7025519-1989_10_09.jpg
Digital In Arbeit

Die neue Baukunst: Viele Wege zum Stil der Zeit

Werbung
Werbung
Werbung

Postmoderne? Funktionalismus? Anonyme Architektur? Neuer Regionalismus? Wie heute Kirchen bauen? Unbehagen überfällt einen angesichts monströser Verwaltungsbauten und Wohnblocks, gesichtsloser Einfamilienhäuser, „behübschter“ Kirchen. Im Dossier kommen Vertreter unterschiedlicher Grundhaltungen zu Wort.

Zu Beginn dieses allmählich zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts neigten Architekten zum Verfassen leidenschaftlicher Manifeste. Die Befreiung von den Fesseln des Historismus sollte den Aufbruch in eine neue Sachlichkeit, in eine neue, bessere Zeit signalisieren.

Von Anfang an standen sich die von der Ratio dominierten Architekten und jene, für die irrationale Elemente ausschlaggebend wa-

ren, unversöhnlich gegenüber. Auf einer Seite „Bauhaus“, „Stijl Gruppe“, „Futuristen“, auf der anderen „Art Nouveau“, „Sezession“, „Jugendstil“. „Moderne Architektur“ — das aber war der Sammelbegriff für die aufregenden Bauten beider Richtungen: Die Funktionalismen eines Walter Gropius im Gegensatz zu den expressiven Formen eines Erich Mendelsohn, die geometrischen Glaskuben eines Ludwig Mies van der Rohe gegen die organhaften Formen eines Hugo Häring, die leidenschaftliche Ornamentlosig- keit eines Adolf Loos gegen die fein ziselierten Bauten eines Josef Hoffmann und die spartanische Klarheit eines Ernst Plischke gegen die pathetischen Bauten eines Clemens Holzmeister.

Allerdings war der Anteil dieser Avahtgarde am Gesamtbaugeschehen winzig. Den Großteil beherrschten die Nachzügler des Historismus und Vertreter des inzwischen wachgewordenen und die „Anonyme Architektur“ ablösenden Heimatstils.

Geradezu explosionsartig hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Richtung des Funktionalismus, der Ratio - weil mit den wichtigsten Strömungen der Zeit völlig identisch — durchgesetzt. Die Fortschrittsideologie der Pioniere wurde jedoch sehr bald von reinem Zweckrationalismus ab gelöst. Beinahe weltweit entstanden gigantische ungeliebte Bauten, alle legitimiert durch das einseitige Gütesiegel „Moderne Architektur“.

Bemühungen der Architektur, die mit diesen Bauten verlorengegangene Ausdruckskraft und

Lebendigkeit zurückzugewinnen, haben vereinzelt bald eingesetzt— ein Beispiel dafür ist das Spätwerk von Le Corbusier.

Mit dem wachsenden Verdruß über die Unterkühltheit der vielen „Kisten“ wuchs auch die Einsicht, daß ohne Verpflichtung zur

Vergangenheit Architektur zur Unverbindlichkeit entartet. Die Ausbrüche aus dem Diktat dieser „Modernen Architektur“, die sich immer rascher, aber auch immer zügelloser und rücksichtsloser wie eine Seuche vermehrten, bekamen das merkwürdige Markenzeichen „Postmoderne Architektur“. Damit kann so ziemlich alles bezeichnet werden, was seit 1972 in der Architektur passierte.

Immer noch die „Moderne Architektur“, allerdings weiterentwickelt und verfeinert; ein vielfältiges Panorama der Regionalismen; Rückgriffe auf beinahe alle „Anonymen Architekturen“ — besonders in Feriendörfern — zudem der Neoexpressionismus (etwa bei Günther Domenig und bei der Coop. Himmelblau); ein neuer Eklektizismus als Sammelbecken historischer Formelemente; der Strukturalismus; ein neuer Mystizismus (etwa bei Heinz Tesar); viele Varianten von Alternativ- Architekturen mit dem Versuch, ökologische Forderungen in Architektur umzusetzen.

Auch so etwas wie einen Exhibitionismus gibt es. Dazu wäre etwa das Hundertwasser-Haus in Wien zu zählen. Diese Entwicklung weist allerdings schon.bedenklich in Richtung Kuriositätensammlung.

Die Situation ist kaum mehr überschaubar, beinahe chaotisch.

Was nun? Die Protagonisten dieser vielen Architekturauffassungen sollten ihre Schützengräben verlassen und miteinander reden. Die Auseinandersetzungen sollten offen und möglichst unter Einbeziehung der Öffentlichkeit erfolgen. Solange Architektur auf Proteste stößt, ist sie lebendig und auch „modern“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung