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Die Osterschlacht vor Wien

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Vor 27 Jahren, fast auf den Tag genau, trat beim Todeskampf des Dritten Reiches im Raum Wien die Krisis ein. Der Zeithistoriker F. M. Rebhann, der unseren Lesern bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt ist, entwirft nachstehend ein umfassendes Bild der Vorgänge im Sterbezimmer des Großdeutschtums zwischen Westungarn und dem Wienerwald.

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Vor 27 Jahren, fast auf den Tag genau, trat beim Todeskampf des Dritten Reiches im Raum Wien die Krisis ein. Der Zeithistoriker F. M. Rebhann, der unseren Lesern bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt ist, entwirft nachstehend ein umfassendes Bild der Vorgänge im Sterbezimmer des Großdeutschtums zwischen Westungarn und dem Wienerwald.

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Es verdient festgehalten zu werden, daß die Schlacht vor Wien eigentlich mit der Wiederaufnahme des Bombardements der Stadt durch die 15. US-Luftflotte am 12. März 1945 beginnt. Während das Stadtinnere in der Mittagszeit unter dem bekannten „Opernangriff“ eines amerikanischen Verbandes bebte, suchte die deutsche Wehrmacht noch einmal südlich und östlich des Plattensees voranzukommen. Wenige Tage später war auch dieser letzte Versuch gescheitert, der erzielte Geländegewinn stand in keinem Verhältnis zum eigenen Kraftverschleiß, und nach kurzen artilleristischen Donnerschlägen entfaltete sich die erwartete Gegenoffensive der 3. Ukrainischen Front. Vom 12. März bis zum 4. April überflogen die Amerikaner Wien fast jeden Tag und warfen irgendwo Bomben ab. Den Angriff am 22. März bezeichnete der Wiener Reichsstatthalter Schirach, der die Operationen von einer Leiter am Gallitzinberg aus beobachtete, später als die furchtbarste Attacke auf die Stadt. Nach der Entwarnung ist Schirach damals die Nachricht vom Durchbruch der Roten Armee in Ungarn offiziell überbracht worden. Mit einem Luftangriff auf Bahnanlagen bei Gloggnitz endete der amerikanische Beitrag zur Schlacht vor Wien. Beinahe wären dort die russischen Vorausabteilungen von einigen viermotorigen Bombern der

15. Luftflotte erwischt worden. Auch das britische Fliegerkommando, das dieser Flotte beigegeben war, kam im Raum um Wien nachher nicht mehr zum Einsatz. Alles weitere fiel in den Zuständigkeitsbereich der sowjetischen Luftstreitkräfte.

Die Russen datieren den Beginn der Schlacht um Wien mit dem

16. März 1945 und meinen damit, daß sich aus einer von beiden Seiten mit großem Einsatz geführten Panzerschlacht am Plattensee jener Bewegungskrieg entwickelte, der erst einige Wochen später auf dem Tull-nerfeld zum Stillstand kam. Tatsächlich hatte Hitlers Generalstabschef Guderian mit Blick auf die deutsche Macht am Plattensee von der größten Panzeransammlung gesprochen, die zur Zeit in Europa existiere. Diese Situation drängte jedenfalls einer Lösung zu. So ließ der sowjetische Marschall F. I. Tolbuchin die dritte Ukrainische Front, ohne die deutscherseits vermutete Hilfe der Rumänen und Bulgaren in größerem Stil abzuwarten, zum Angriff antreten und die zurückweichenden Wehrmachtsverbände einerseits gegen die Steiermark abdrängen, anderseits aber den Hauptstoß mit deutlicher Trennungsabsicht gegen die nordwestlich sich absetzenden Kräfte führen. Die davon betroffene 6. SS-Panzerarmee und andere deutsche Verbände, die auf die Reichsgrenze bei Güns zufluteten, waren auf diesem Rückzug alles andere als intakt geblieben. Am 24. März standen die Russen vor Komorn und Veszprem, während die deutschen Einheiten ohne Aussicht auf Verstärkung oder Ablöse schwache Nachhutgefechte lieferten.

