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Digital In Arbeit

Die Ökonomie des Holzfällens

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Wir gehen ins Holz. Der Mann neben mir hat die Axt geschultert, die Bandsäge trägt er wie einen Stutzen unter dem Arm, er steigt den Hohlweg bedächtig hinan. Der Wald duftet mit der animalischen Intensität eines Rindes. Winzige Erdbeeren blinzeln aus schützenden Blättern hervor, Schwämme riechen wir, Humus, Zinnkraut, Farn, diesen eigentümlich fahlen Duft. An dieser Lichtung hat der Mann im vorigen Jahr gearbeitet. Sie ist sein Werk, er schlug sie aus dem Gehölz. Die umstehenden Bäume neigen sich der Sonne zu. Ihr Ehrgeiz trügt sie, da sie der werdenden Mißgestalt nicht achten und schief und verwachsen sich gierig emporrek-ken.

Etwas höher steht eine kleine Hütte, die der Mann sich hergerichtet hat. Ein umzäuntes Podium gibt einen niederen Balkon ab, den Zaun bilden frisch gefällte Birken mit weißer Schlangenhaut. Rührend schlägt aus ihr das

Herz des Baumes noch im Tode, milchiggrüne Reiser sprießen um die schmalen Stämme.

Bald sind wir am Ziel, hier hat der Mann gestern und vorgestern bereits gearbeitet: vier, fünf Baumleiber liegen stumm nebeneinander. Schon schwingt er die langstielige Axt, um einen der Fichtenstämme einzukerben, dann setzen wir die Bandsäge an. Jeder von uns packt einen der Griffe und zieht ruhig an, wenn das Sägeblatt auf seiner Seite abgelaufen ist. Nicht eher, sonst windet sich das dünne Blatt, sperrt und holpert.

Geduld will gelernt sein. Allein würde ich um vieles schneller ans Werk gehen und wahrscheinlich sehr rasch erlahmen. Nach einer Stunde fühle ich bereits, wie notwendig die Ökonomie der Kräfte ist, sollen sie acht Stunden lang ausreichen; Gedanken lassen sich keine fassen.

Der Rhythmus körperlicher Arbeit zieht in mich ein, freilich auch tiefe Verzweiflung: ich würde nicht aushalten. Die Sägezähne fressen sich in den weichen Stamm, aber je tiefer sie eindringen, um so geringfügiger ist ihr Fortbiß. Endlich klemmt der Stamm, wir müssen den Baum mit einem Seil in die Richtung seines künftigen Falles dressieren.

Schmerzvoll reißt sich nun der Baum los, wendet im Sturz das Haunt ab und sinkt apathisch, der Stamm federt vom Boden zurück. Wir fallen über die Äste her, amputieren sie mit glatten Schlägen, und da der Stamm zum Brennholz werden soll, schälen wir ihn nicht erst ab, sondern beginnen gleich zu sägen. „Wir machen Holz“: Aus dem majestätischen Ganzen, das Baum hieß, ist nun ein Sammelwort, Holz, geworden.

Das Astwerk ist, sogar in solcher Waldeinsamkeit, mit etwas Schmutz überzogen; aber was für ein reiner Schmutz es ist, der sich leicht von den Händen wischen läßt, mehliges Zerfallsprodukt sauberer Ausgangsstoffe!

Die Kunst des Holzspaltens sucht ihren Meister. Spanndicke Stammstücke, die wie kleine Hok-ker aussehen, weiß der Mann mit einem hellen, jauchzend leichten Schlag in der Mitte auseinander-zutrennen, er geht der Faser nach und meidet die Verdickung an den Astlöchern. Größere Schemel müssen vom Rand her angegangen werden, man formt sie in Ok-togone um, treibt die Einkesselung immer weiter, bis sie schmal und schlagreif geworden sind. Fichtenholz hat andere Gesetze als Buche, jede einzelne Buche hat ihr eigenes Gesetz, ob sie alt, neu, mürb, frisch oder feucht ist. Nichts ist sich selber gleich, Baum nicht Baum und Schlag nicht Schlag.

Ich merk's, ich bin als Jünger dieser gefälligen Kunst höchst anfänglich in meinem Gebaren und endlich nur darin belehrt, daß der körperlich Arbeitende haushalten muß, auch in einem ungewollten Sinn: nie war ein Bissen Brot so wichtig, ein Stück Selchfleisch so ersehnt, der Traum von einem schaumigen Glas Bier annähernd so triftig. Diesen Schnitt führen wir noch, rede ich mir immer wieder ein, noch diesen einen Stock will ich spalten, ehe ich aufhöre. Aber es kommt unablässig ein neuer dran.

Endlich hören wir die Kirchenglocken vom Dorfe her schlagen. Wie sehr höre ich sie! Der Mann mit der Langaxt zieht seinen Rucksack heran und holt aus den grünlich verseiften Außentaschen Herrlichkeiten hervor, Brot, Wurst, ein Getränk. Er schlägt noch, ehe er zu essen beginnt, mit seiner schweren Axt in den letzten Wurzelstock ein fast zierliches Hexenkreuz, das nachzuzeichnen leichter wäre als nachzuschlagen - sein Siegel.

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