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Die Neuland-Suche

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Jugendbewegung vor mehr als einem halben Jahrhundert: Aufmüpfig und revolutionär wie heute, tastend und Freiräume auslotend, aber auch nicht selten irrend.

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Jugendbewegung vor mehr als einem halben Jahrhundert: Aufmüpfig und revolutionär wie heute, tastend und Freiräume auslotend, aber auch nicht selten irrend.

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Aufmüpfige Jugend, die gegen die Vätergeneration aufmuckt; die revoltiert gegen die staatliche und kirchliche Obrigkeit; Jugend, die nach neuen Zielen, neuen Formen sucht; die Idealen anhängt, die erst die Nachwelt als Verir-rung erkennt - das ist keine Erscheinung nur der Gegenwart. Das hat es schon immer gegeben. Etwa in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, in der Ersten Republik bis hin zum Schicksalsjahr 1938. Etwa im „Bund Neuland“.

Es begann damit, daß zu Weihnachten 1918 Wiener Mittelschüler in einer „Demo“ dem Landesschulrat ihre Forderungen überreichten; daß ein „Zentraler Mittelschülerausschuß“ Freiheit und Selbstbestimmung forderte, vor allem Vereinsfreiheit.

Franz M. Kapfhammer, damals sechzehnjähriger Gymnasiast, war von Anfang an dabei, später in führender Funktion, nach dem Krieg als Bundesführer. Nun erinnert er sich, wie alles kam.

Die „großen“ Ideen, die damals auch in der Jugend weite Verbreitung fanden, waren das Bekenntnis zum deutschen Volkstum, mitunter in einer übersteigerten Form eines aggressiven Nationalismus — und der Antisemitismus.

Die Neuländer waren großdeutsch — als aber in der „Arbeiterzeitung“ Karl Leuthner schrieb: „EntÖsterreichern wir die Schule!... Wir sind endlich nichts als Deutsche, Zugehörige dieser großen Kulturnation!“, da antwortete ihm Friedl Farda, einer der ersten Sprecher des Bundes: „Es wird ihnen nicht gelingen, uns Österreich aus dem Herzen zu reißen!“

Derselbe Farda bekannte „unter stürmischem Beifall: Wir sind Antisemiten!“ — als aber Alfred Missong, Schriftleiter der „Neuen Jugend“, den Arierparagraphen einführen wollte, wurde der Antrag einstimmig abgelehnt.

Kapfhammer erinnert sich: „Es gab nicht wenige, die der Ansicht waren, man müsse den Nationalsozialisten .den Wind aus den Segeln nehmen',... einem .gemäßigten Antisemitismus* Raum geben. Katholische Vereine führten den Arierparagraphen ein, ohne sich klarzuwerden, daß sie damit ihren Namen der Lächerlichkeit preisgaben...“

Führender Kopf der Neuländer war der Priester Michael Pfliegler, der schon 1921 das Gespräch mit den Sozialdemokraten suchte und für das Erkennen der sozialen Frage im katholischen Bereich eintrat.

„Als die Enzyklika .Quadrage-simo anno' jedoch 1931 neuerlich die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Christentum verkündete, war die Verunsicherung groß“, schreibt Kapfhammer. „Pfliegler hatte nie die Vereinbarkeit behauptet. Aber die Propaganda ließ jede Beziehung zu Arbeitern im austromarxistischen Bereich als Verrat erscheinen.“

Karl Rudolf, damals Spiritual am Wiener Priesterseminar, stand mit den Neuländern am Beginn der Liturgischen Bewegung. Sie probierten aus, was Pius Parsch konzipierte — Jahrzehnte bevor das Zweite Vatikanum die Landessprache in die Liturgie einführte. Diese „revolutionären“ Tendenzen stießen jedoch bald auf den Widerstand der Kirchenführung — in Wien wie, über geeignete Kanäle, in Rom -; in den dreißiger Jahren kam es zu ernsten Konflikten.

1933 wurde auch für Neuland zum Schicksalsjahr. Als die deutschen Bischöfe eine Neutralitätserklärung gegenüber dem neuen NS-Regime abgaben, fragte Anton Böhm im „Neuland“: „Haben die Bischöfe vielleicht durch ihre Erklärung einen Kulturkampf vermeiden wollen? Führende deutsche Katholiken glauben freilich, daß er nur aufgeschoben sei und bald losbrechen werde ...“ Noch nie sei die Gefahr der endgültigen Ablösung Österreichs von der deutschen Schicksalsgemeinschaft so groß gewesen ...

Und dann kam der 13. März 1938. „Ähnlich wie Pfliegler und Böhm versuchten auch andere führende Neuländer (aber auch CVer)... über Freunde, die Parteigenossen waren, mit den neuen Machtha-bern im Gespräch zu bleiben und zu vermitteln — sie bekamen freilich schon sehr bald deren Brutalität zu spüren...“, schreibt Kapfhammer.

„Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür, daß vieles, was in der Zeitgeschichte als Kollaboration ... verurteilt wird, eine Form des aktiven Widerstandes sein konnte im Sinn des Pauluswortes .Uberwindet das Böse durch das Gute!' Es war und ist oft gefährlicher und riskanter als der Rückzug in das Private und Anonyme.“

Am 10. April 1938, bei der Volksabstimmung: „Auch wir stimmten mit Ja, obwohl wir keine Nationalsozialisten waren und keine Zukunft vor uns sahen und das Schlimmste befürchten mußten.“

Auch Regimegegner waren der Meinung, der Zusammenschluß Österreichs mit Deutschland sei schicksalhaft und unwiderruflich, mit der Partei müsse man sich zunächst abfinden.

Der Reichsgedanke war noch lebendig, die triste Vergangenheit schien weggefegt, permanenter Bürgerkrieg, wirtschaftlicher Notstand schienen zu Ende. Die Sozialisten witterten die „Abrechnung mit dem System“, erklärt Kapfhammer das fast hundertprozentige Ja.

Noch nach Stalingrad diskutierte er mit Freunden, ob sie Deutschlands Niederlage wünschen dürften, mit all dem, was ein besiegtes Volk zu erwarten habe — nur weil man fürchten müsse, daß die Partei nach dem Endsieg zum vernichtenden Schlag gegen die Kirche ausholen werde?

„Wir konnten die Frage ruhigen Gewissens nicht bejahen, wußten wir doch, daß hinter der dämonischen Fratze der Partei uns das gequälte Antlitz unseres Volkes anblickte... für dessen Zukunft wir auch verantwortlich sind.“

Als endlich Österreich wiedererstanden war, wirkten Neuländer wie Pfliegler, Rudolf, Otto Mauer maßgeblich an der Neuorientierung der Kirche mit, Neuländer wie Felix Hurdes oder Lois Weinberger am Aufbau der ÖVP. Der Bund selbst wurde zwar neu gegründet, spielte aber keine Rolle mehr.

NEULAND. Erlebnis einer Jugendbewegung. Von Franz M. Kapfhammer. Styria-Verlag, Graz 1987. 240 Seiten, öS 320,-.

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