Vier Tage später, als sich in Wien und Umgebung die Pfarrgemeinden so gut es ging für das Osterfest rüsteten, schnaubte der Panzerzug des Reichsführers SS über ein Rangiergleis ins Stadtgebiet. Himmler, der die Belagerung Wiens voraussah, hatte bereits umfangreiche Vorräte herdirigiert. Nun wollte er selbst nach dem Rechten sehen und überraschte Schirach, der im Parlament (Gauhaus) zur Stunde mit Oberct-gruppenführsr Dietrich und anderen Befehlshabern sowie mit den Gauleitern der umliegenden „Ostmark“ konferierte, durch eine Visitation.

Die Eindrücke, die Himmler empfing, waren derart, daß er die nach Wien gebrachten Vorräte wieder zu evakuieren befahl. Es kam zu erregten Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Reichsführer SS dem Dietrich vorwarf, er hätte Hitler zuwenig von den Schwierigkeiten der 6. SS-Panzerarmee berichtet. Anderseits mußte sich Himmler selbst am Telephon die Vorwürfe Hitlers wegen des Debakels in Ungarn anhören. Schließlich entschwand der Reichsführer formlos und unerkannt aus

Wien, nachdem er noch einige Anweisungen wegen der Judentransporte und der Behandlung von Häftlingen gegeben hatte. Die übrigen kehrten resigniert auf ihre Posten zurück.

48 Stunden nachher, also am Karfreitag, dem 30. März 1945, zogen von Norden herangeholte Verbände, vornehmlich motorisierte Teile einer SS-Division, in Wien ein. Das Oberkommando der Wehrmacht hatte die entscheidende Begegnung mit der Roten Armee im Marchfeld, also nördlich der Stadt erwartet. Angesichts der neu entstehenden Gefahr im Südosten wurden nun im Einverständnis mit Himmler zwei bis drei Divisionen für den Transfer über die Donau freigegeben, doch stellten sich der Verlegung dieser Einheiten große technische Schwierigkeiten entgegen.

Auch der „Führer“' selbst wollte in seinem Reichskanzleibunker zugunsten Wiens aktiv werden, obwohl er aus seinem Mißtrauen dieser Stadt gegenüber kein Hehl mehr machte und dies Schirach beim letzten Gauleitertreffen ziemlich grob gesagt hatte. Die ungarische Katastrophe war Hitler schonend beigebracht worden, die bevorstehenden Konsequenzen dürfte man ihm jedoch lange verheimlicht haben. So glaubte er, durch einen Wechsel im Heeresgruppenkommando Süd, das im Hotel Tulbinger Kogel bis dato ein eher vornehmes Leben führte, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verteidigung des Südostwalles entlang der Reichsgrenzen zu schaffen. In Fortsetzung seiner vor etwa zwei Jahren begonnenen Rehabilitierungspolitik zugunsten österreichischer Nationalsozialisten innerhalb der Reichsführung wollte er den Klagenfurter Kämpfer Lothar Rendulic zum Generalobersten und zum Chef der Heeresgruppe Süd mit ihren vier verstreuten Armeen und sieben angeschlagenen Panzerkorps machen. General Rendulic war jedoch an der Kurlandfront und hatte große Mühe, von dort nach Berlin zu kommen. Erst am 5. April erhielt er im Bunker der Reichskanzlei die formelle Betrauung sowie den Auftrag, Wien und die Ostmark von allen Feinden freizuhalten. Es dauerte weitere drei oder vier Tage, bis es Rendulic gelang, sein Heeresgruppenkommando, das mittlerweile vom Tulbinger Kogel nach St. Leonhard am Forst bei Melk umgezogen war, zu erreichen. Dort schwärmte der

Generaloberst vom Einzug aller Getreuen in die deutsche Alpenfestung, übersiedelte seinerseits nach Waidhofen an der Ybbs und ließ dem amerikanischen General Patton in Linz durch einen Parlamentär sagen, er solle doch mit ihm gemeinsam gegen die Russen zu Felde ziehen und Wien zurückerobern.

