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Die Nazi-Angst vor den „Feindsendern”

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Unsere Gegenwart wird oft als Medienzeitalter bezeichnet, womit die enorme Bedeutung insbesondere von Rundfunk und Fernsehen gemeint ist. Den überwiegend positiven Seiten dieser Erscheinung wie Meinungsvielfalt und umfassende Information, stehen auch manche problematische Erscheinungen gegenüber. Aber wir sollten uns auch daran erinnern, daß es eine Zeit gab, in der das Radiohören, konkret das Abhören sogenannter „Feindsender”, als Verbrechen galt und schwerste Strafen nach sich zog.

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Unsere Gegenwart wird oft als Medienzeitalter bezeichnet, womit die enorme Bedeutung insbesondere von Rundfunk und Fernsehen gemeint ist. Den überwiegend positiven Seiten dieser Erscheinung wie Meinungsvielfalt und umfassende Information, stehen auch manche problematische Erscheinungen gegenüber. Aber wir sollten uns auch daran erinnern, daß es eine Zeit gab, in der das Radiohören, konkret das Abhören sogenannter „Feindsender”, als Verbrechen galt und schwerste Strafen nach sich zog.

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Demnächst - am 30. August -werden es 50 Jahre, daß der Korbflechtermeister Franz Ciganek und dessen Frau Vinzenzia aus Hollabrunn von einem sogenannten Sondergericht wegen Rundfunkverbrechens zum Tode beziehungsweise zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurden. In der Urteilsbegründung hieß es unter anderem: „...sie haben regelmäßig Feindsender abgehört und damit die Widerstandskraft des deutschen Volkes gefährdet.” Bereits am 7. Juli 1943 wurde wegen des gleichen „Verbrechens” der Arzt und Widerstandskämpfer Dr. Adalbert Springer zum Tode verurteilt und am 18. September des gleichen Jahres hingerichtet. Ein Gnadengesuch wurde vom „Führer” Adolf Hitler abgelehnt: „Ich bestätige das Urteil. Die Todesstrafe ist zu vollstrecken.”

Rundfunkverbrechen

Nach den Akten der Sonder- und Volksgerichte, der geheimen Staatspolizei sowie Berichten von NS-Parteistellen - der Interessent sei hier auf die Unterlagen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes verwiesen - waren allein in den damaligen „Donau- und Alpengauen”, der Name Österreich war bekanntlich abgeschafft, mehr als 200 Verfahren anhängig.

Die Historiker sprechen von mehreren hundert Fällen. Wobei ja die Dunkelziffer, das heißt die Zahl derjenigen, die nicht erwischt wurden, wesentlich höher war. So heißt es in einem Bericht der Gestapo vom 10. März 1944: „Das Abhören von Feindsendern ist weit verbreitet... die unsinnigsten Gerüchte werden geglaubt und weitererzählt.” Letzteres galt als besonders erschwerend bei der Strafzumessung.

In der „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen” vom 1. September 1938 hieß es:

„1 Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandlungen werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benützten Empfangsanlagen werden eingezogen.

2 Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich verbreitet, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft.”

Aber auch wer mit einer Freiheitsstrafe davonkam, dies galt nicht nur für „Rundfunkverbrecher”, sondern auch für sonstige „Volks- und Hochverräter”, konnte deswegen nicht aufatmen. In vielen Fällen wurde im Anschluß an die Straftat die Überstellung zu einer Strafeinheit der Hitler-Wehrmacht oder in ein Konzentrationslager verfügt, von wo viele nicht zurückkehrten.

