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Die Notkirche von Sluzewiec
Es ist ein grauer, nebelverhangener Sonntagvormittag im Warschauer Arbeiterwohnviertel Sluzewieö. Um die ebenerdige, gemauerte Baracke mit dem einfachen Holzkreuz am Eingang harren rundherum in dichten Gruppen die Menschen im dünnen Nieselregen aus: Versunken ins Gebet, den Kopf gebeugt, andächtig.
In der Baracke liest der Pfarrer, assistiert von seinen vier Kaplänen, die Messe. Der rund 100 Quadratmeter große Raum ist bis in den letzten
Winkel gefüllt, ein einfacher Sessel, auf dem ein Kaplan sitzt, dient in einer Ecke als Beichtstuhl. Ein Fenster und die Tür sind weitgeöffnet, damit Gesang, Gebet und Predigt hinausdringen können zu jenen, die nur draußen im Freien am Gottesdienst teilnehmen können.
Die Geschichte dieser Barackenkirche im Arbeiterwohnviertel Sluzewiec und der Kampf dieser Gemeinde um eine Kirche ist ein Beispiel für die Glaubenskraft der polnischen Katholiken und für die Schwierigkeiten des Katholizismus im Land an der Weichsel, der zwar kein verfolgter, wohl aber ein bedrängter ist.
Die Baracke, die schon mehr als dreieinhalb Jahre als Notkirche dient, war ursprünglich ein Ambulatorium gewesen. Als diese ärztliche Nahversorgungsstelle, wegen der Errichtung eines größeren und besseren Ambulatoriums abgerissen werden sollte, da wurde von den Gläubigen an den Bürgermeister und auch an andere zuständige Behörden die Bitte herangetragen, das Gebäude stehen zu lassen und es als Notkirche verwenden zu dürfen.
Auf die Bitten kam keine Antwort-dafür aber eines Morgens die Bulldozer. Doch die Behörden hatten die Rechnung ohne die Gläubigen des Arbeiterwohnviertels gemacht - die hatten nämlich inzwischen das leerstehende Gebäude „besetzt" und der Pfarrer schlief dort in der Nacht auf einer Matratze, die tagsüber unter einem Schreibtisch zusammengerollt ruhte.
Die im Juni 1976 ausbrechenden Arbeiterunruhen in Ursus und Ra-dom, die dadurch allgemein gespannte Lage in Polen und die zähe Unnachgiebigkeit der Gläubigen dürften dann den Ausschlag gegeben haben - die Behörden verzichteten auf eine Konfrontation, die Baumaschinen wurden abgezogen: Die Arbeiter von Sluzewiec hatten sich eine, „ihre" Notkirche erkämpft.
Das machte Mut. Man reichte um die Bewilligung eines Kirchenneubaues ein - und wartete. Wieder keine Antwort. Am 1. Mai vergangenen Jahres gelang es einem Mädchen aus Sluzewiec Parteichef Gierek bei der traditionellen Parade einen Brief mit der Bitte zu überreichen, den Kirchenneubau zu bewilligen. Ob das Erfolg hatte? Niemand weiß es, nur so viel steht fest - der Bescheid, bauen zu dürfen, wurde Mitte Mai 1979 erteilt.
Rund fünf Minuten von der Notkirche entfernt wachsen nun schon die Grundmauern der neuen Kirche, die Maximilian Kolbe geweiht wird, in die Höhe, Treppauf, treppab sind der Pfarrer und seine Kapläne durch die Wohnsilos von Sluzewiec gewandert, haben um Spenden gebettelt - für die neue Kirche. Denn Geldspenden sind notwendig, um Baumaterial kaufen und Facharbeiter bezahlen zu können.
Die Hilfsarbeiten werden selbstverständlich von den Gläubigen selbst durchgeführt - in ihrer Freizeit und nach einem schweren Arbeitstag. Rund um die Uhr wird der Bauplatz bewacht, auch von den Gläubigen, denn die Gefahr, daß etwas verschwindet, ist bei der Verknappung der Baumaterialien in Polen groß.
Die neue Kirche wird etwa 3000 Menschen Platz bieten, ein Seelsorgezentrum und Mehrzweckräume enthalten, auch Wohnungen für die Geistlichkeit, die jetzt in Untermiete bei den Gläubigen des Wohnviertels lebt.
Am 24. Mai wird Primas Wyszynski die Grundmauern segnen - ein Fest, auf das man sich schon heute vorbereitet und freut. Die neue Kirche wird „vielleicht in vier, vielleicht in sechs Jahren fertig" sein. „Ja, das dauert noch lange. Aber wichtig ist doch, daß unser Glaube gesiegt und unsere Hoffnung ein Ziel hat", sagte der Kaplan.
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