Am Karfreitag 1945, aber auch später blieben derlei Aktionen und Absichten der Wiener Bevölkerung völlig verborgen. Man vernahm zunächst lediglich die Verkündung des Standrechtes, Aufrufe zum beschleunigten Verbrauch der Lebensmittelmarken sowie viele Schreckensgerüchte. Der Wiener SS-Bürgermeister Dipl.-Ing. Blaschke, der noch am 16. März mit einer wilden Durchhalterede Aufsehen erregt hatte, war bereits völlig in den Hintergrund getreten und wollte offenbar mit dem Opfergang seiner Stadt so wenig wie möglich zu tun haben. Die Vorbereitungen hiezu wurden jedenfalls immer deutlicher. Während der mit dem goldenen Parteiabzeichen geschmückte Stadtkommandant, der Österreicher General Schubert, aus Urlaubern, Schreibstubenhengsten und Genesenden in der Roßauerkaserne neue Marschkompanien zusammenstellen ließ und der restliche Wiener Volkssturm in die Dörfer östlich und südlich des Laaerberges hinausgebracht wurde, erhielt der deutsche General Bünau die Ernennung zum Kampfkommandanten des Verteidigungsbereiches Wien zugestellt. Den zahlreichen Häftlingen in den Wiener Militär- und Zivilgefängnissen war damit keineswegs gedient. Doch die Lyrikerin Paula von Preradovic, die selbst in dieser Zeit verhaftet war, hat in ihrem Gedicht „Frauengefängnis der Gestapo“ die Wiener Karsamstagsituation 1945 schon etwas hoffnungsvoller gezeichnet. In der letzten Strophe ruft sie den weiblichen Gefangenen zu: „In der späten Nacht schärft euer Ohr.

Mörser hört ihr dröhnen fern im Süden.

Fürchtet nicht mehr! Rastet eure müden

Leiber aus. Bald öffnet sich das Tor!“

Am frühen Abend dieses Karsamstages 1945 tauchten plötzlich überall Heeresstreifen auf, die Vorbeieilende mit vorgehaltener Waffe kontrollierten und so die Vermutung aufkommen ließen, an der ungarischen Grenze sei etwas passiert.

Der Durchbruch

Am Ostersonntag, dem 1. April 1945, scheint ein Angriffsunternehmen der Russen gegen den Bereich Güns-Mattersburg besondere Konsequenzen zu haben. Die Lage ist zunächst nicht überschaubar, und die erste sowie die zweite deutsche Panzerdivision ziehen sich etwas weiter ins Steirische zurück. Man gibt einige Grenzdörfer preis, die von russischen Vorhuten und ungarischen Hilfstruppen heimgesucht werden.

Die deutschen Abschnittskommandanten hoffen aber auf baldige Entlastung durch jene Wlassow-Regi-menter, die bei Graz angekommen sein sollen und beobachten, was weiter im Norden vor sich geht. Am Rand der Mattersburger Senke verschlechtert sich die Lage allerdings so schnell, daß Schirach in der folgenden Nacht Plakate an die Wiener Hausmauern schlagen läßt, in denen er Frauen und Kinder auffordert, die Stadt zu verlassen.

