7027512-1989_17_03.jpg
Digital In Arbeit

Die neue Kraft der Solidarität

19451960198020002020

Wunder sind auch in Polen selten: Der Wiederzulassung der Solidarnpšč ging ein harter politischer Kampf voraus. Über die Zukunft Polens sprach die FURCHE nnit Lech Kaczynski von der Danziger Solidarnošč.

19451960198020002020

Wunder sind auch in Polen selten: Der Wiederzulassung der Solidarnpšč ging ein harter politischer Kampf voraus. Über die Zukunft Polens sprach die FURCHE nnit Lech Kaczynski von der Danziger Solidarnošč.

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE:Die unabhängige Gewerkschaft Solidarnošč ist wieder zugelassen. Handelt es sich um eine neue Solidarität?

LECH KACZYNSKI: Das kann man so nicht sagen. Die Solidarität ist wiederhergestellt worden. Fragen muß man danach, welche Interessen sie vertreten wird. Ich glaube, daß sie die arbeitenden Menschen vertreten wird. In einem gewissen Sinn übernimmt Solidarnošč aber auch die Aufgabe, die gesamte Gesellschaft zu ihrem Anliegen zu machen; dies aber in einem geringeren Ausmaß. Und zwar deswegen, weil die Solidarität jetzt kleiner wird und unser politisches Leben pluralistisch geworden ist.

FURCHE: Wie stark ist denn Solidarnošč?

KACZYNSKI: Die Solidarität bleibt jetzt und in Zukunft die Hauptkraft der Opposition. Ich meine, es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, daß die Solidarität entscheidend mehr Kraft hat als alle anderen politischen Gruppierungen zusammen. Aber Solidarnošč ist nicht mehr die einzige Kraft. Und ich finde das gut so.

FURCHE: Aber auch innerhalb der Solidarität gibt es Fraktionen.

KACZYNSKI: Konflikte über Richtungen hat es bereits 1980/81 gegeben. Ich würde auf keinen Fall die innere Situation der Solidarität dramatisieren. Man muß bedenken, daß wir es auch mit einer Gruppe von Menschen mit links orientierten Anschauungen zu tun haben. Auf der anderen Seite stehen Leute mit christlichdemokratischer Uberzeugung. Und diese Gruppe will das Sagen in der Solidarnošč haben. Als eine weitere natürliche politische Erscheinung würde ich die verschiedenen Gruppen radikaler Jugendlicher betrachten, die sich jüngst entwickelt haben.

Die Vorstellung, daß es in Polen wie vor acht Jahren wieder einen gesellschaftlichen Dualismus — hier Regierung, da die in der Solidarnošč repräsentierte Gesellschaft - geben wird, finde ich naiv.

Wir haben in den achtziger Jahren einen großen Schritt nach vorwärts getan, und zwar in gesellschaftlicher Hinsicht, wenngleich unser ökonomisches System im Vergleich zu anderen Ländern nachhinkt.

FURCHE: Ist Solidarnošč auf dem Wege zu einer politischen Partei?

KACZYNSKI: Solidarnošč will vorläufig eine Gewerkschaft bleiben. Unsere politische Struktur ist noch nicht ausgeformt. In knapp zwei Monaten haben wir die erste Wahletappe. Momentan gibt es keine andere Kraft, der die ganze Opposition folgen würde und die das Ganze so organisiert, daß die Wahlen mit einem Erfolg für die Opposition enden.

FURCHE: Schwebt der Solidarnošč eine Koalition der Opposition vor?

KACZYNSKI: Im Sejm wird nach wie vor die Partei mit den ihr wohlgesinnten Kräften — darunter auch katholische Abgeordnete - 65 Prozent der Abgeordnetensitze innehaben. Nur 35 Prozent stehen für freie Wahl zur Verfügung. Wer 3.000 Unterschriften besitzt, kann kandidieren. Die Solidarnošč will ihre Kandidaten vorstellen - für jedes Mandat einen Kandidaten. Dasselbe gilt für die Kandidaten des Senats, die alle frei gewählt werden können.

FURCHE: Hat die Solidarnošč mit den Vereinbarungen am runden Tisch der Regierung „die Hand gereicht“?

KACZYNSKI: Das sagen radikale Richtungen innerhalb der Solidarität, die damit den gemäßigten Teil anklagen. Meiner Meinung nach steckt in der Denkweise, daß wir der Partei jetzt die Hand reichen, ihr helfen, die Macht zu behalten, ein Fehler. Wahr ist, daß wir in der Partei nur Gruppen unterstützen, die es verstehen, daß Polen Reformen nötig hat.

Unter den extremen Radikalen herrscht die Uberzeugung, daß -hätten wir noch zwei Jahre zugewartet •- uns dann die ganze Macht gehört hätte. Dafür hätte aber die gesamte Nation einen schrecklichen Preis zahlen müs-

sen. Und das Endresultat wäre obendrein auch noch nicht sicher gewesen - denn der Faktor physischer Gewalt ist eben nur einer Seite zuzurechnen.

FURCHE: Wie wird Solidarnošč den Wahlkampf führen?

KACZYNSKI: SoUdarnošč wird eine eigene Liste haben. Darauf werden sich auch Kandidaten

- wie ich hoffe - befinden, die zahlreiche andere Gruppierungen repräsentieren. Die Kandidatenliste wird nach einem bestimmten System erstellt werden. Wenn jemand - um ein Beispiel zu nennen

- eine nationale Bewegung repräsentiert und für diese wichtig ist, kann er auf die Liste kommen. Das gilt auch für liberale Bewegungen, aber auch für die polnische Sozialistische Partei. Die Liste wird also eine Koalitionsliste sein — offiziell ist sie die Liste des Bürgerkomitees der Solidarnošč.

Für die Senatswahlen schaut es ähnlich aus - nur kämpfen wir in diesem Fall um die Mehrheit, die wir im Sejm ja nicht erreichen können.

FURCHE: Sind damit die Möglichkeiten der Opposition nicht von vornherein schon beschnitten?

KACZYNSKI: Die Kombination Sejm-Senat gibt uns eine gewisse Möglichkeit, einen Spiel-

raum für unsere Aktivitäten zu schaffen. Denn die im Parlament beschlossenen und vom Senat abgelehnten Gesetze müssen mit Zweidrittelmehrheit im Sejm wieder angenommen werden, um rechtskräftig zu werden.

FURCHE: Was unrd jetzt aus Polen?

KACZYNSKI: Das ist schwer vorauszusagen. Es gibt die Solidarnošč, die für die gefährdeten Interessen der Arbeiter kämpft. Dann ist da die offizielle Gewerkschaft OPZZ, eine Filiale der konservativen Kräfte in der Partei, und schließlich die Regierung selbst, die sich auch Reformen wünscht, aber nicht so radikale wie Solidarnošč.

Letztlich kann die wirtschaftliche Situation allein dazu führen, daß die Bürger unabhängig von diesen Organisationen auf die Straße gehen - und die Richtung dieses Protestes ist ungewiß.

Wenn Polen seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwindet - und das hängt davon ab, ob wir vom Westen tatsächlich neue Kredite bekommen -, dann werden wir in Polen eine rasche, wenn auch nicht konfliktfreie Entwicklung in Richtung Demokratie erleben.

Mit Lech Kaczynski, Vorstandsmitglied der Solidarnošč für die Region Danzig, sprach Georg Motylewitz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung