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Die Not der Augen

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Was ist in El Salvador wirklich los? FURCHE-Leser sind mit der Problematik, den Dingen auf den Grund zu gehen, bereits einigermaßen vertraut.

Am 12. Mai veröffentlichten wir in Nr. 19/1982 zwei Augenzeugenberichte vom 28. März, als dort Wahlen abgehalten wurden. Beide Autoren — P. Manfred Kniewasser von der österreichischen Caritas und der ÖVP-Abgeordnete Wolfgang Blenk - sahen dasselbe: wenige Meßbesucher in San Salvador, lange Schlangen vor den Wahllokalen, Flüchtlinge im Garten des Priesterseminars („refugio").

Sie deuten Gesehenes völlig unterschiedlich. Der Pater ortete Angst, auf die Straße, in die Messe, aus dem Lager zu gehen, in diesem Unterernährung und Krankheit, Soldaten als Bedrohung.

Der Abgeordnete sah alle üblichen Meßbesucher diesmal eben in den Wahllokalen, die Soldaten als deren Beschützer.

Schon die Not der Augen ist groß. Der Abgeordnete schickte die FURCHE mit beiden Berichten dem Nuntius für El Salvador und Costa Rica, Msgr. Lajos Ka-da. Dieser schrieb zurück:

P. Manfred Kniewasser habe den Wahltag „vollkommen falsch dargestellt", es gebe keine Soldaten rund ums Priesterseminar, nie werde dieses von der Armee oder rechten Mördergruppen bedroht, kein Hubschrauber der rechten Partei Arena habe das Lager am Wahltag beschossen, unwahr sei-

en Behauptungen über eine schlechte Versorgung der Flüchtlinge.

Demgegenüber bestätigte ein Begleiter P. Manfred Kniewassers, der steirische Landesbeamte Wolf gang Pumpernig, diesem schriftlich, auch er habe auf dem Platz vor der Kirche Schüsse gehört, auch er erinnere sich an Mitteilungen von Flüchtlingen über Hubschrauberbeschießung und Warnungen vor Beobachtern des hermetisch abgeriegelten Lagereingangs. Die Atmosphäre der Angst sei von Kniewasser „treffend eingefangen" worden.'

Wer lügt? Bewußt sicher keiner. Es zeigt nur das Dilemma, selbst Eigenbeobachtungen richtig zu deuten. Sind die Personen, mit denen man spricht, repräsentativ? Sagen sie die Wahrheit? Wenn nicht: Lügen sie in Trugabsicht, aus Angst, aus anderen Gründen?

Die vielfach beklagte Mißinformation über El Salvador ist nicht in erster Linie eine Frage lauterer Absichten der Beobachter. Wer aber hat die Erfahrung, wirklich leidlich ausgewogen zu urteilen?

Tatsache ist, daß auch die März-Konferenz der Caritas Internationalis in Costa Rica in ih-

rem Schlußkommunique den „Mangel an Sicherheit für Flüchtlinge sowie für Personen und Organisationen, die für diese arbeiten," beklagte und die Konfliktparteien zur Anerkennung der „Neutralität und Immunität dieser Stätten des Leides" beschwor.

Tatsache ist ferner, daß auch im Sommerheft 14/15 der Schweizer Jesuitenzeitschrift „Orientierung" die Züricherin Tildy Hanhart, Informationsbeauftragte des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen der Schweiz, nach einem Zentralamerikabesuch „Unterdrückung" und „Völkermord" in El Salvador und Guatemala geißelte.

Allein aus El Salvador irrten laut Angaben des katholischen Erzbistums 500.000 Vertriebene heimatlos durch die Lande. „In der Hauptstadt San Salvador ist das Militär überall präsent," konstante Überwachung sei „hautnah zu spüren."

Tildy Hanhart spricht auch ein unbestreitbares Faktum aus: „Die Bischofskonferenz von El Salvador ist schon lange gespalten ... Der niedere Klerus, Ordensangehörige und Laienbewegungen sind mehrheitlich auf der

Seite des leidenden Volkes, während die Hierarchie näher bei der Regierung steht, mit Ausnahme der Leitung des Erzbistums San Salvador"

Ein Preis dieses Engagements seien einerseits „Morde an Priestern, Ordensangehörigen, zahlreichen Katecheten und Laienhelfern". Auf der anderen Seite wanderten viele Katholiken zu fundamentalistischen evangelischen Kirchen ab. Diese nehmen Geld von ihren Bruderkirchen in den USA, halten sich aus der Politik heraus und konzentrieren sich auf Bibellesungen.

ökumenisch gesinnte evangelische Kirchen, die mit den Katholiken zusammen die Leiden des Volkes lindern möchten, tun sich da schwer.

Auf der anderen Seite veröffentlichte auch die angesehene private US-Institution Freedom House im Mai/Juni-Heft von „Freedom at Issue" einen sehr sorgfältig ausgearbeiteten und dokumentierten Bericht einer Beobachtergruppe.

Nach dieser Darstellung gibt es in El Salvador noch immer „ernste Probleme bei den Menschen-

rechten, hinsichtlich der Sicherheit, der Gesetzlosigkeit und des wirtschaftlichen Niedergangs."

Dennoch müsse man bestätigen, daß die Wahlen „ein Test der Parteistärken und ein Mandat für den Frieden" gewesen seien: „Wir haben keine Beweise, daß die Wahl durch erheblichen Betrug beeinträchtigt wurde oder daß Einschüchterung oder Gewalt ihr Resultat bestimmten".

In der sehr nüchternen Wahlanalyse dieser Gruppe heißt es, daß in den frühen sechziger Jahren rund 20 Prozent der wahlberechtigten Salvadorianer abstimmten, in den siebziger Jahren durchschnittlich 45 Prozent, diesmal mindestens 62 Prozent (1,485.185 Stimmen von rund 2,4 Millionen Wahlberechtigten).

Von den 11,4 Prozent ungültigen Stimmen seien mehr als die Hälfte vermutlich der äußersten Linken zuzuzählen. Zusammen mit den Nichtwählern könne man auf 10 bis 15 Prozent Unterstützung für die der Gewaltanwendung verschriebene Linke schließen.

Die Linke hatte die Wahl von vornherein abgelehnt und für nachher einen Volksaufstand vorausgesagt.

Zu diesem kam es nicht. Zu Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit von Angst freilich auch noch nicht. Und wir werden weiterhin auch bei gutem Willen nur auf widersprüchliche Berichte angewiesen sein.

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