Am Ostermontag 1945 weiß die Öffentlichkeit, daß Wien Festung werden soll, wenngleich dieses Wort offiziell nicht gerne gebraucht wird. Am 3. April, also 24 Stunden später, stellt Schirach am frühen Nachmittag Sepp Dietrich im Reichssender Wien als Hauptfaktor der braunen Verteidigung vor und läßt ihn ein paar merkwürdige Begrüßungsworte sagen. Von Herrn Bünau ist nicht die Rede, Schirach und Dietrich aber bekunden coram publico dicke Freundschaft. Unberührt davon haben die russischen Panzerspitzen bereits Mattersburg und die Bucklige Welt hinter sich gelassen und sind in Wiener Neustadt eingefahren. Andere Kolonnen erreichen Oeynhausen und Tattendorf, Vorausabteilungen tasten sich durch Vöslau und Baden, wo die Weilburg und mehrere Villen bei Rauhenstein in Flammen stehen. Stundenlang herrscht echtes Blitzkriegsklima, dann versteift sich die deutsche Abwehr wieder, um Gainfarn, Tribuswinkel und

Pfaffstätten wird heftig gekämpft. Traiskirchen erlebt ein erbittertes Gefecht, die Deutschen sammeln sich und trachten, im Gegenangriff Terrain zurückzugewinnen. Aber Wiener Neustadt ist unwiederbringlich verloren und damit bleibt der Roten Armee ein Eisenbahnknoten in der Hand, den die russischen Spezial-truppen fieberhaft herrichten und mit ödenburg in Verbindung bringen.

Die Deutschen verrammeln mittlerweile die Taleingänge in den südlichen Wienerwald und im Bereich der Hohen Wand, aber russische Spähtrupps arbeiten sich auch dort über die ersten, unverteidigten Hügel heran. Die Kommandeure dei 6. SS-Panzerarmee, deren Oberstgruppenführer zwei Divisionen fül die Deckung Wiens abzweigen mußte, beeilen sich, ihre zermürbte Hauptmacht durchs Triestingtal und einige Seitengräben nach Westen zu schleusen. Die Talsicherung wird einem SS-Korps anvertraut, das unverzüglich in Stellung geht.

Die Nacht verrinnt, und am nächsten Morgen zeigt sich, daß die dritte Ukrainische Front ihre soeben gewonnene Ausgangsposition in Österreich sichern will. Zu diesem Zweck eröffnet sie einen neuen Kampfplatz. Während russische Einheiten über Gloggnitz in die Semmering-berge vorstoßen, greift im Norden General Petrusewsky mit seiner 46. Schützenarmee das 2. SS-Panzerkorps des Obergruppenführers Bittrich in der sogenannten* Reichsschutzstellung zwischen Neusiedlersee und Donau an und erzwingt Geländegewinn. Nördlich des Stroms wird Preßburg erstürmt und Marschall Malinowsky erscheint mit seinem Heer am Rand des Marchfeldes. Von Süden aus drücken die 4. und die 9. Gardearmee der Generäle Zohwa-tojew und Glagolew in Richtung Schwechat, erobern mühsam einzelne Orte am Westrand des Leitha-gebirges und reichen schließlich bei Kaisersteinbruch durchgebrochenen Abteilungen der 46. Schützenarmee die Hand. Das Mödlinger Krankenhaus wird von den Deutschen evakuiert, Perchtoldsdorf und Rodaun sind von Flüchtlingen aus Ungarn und von Verwundeten aus dem Steinfeld überschwemmt, die Ebene davor füllt sich mit Rauchpilzen, und der Gefechtslärm nimmt zu. Doch am Abhang des Wienerwaldes regiert noch das Dritte Reich. Nur die Plünderung von Vorratslagern wird bereits amtlich toleriert, obwohl überall Parteifunktionäre in braunen Uniformen herumstehen und Zeichen besonderer Entschlossenheit von sich geben. Allenthalben dämmert es den deutschen Abschnittskommandanten, daß die dritte Ukrainische Front der Roten Armee sowohl nach Norden als auch nach Westen aus dem Steinfeld herauskommen und sich dabei mit ihren von Osten angreifenden Truppenteilen unter Petrusewsky vereinigen will.

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