgedeutet, eingeordnet und neu interpretiert, in der Person vernichtet, abgesondert, gemaßregelt, zum Widerruf oder zur Anpassung gezwungen. Gerne hätten die Verantwortlichen alle damit in Zusammenhang stehenden Fragen schnellstens erledigt gewußt. So erwähnt der braune Wiener Ratsherr und Parteischwundene, schwarz-rot schillernde Dr. Karl Winter, der bis in die Steinzeit zurückging und von dort her den Beweis zu führen versuchte, daß der Österreicher und vor allem der Wiener eine eigene Rassenkonstanz verkörpere. Andere waren vorsichtiger und bewegten sich mehr in den geistreichen Betrachtung einer universalistischen Kulturphilosophie. Der klare Gang des volklichen Besinnens hat alle diese manchmal nicht unschlauen Versuche, das geschichtlich begründete Selbstbewußtsein des Wieners und den berechtigten Stolz auf seine Stadt in ihre politischen Geheimkanäle abzulenken, bald vereitelt. Die Bevölkerung dieser Stadt ist deutsch mit Leib und Seele. Wenn noch geraume Zeit nach dem nationalsozialistischen Umbruch ein Wiener Kulturbeflissener als eine verspätete Nachtigall altösterreichischer Tradition mit falschem Schmelz den Sang aufklingen ließ, daß Wien im innersten Wesen konservativ sei und daß daher auch jede Revolution hier irgendwie einen komischen Beigeschmack gehabt hätte, darin verrät dieses seichtelnde Wohlmeinen eine Unkenntnis des geschichtlichen Erlebens Wiens, die kaum entschuldbar Ist.“

Bei der Nachtigall handelte es sich sogar um einen weltanschaulichen Gesinnungsverwandten des Kritikers, doch nähere Umstände wurden von Berner, wie damals üblich, verschwiegen. Um so mehr war diese Diskretion bei der blutigen Verfolgung von Männern und Frauen des

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