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Die nächsten 30 Jahre...

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Nun sind die Feste anläßlieh des 30jährigen Bestandes der Zweiten Republik und in Erinnerung des vor zwanzig Jahren erfolgten Abschlusses des Staatsvertrages verrauscht. Wie manchenorts nicht zu Unrecht festgestellt wurde — es wäre schön gewesen, wenn es weniger Parteifeiern und -feste, dafür aber mehr Veranstaltungen gegeben hätte, an denen sich das ganze Volk und vor allem auch alle Repräsentanten des Volkes ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit beteiligt hätten. Vielleicht waren diese Einzelfeiern eine mehr oder weniger zwingende Folge des derzeitigen Regierungssystems der Konfrontation und nicht der Kooperation.

Wie immer dem sei, auf jeden Fall haben — hoffentlich zumindest — alle diese Feiern, von wem immer sie veranstaltet wurden, zum Nachdenken angeregt.

Zum Nachdenken etwa darüber, daß uns wohl alle jetzt stattgefundenen Feiern zwangsläufig erspart geblieben wären, wenn sich nicht im Jahr 1945 alle Österreicher, vor allem aber die beiden großen politischen Lager dieses Landes, über alles Trennende und Gegensätzliche, über alles Mißtrauen und über alle Feindschaft hinweg — und diese Feindschaft lag damals erst elf Jahre zurück — zum gemeinsamen Wiederaufbau zusammengefunden hätten.

Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden, daß in den hinter uns liegenden drei Jahrzehnten Großes in Österreich und für Österreich geleistet wurde und daß dies nur deshalb möglich war, weil das österreichische Volk aus der Geschichte gelernt hat.

Wenn diese Feststellung richtig ist, liegt es dann nicht nahe, ja drängt sich dann nicht geradezu der zwingende Gedanke auf, daß wir alle, das ganze österreichische Volk, vor allem aber diejenigen, die die letzte Verantwortung tragen, heute, dreißig Jahre später, genau das gleiche tun müßten, was jene getan haben, die 1945 aus der Geschichte der Ersten Republik gelernt und aus dieser Lehre die richtigen Konsequenzen gezogen haben?

Das heißt nicht mehr, aber auch nicht weniger, als daß das ganze österreichische Volk, daß vor allem aber auch die verantwortlichen Politiker in diesen Tagen, nachdem die Feiern abgeklungen sind, versuchen müßten, ganz nüchtern darüber nachzudenken, welche Lehren jetzt, im Jahr 1975, aus der Geschichte der dreißig Jahre von 1945 bis 1975 zu ziehen sind, was vor allem zu tun ist, damit unsere Kinder und Kindeskinder nach weiteren dreißig Jahren, so wie es uns in diesen Tagen gegönnt war, Gedenkfeiern, und zwar dann anläßlich des 60jähri-gen Bestandes der Zweiten Republik und anläßlich des vor 50 Jahren erfolgten Abschlusses des Staatsvertrages, in einem freien und friedlichen Österreich veranstalten können.

Gewiß kann 1945 nicht ohne weiteres mit 1975 verglichen werden. Damals ging es um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Vaterlandes und um die Erringung der Freiheit und Unab-hängigkit. Heute geht es um die Erhaltung und Sicherung dieser Freiheit und vor allem darum, wie die Zukunft dieses Landes beschaffen sein soll.

Und doch finde ich so manche Parallele.

Gerade die Ereignisse der jüngsten Zeit haben mit erschütternder Eindringlichkeit vor Augen geführt, daß der Friede auf Erden noch immer, ja vielleicht sogar heute noch mehr als vor dreißig Jahren, eine Fata

Morgana ist und daß das Schicksal kleiner Staaten noch immer, trotz aller Beteuerungen, vom mehr oder weniger guten Willen der Großen und Mächtigen abhängt. Die wirtschaftliche Entwicklung ist gleichfalls nicht dazu angetan, daß man der Zukunft womöglich mit besonderer Zuversicht entgegensehen könnte.

Die Schlußfolgerungen, die aus dem Gesagten vor allem dann zu ziehen sind, wenn wir mit Fug und Recht behaupten wollen, daß wir aus der Geschichte der letzten dreißig Jahre gelernt haben, sind geradezu zwingend die folgenden: Was im Jahr 1945 das Gebot der Stunde war — das Zusammenstehen aller Kräfte, denen an der Zukunft des Landes gelegen war — ist im Jahr 1975 ein Gebot der Vernunft und der höheren Einsicht.

So manches liegt in unserem Land im argen und bedarf dringend der Herbeiführung eines Konsenses aller Kräfte, die an die Zukunft Österreichs glauben.

Ich rede vom österreichischen Bundesheer, von der Außenpolitik, der Währungspolitik und von der Lage der Staatsfinanzen. Vor allem aber geht es darum, das Fundament für die nächsten 30 Jahre zu legen. Dazu ist einer allein nicht imstande, dazu bedarf es aller positiven Kräfte dieses Landes.

Bereits im Jahr 1973 habe ich auf die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit einer Konzentration aller Kräfte nach den nächsten Nationalratswahlen hingewiesen.

Diese meine Auffassung hat durch die zwischenzeitige Entwicklung innerhalb und außerhalb Österreichs ihre Bestätigung gefunden.

Wenn immer wieder behauptet und festgestellt wird, über die Form der Zusammenarbeit entscheide letzten Endes das Volk selbst, und diese Entscheidung falle erst am 5. Oktober, erst nach dieser Entscheidung könne eine Stellungnahme abgegeben werden, welche Art der Zusammenarbeit in Frage konme, dann sage ich dazu in aller Offenheit und mit der gebotenen Deutlichkeit: das Volk hat ein Recht darauf, bereits vorher zu erfahren, welche Vorstellungen und Absichten für nachher bestehen.

Ich bin zutiefst davon tiberzeugt, daß das österreichische Volk in Anbetracht der internationalen Lage und vor allem auch auf Grund der Ungewißheit über die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Situation in Österreich sehr beruhigt wäre, wenn es aus dem Munde der verantwortlichen Politiker der drei im Parlament vertretenen Parteien die bindende Zusicherung hörte, daß nach den Wahlen vom 5. Oktober 1975, wie immer sie ausgehen mögen, auf breitester Basis zusammengearbeitet werden wird, zumindest solange zusammengearbeitet wird, bis durch einen größtmöglichen Konsens in den existentiellen Fragen die Grundlage für einen neuen Beginn und damit für die nächsten dreißig Jahre gelegt ist.

Es soll mir keiner der maßgeblichen Politiker kommen und womöglich sagen, daß durch eine solche Erklärung vor den Wahlen der Wähler präjudiziert werde ~ im Gegenteil, ich bin vielmehr fest davon überzeugt, daß ein derartiges Bekenntnis zu einer Zusammenarbeit gerade in Anbetracht des bevorstehenden Wahlkampfes einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Vertrauens der Österreicher zu den politischen Parteien und zu den Politikern, und damit zur Festigung der parlamentarischen Demokratie in Österreich bedeutet.

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