7050155-1990_49_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Nutznießer der Revolution

Werbung
Werbung
Werbung

Auch bei den vierten freien Wah-len innerhalb eines Jahres haben die Ostdeutschen - in den Medien der "alten" Bundesrepublik wird das Gebiet der ehemaligen DDR nicht selten "Mitteldeutschland" genannt - überwältigend "dem Westen" beziehungsweise jenen Politikern Vertrauen geschenkt, die dessen Kraft und Werte im Wahlkampf überzeugend repräsentierten. Die prozentuellen Anteile der CDU sowie der SPD liegen in Ost-deutschland auch jetzt bei der Bundestagswahl im Durchschnitts-trend beispielsweise der Kommu-nalwahlen: Die CDU hat 41,8 die SPD 24,3 Prozent der Wählerstimmen (die Wahlbeteiligung lag im Osten bei 61 Prozent, was doch eine gewisse Wahlmüdigkeit erkennen läßt) erreicht. Die SPD ist damit im Osten eine Viertelpartei, die Liberalen hatten mit 12,9 Prozent Stim-menanteil einen enormen Zulauf, was wohl auf die Niedrigsteuern-Kampagne des FDP-Chefs Otto Graf Lambsdorf zurückzuführen sein dürfte. Die Ex-Kommunisten der PDS eines Gregor Gysi konnten 11,1 Prozent erreichen und sind damit im Bundestag, das Bündnis 90, die Ost-Grünen und Alternativen, kamen mit sechs Prozent auch über die Schwelle des Bundestages. Der bisherige Nord-Süd-Trend, das Anerkennungsgefälle der CDU, wurde an diesem Wahlsonntag etwas ausgeglichen, was eine zunehmende Akzeptanz der CDU-Politik signalisiert. Der "neue Weg" des Oskar Lafontaine kam in Ost-deutschland überhaupt nicht an.

Totgelaufen haben sich die Grünen, ihre Anerkennung beruht nur mehr auf der Akzeptanz ihrer nack-ten Existenz. Und das sehen sie auch ein: "Notwendig ist, daß wir überhaupt existieren", sagte sinn-gemäß einer ihrer Vertreter. Gregor Gysi von der PDS ist hingegen sehr zufrieden. Seine Wahlkampagne hatte einige - wie man hier sagt - "demagogische Knaller drauf": "Jeder" - so hatte der zuletzt wegen der Verschiebung des Partei vermö-gens arg ins Schwitzen gekommene Rechtsanwalt verlauten lassen -"sollte einmal im Leben die PDS wählen. Macht es gleich jetzt, dann habt ihr's hinter euch!"

Der sachliche Wahlkampf der CDU im Osten - Kohl setzte sich diesmal nicht mehr so groß in Szene wie seinerzeit als Unterstützer Lothar de Maizieres oder vor den Landtagswahlen, er schickte seine Mannschaft vor - hat die "Ostdeut-schen" auch emotional berührt, beispielsweise wenn vom KSZE-Europa, von der Rußlandhilfe und Polenfreundschaft sowie von sozia-ler Gerechtigkeit die Rede war. Negativ ist in Dresden und Umge-bung angekommen, daß das vor zwei Wochen publizierte Bischofs-wort mit der Aufforderung, Männer zu wählen, die aus christlicher Verantwortung handeln, in einigen Pfarren erst am Wahlsonntag ver-lesen wurde.

Wie soll es jetzt im Ostteil Deutschlands weitergehen? Die Investitionstätigkeit aus dem Westen läßt sehr zu wünschen übrig. Die soziale Unsicherheit wächst von Tag zu Tag. Die neugebildeten Länder haben diesbezüglich noch nicht ihre größere Eigenständigkeit und Verantwortung begriffen. Als erster hat jetzt Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident von Sachsen, erklärt, daß er nach diesem Bun-destagswahlergebnis "eine bessere Politik" werde machen können. Er erwartet gewisse Stützungen von Bonn.

Die Arbeitslosigkeit im deutschen Osten nimmt eklatant zu. Die Treu-handgesellschaft liegt jetzt in Händen der Länder, die die Priva-tisierung des Handels durchführen sollen. Alles geht jedoch nur schlep-pend voran. Vor allem fehlt es an Investoren; sie werden noch immer durch das engmaschige Bürokra-tennetz im Ostteil Deutschlands abgeschreckt. Der sozialen Span-nungsfelder werden immer mehr. Der Eisenbahnerstreik hat das jüngst gezeigt. Niemand gibt gerne Besitzstände auf, von der Masse der Bevölkerung wurde aber nicht ver-standen, daß die ohnehin gut ge-stellten Reichsbahnangestellten weitere Lohnerhöhungen forderten und auch erhielten (45 Prozent des Bezugs der BundesbahnangesteL-ten). Da liegt bereits weiterer Zünd-stoff vor.

Ein neues Problemfeld ist mit verschiedenen Korruptionsfällen in Zusammenhang mit Grundstücks-verkäufen entstanden. Hier heißt es bereits, daß "auch die neuen Leute korrupt sind und korrumpieren". Dresdens Oberbürgermeister Herbert Wagner, verwandtschaftlich verbunden mit der Düsseldorfer Firma Oiko-Immobilien, hat in vollem Wissen dieser Firma be-stimmte Grundstücke zugeschanzt. Man spricht viel davon, daß mo-mentan sehr stark mit Bestechungs-geldern gearbeitet wird, um wirt-schaftlich voranzukommen. Der Vergangenheit hat man Korruption vorgeworfen, die Gegewart ist nicht viel besser. "Die Nutznießer der Revolution", heißt es in Dresden, "begehen die gleichen Fehler wie ihre Vorgänger."

Die starke Pendlerbewegung in Richtung Westen konnte gleichfalls noch nicht gestoppt werden. Die alten Seilschaften bei den Ost-Arbeitsämtern arbeiten äußerst ineffektiv. Wer einmal arbeitslos ist, hat nur wenig Chancen, durch das Arbeitsamt weitervermittelt zu werden. Deswegen ist das Auspen-deln nach Westen gang und gäbe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung