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Die Neutralen im Konferenzzirkus

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Auch im KSZE-Prozeß haben sich NATO- und Warschauer Pakt-Staaten durchgesetzt. Die Neutralen und Nichtpaktgebundenen spielen nicht selten die Feuerwehr.

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Auch im KSZE-Prozeß haben sich NATO- und Warschauer Pakt-Staaten durchgesetzt. Die Neutralen und Nichtpaktgebundenen spielen nicht selten die Feuerwehr.

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Das System eines „Gleichgewichts des Schreckens“ dem Wissenschaftler und Politiker in Ost und West in ungewohnter Einmütigkeit „höchste Rationalität“ und auch „Fehlerlosigkeit“ noch bis vor kurzem bescheinigten, hat die mittleren und kleineren Staaten — sowohl innerhalb wie außerhalb der beiden Allianzsysteme NATO und Warschauer Pakt — seit jeher beunruhigt.

Es wurde diesen militärisch schwächeren Staaten zuerst klar, daß die individuelle Sicherheit nicht mehr länger durch nationale Verteidigungsanstrengungen gewährleistet werden konnte, sondem daß diese Sicherheit nur dann eine reale Grundlage haben könnte, wenn alle betroffenen Staaten gemeinsam — kollektiv — über ein System Einigkeit erzielten, das jeden einzelnen Teilnehmer und allen Teilnehmern zusammen gleichen Anteil an einem noch zu findenden europäischen Sicherheitssystem gewährleistet.

Obwohl schon lange vor Beginn der eigentlichen Verhandlungsphase im Jahre 1973 in Helsinki und Genf moniert wurde, daß im Rahmen der KSZE die Souveränität, Gleichheit und formelle Gleichgewichtigkeit aller Staaten als verbindliche Regelung gelten sollte und sich schließlich die Teünehmerstaaten statutarisch verpflichteten, die Konferenzverhandlungen außerhalb der Blockallianzen zu führen, haben sich dennoch sehr bald die beiden Blocksysteme in Form einer NATO- und einer Warschauer-Pakt-Gruppe durchgesetzt.

Die übriggebliebenen vier neutralen und fünf paktungebundenen Staaten fanden sich in dieser Situation relativ bald zu einer informell wirkenden Gruppe zusammen, die im Konferenz Jargon bald als Gruppe der N+N (Neutral & Non-aligned Countries) bezeichnet wurde (Finnland, Jugoslawien, Liechtenstein, Malta, Österreich, San Marino, Schweden, Schweiz, Zypern). Die vier europäischen Neutralen zusammen mit Jugoslawien bilden den aktiven Kern dieser Gruppe, die auf Grund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen und ihrer ideologisch-politischen Haltungen beinahe ein Ab-büd des ideologisch-politischen Spektrums aller Teilnehmerstaaten liefert.

Schon von Anfang an hatten die neutralen und blockfreien Staaten eine bedeutende Rolle übernommen. Finnland hatte 1970 in einem Memorandum an alle zukünftigen Teilnehmerstaaten zu Verhandlungen nach Helsinki eingeladen, andere wieder, darunter auch Österreich, hatten noch vor Beginn der Verhandlungen wichtige inhaltliche Impulse gesetzt. Mit Helsinki und Genf als Verhandlungsorte waren ebenfalls zwei Städte neutraler Staaten mit der Beherbergung des riesigen „Konferenzzirkus“ betraut worden.

Die N+N-Staaten waren dann erfolgreich, wenn sie „gute Dienste“ oder Vermittlertätigkeiten anbieten konnten. Suche nach

Kompromißformeln, Förderung von Konsensfindung in inhaltlichen Fragen durch unzählige informelle Gespräche in den Couloirs, bei diversen Arbeitsessen und Empfängen, machte die Stärke der Vertreter der N+N-Staaten aus.

Drohten Verhandlungen an den schier unüberwindlichen Gegensätzen der beiden Allianzen zu scheitern, waren die N+N-Ver-treter zur Stelle und schlugen Vertagungen auf Zeit, den Einsatz von ad hoc-Arbeitsgruppen oder andere Innovationen im Verfahrensbereich vor. Sie waren als „Feuerwehr“ unersetzlich.

Ihr Interesse am Fortbestand des KSZE-Prozesses als solchem war naturgemäß außergewöhnlich groß. Ihre Stärke lag also nicht in der aktiven Vertretung von Eigeninteressen, sie lag vielmehr in einer teils bewundernswürdig flexiblen Haltung bei der Beobachtung und Förderung des Gesprächsverlaufes und in der Nutzung der Gunst der Stunde.

In den Expertentreffen der Phase nach Madrid und insbesondere bei der Stockholmer Konferenz für Vertrauens- und Sicher-heittebildende Maßnahmen und Abrüstung (KVAE) ist dann eine stetige Erosion des Einflusses der N+N-Staaten auf den Verhand-lungsverlauf und die inhaltlichen Ergebnisse unübersehbar.

Auch wenn die Tätigkeit der N+N-Gruppe von allen Teilnehmerstaaten und insbesondere von den Supermächten in verbalen Aussagen immer wieder überschwenglich gelobt werden, sind ihrer Tätigkeit dort effektive Grenzen gesetzt, wo die Supermächte ihre hauptsächlichen Interessen plaziert sehen.

Die Rolle der N+N-Staaten bei den kommenden Verhandlungen wird vom Geschick und der Konsensfähigkeit innerhalb der N+N-Gruppe abhängen. Letztlich wird aber das Verhältnis der Supermächte zueinander die deutlichen Grenzen setzen, in de-' ren Rahmen der ganze KSZE-Karren sich bewegen wird.

Der Autor ist Mitarbeiter der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft.

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