Angesichts der bekannten Verhältnisse im „Dritten Reich”- die Medien wurden vom Regime beherrscht und skrupellos-demagogisch propagandistisch ausgenützt - war das Abhören ausländischer Rundfunksender die einzige Möglichkeit, sich Informationen über die tatsächlichen Vorgänge in Deutschland oder über die Kriegslage zu verschaffen. Vom Reichsrundfunk wurde ja bis zuletzt der „Endsieg” propagiert. Auch noch zu einer Zeit, als den Verantwortlichen vor allem dem „Führer” selbst, klar wurde, „daß dieser Krieg nicht gewonnen werden kann.” So die Aussage eines Hitler-Vertrauten nach 1945.

Die „Feindsender” hatten aber nicht nur eine Informationsfunktion. Man schöpfte auch Kraft und Hoffnung auf ein Ende des braunen Mord- und Terrorregimes. In der sogenannten „Ostmark” wurde vor allem auch die Hoffnung auf ein Wiedererstehen eines selbständigen und freien Österreich gestärkt. Was auch eine Ermutigung der Widerstandsgruppen bedeutete. Und auch jene, die zwar nicht aktiv gegen das herrschende Regime kämpften, was ja bekanntlich nicht so einfach war, aber doch eine Art passiver Resistenz betrieben, indem sie, etwa in Rüstungsbetrieben nur soviel leisteten, daß man sie nicht als Saboteure entlarven konnte. Durch die „Feindsender” erfuhren die Hörer auch von der Moskauer Deklaration aus dem Jahre 1943, in der die Wiederherstellung eines selbständigen Österreich als eines der Kriegsziele der Allierten erklärt wurde.

Die Rolle der Emigranten

Es ist den österreichischen Emigranten in verschiedenen Ländern, vor allem aber in Großbritannien zu danken, daß über die deutschsprachigen Sendungen hinaus auch die Österreicher im besonderen angesprochen wurden. Wie Helene Maimann in ihrem Werk „Politik im Wartesaal”, berichtet, wurden im Frühjahr 1941 die österreichischen Sozialisten vom BBC zur Gestaltung einer eigenen Sendung nach Österreich herangezogen. „Im Juli 1941 nahm der Sender .Radio Rotes Wien' seine Tätigkeit auf und sendete täglich Aufrufe nach Österreich, die die kleine noch existierende Flamme des Widerstandes aufrechterhalten und ihr Mut zusprechen sollte.”

Eine Schwierigkeit ergab sich dabei, daß die britische Propaganda noch längere Zeit, die Österreicher nicht als eigene Nation auffaßten. Die bereits erwähnte Moskauer Deklaration bildete hier eine wesentliche Zäsur. Im Jahre 1943 erfolgte die Gründung eines eigenen österreichischen Dienstes, doch auch bis dahin waren zahlreiche Exil-Österreicher, darunter bekannte Journalisten, Schriftsteller, Schauspieler, Politiker und Wissenschafter beim BBC in verschiedenen Funktionen tätig.

Und nützten ihren Einfluß in patriotischer Weise aus, was nicht immer leicht war. Hier muß insbesondere auch die Emigrantengruppe Free Austria Movement (FAM) erwähnt werden, die sich gegen eine deutschsprachige Sendereihe wandte, in der „zwischen der kleinen antinazistischen Minorität in Österreich und dem mit dem NS-Regime einverstandenen Großteil der Bevölkerung” unterschieden wurde.

Über Initiative der FAM erfolgte auch die Gründung einer Vereinigung „Friends of Austria” die die Integration von britischen Sympathisanten für Österreich bezweckte und beachtliche Erfolge aufweisen konnte. Dem gleichen Zweck diente auch die Gründung der „Anglo-Austrian Democratic Society”, deren Initiator Friedrich Scheu war.

Sender „Christus König”

In England gab es auch, als Folge der Schwierigkeiten mit der BBC, die der offiziellen Linie der britischen Regierung folgte, bei der es lange an einer bewußten Österreich-Politik mangelte, sogenannte „Untergrundsender.” Hier ist vor allem der Sender „Christus König” zu nennen, der in der Zeit von 1942 bis 1945 agierte und sich vor allem an süddeutsche und österreichische Katholiken wendete. „Christus König” verfolgte das Ziel, durch Darlegung der Antithese von christlichen Grundsätzen und NS-Praktiken, durch die Stimulierung des Friedenswunsches der Katholiken in Österreich, aber auch in Süddeutschland, die Trennungslinie zwischen Katholiken und dem NS-Regime klarzustellen. Insbesondere wurde auch auf die ständige Mißachtung der zehn Gebote Gottes durch das NS-Regime hingewiesen. Sprecher und Redakteur des Senders war der junge, aus der Steiermark stammende Malteserpriester Elmar Eisenberger, der sich seit 1938 in England befand.

Es erfolgte auch die Einbeziehung von bekannten österreichischen Emigranten in BBC-Spezialprogramme, in denen sich diese an ihre Freunde und Kampfgefährten in Österreich wenden konnten. So die Sozialisten Karl Czernetz, Julius Braunthal, Paul Fent, Hans Lenk, Franz Svianicz sowie die Kommunisten Franz West und Hans Winter. Wie in der Publikation „Österreicher im Exil von 1938 bis 1945” ausgeführt wird, wurden am 1944 auch von aus Österreich stammenden Kriegsgefangenen gestalteten Sendungen gebracht, in denen diese zum aktiven Widerstand aufriefen.

In diesem Zusammenhang müssen auch die Österreich-Sendungen des Moskauer Rundfunks erwähnt werden, die gleichfalls maßgebend von österreichischen Emigranten mitgestaltet wurden.

Mit den Waffen des Humors

Das Abhören der „Feindsendungen” war auch ein beliebter Gegenstand von NS-feindlichen Flüsterwitzen, die unter vorgehaltener Hand von Mund zu Mund weitergegeben wurden. Nachstehenden einige Beispiele:

„ Was ist der Unterschied zwischen einem Zwei-Röhrenapparat und einem Fünfröhrenapparat? ”

„Im Zweiröhrenapparat hört man Deutschland, Deutschland über alles' und im Fünfröhrenapparat Alles über Deutschland'.”

Oder: Der bekannte bayrische Komiker Weiss Ferdl kommt mit einem funkelnagelneuen Radioapparat auf die Bühne. Er dreht an einem Knopf und sagt: „Da hab ich jetzt Berlin, wenn ich ein bißchen weiterdrehe, bekomme ich Salzburg. Und wenn man noch ein Stückerl weiterdreht, kommt man nach Dachau.”.

Was für die gewöhnlichen Volksgenossen mit strengen Strafen bedroht war galt - auch für diesen Bereich - nicht für die NS-Herren-schicht. Auch dazu ein Beispiel:

Sagt einer zu seinem Arbeitskollegen. „Die Alliierten sind in Frankreich gelandet und marschieren rasch vor. Die Wehrmacht ist überall...”

„So, woher weißt Du denn das? In der Zeitung ist es nicht gestanden.”

„No, vom Londoner Sender...”

„Bist Du wahnsinnig. Das ist doch ein Verbrechen. Das traust Du Dich?”

„Ich nicht, aber der NS-Blockleiter, der neben mir wohnt. Und manchmal dreht er so laut auf, daß ich mithören kann.”

Dazu paßt auch eine Passage in der bereits erwähnten „Rundfunkverordnung.” Im Paragraph 3 heißt es: „Die Bestimmungen dieser Verordnung gelten nicht für Handlungen, die in Ausübung des Dienstes vorgenommen werden.” Dieser Passus wurde offenbar sehr weitherzig interpretiert.

Hier noch ein konkretes Beispiel: Im Jahre 1944 brachte der britische Rundfunk Meldungen über die NS-Massenverbrechen in Auschwitz. Und kündigte eine Bestrafung der Schuldigen an.

Manche SS-Leute waren von diesem Zeitpunkt an merklich gekennzeichnet. Auch dies eine Folge der „Feindsender”.

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