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Die Ostpolitik bleibt ein Fragezeichen

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Bringt die Ablöse Walter Ulbrichts vom Posten des Ersten Sekretärs dw Politbüro» der SED durch Erich Honecker eine neue Variante der sowjetischen Deutschlandpolitik? In Bonn rätselt man darüber um so mehr, als zur gleichen Zeit der neüernannte sowjetische Botschafter in Bonn, Falin, seine Tätigkeit auf nahm.

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Bringt die Ablöse Walter Ulbrichts vom Posten des Ersten Sekretärs dw Politbüro» der SED durch Erich Honecker eine neue Variante der sowjetischen Deutschlandpolitik? In Bonn rätselt man darüber um so mehr, als zur gleichen Zeit der neüernannte sowjetische Botschafter in Bonn, Falin, seine Tätigkeit auf nahm.

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Falin war an den Unterredungen in Moskau beteiligt, die Staatssekretär Bahr mit dem sowjetischen Außenminister führte und die als Grundlage zum deutsch-sowjetischen Vertrag dienten. Als seinerzeit der Kreml bekanntgab, daß Falin den früheren Botschafter Zarapkin ablösen werde, betrachteten die Optimisten in Bonn diesen Austausch als ein Zeichen des Entgegenkommens von seiten der Sowjets. Inzwischen gab Falin allerdings außergewöhnlich harte Kommentare zur Berlin- und Deutschlandfrage ab, so daß die deutsche Regierung mehr denn je im ungewissen bleibt, ob der politische Frost noch anhält oder Tauwetter in Sicht ist.

Nicht viel anders verhält sich der Fall Honecker. War es noch vor Jahren so, daß die Westdeutschen auf den Abgang Ulbrichts hofften, schleicht sich mm fast Bedauern ein, weil man — wohl fälschlich — dem 77jährigen Greis wenigstens noch ein gesamtdeutsches Gefühl zuschreibt, während Honecker als der Abgrenzungspolitiker schlechthin gilt, der selbst gegen die Gespräche zwischen dem ostdeutschen Ministerpräsidenten Stoph und Brandt in Erfurt und Kassel im Politbüro aufgetreten war. Entspannung setzt Honecker gleich mit Ansteckung.

Allerdings, viel schlimmer kann es in den Beziehungen zwischen den beiden Deutschland nicht werden. Ulbricht hat das Paradies der Werktätigen, wie er es sich wenigstens vorstellte, geschaffen, nicht ohne Erfolg, gelang es ihm doch, die DDR zur zweitgrößten und bestgeführten Wirtschaftsmacht im Ostblock und zur erfolgreichsten Sportnation aufzubauen und damit den Bürgern seines Staates eine Art Nationalstolz einzuprägen. Zwar sagte er 1946: „Ohne die Einheit Deutschlands kann unser Volk nicht leben”, doch entsprachen seine Worte damals noch der offiziellen russischen Politik. Als die Sowjets die deutsche Einheit abschrieben, schrieb auch Ulbricht sie ab und krönte diese seine Spaltungspolitik mit dem Bau der Berliner Mauer, nachdem er noch 1958 versucht hatte, selbst um den Preis eines Weltkrieges die Berlin-Krise auf die Spitze zu treiben. Ulbricht eine gewisse Toleranz zu bescheinigen, wie es vereinzelt deutsche Blätter taten, stellt eine Begriffsverwirrung dar. Er war nicht nur ein Wulbricht, wie ihn Herbert Wehner in der Moskauer Emigration nannte, sondern ein Poli- truck im schlimmsten Sinne des Wortes. Von ihm gilt, was das Mitglied des Politbüros der SED, Karl Schir- dewan, 1956 zu Chruschtschow sagte: „Die Verbrechen Ulbrichts sind so groß, daß wir sie der Partei nur tropfenweise werden beibringen können.” Schirdewan wurde mit anderen im Februar 1958 aus der Partei ausgeschlossen, wobei Erich Honecker die Verdammungsrede hielt.

Honecker 1st der wahre Kronprinz Ulbrichts, auch der Gesinnung nach. Mitte I960 brachte er die Intellektuellen auf dogmatischen Kurs, wobei er den Ausspruch tat: Die brauchen einen Schlag ins Genick. August 1961 bereitete er den Mauerbau vor. Er kritisierte öffentlich Rumänien und China, weil sie nicht den russischen Führungsanspruch anerkennen, und unterstützte Ulbricht als den wütendsten Verfechter des Einmarsches der Warschauer-Pakt- Staaten in die CSSR. So sieht der Nachfolger Ulbrichts aus, der einstige Dachdeckerlehrling Honecker. Grundsätzlich ist von ihm kein Wandel in der Politik zu erwarten, es sei denn, so kombinieren Bonner Optimisten, die Sowjets selbst wünschten einen solchen. Denn mit Ulbricht teilt Honecker auch die Unterwürfigkeit gegenüber den Sowjets. Von Ulbricht aber unterscheidet ihn, daß er nicht, wie jener, 1922 einen Kongreß der 4. Internationale erlebte, auf dem Lenin sprach, und daß er nicht als Methusalem des kommunistischen Führungskorps, der alle Säuberungen überstand, Respekt als

Persönlichkeit genießt. Honecker wird noch mehr gehorchen als Ulbricht, wenn Moskau befiehlt.

Doch wird Moskau befehlen? Haben es die Sowjets plötzüich eilig, ihre europäische Ernte einzubringen, zu der vor allem die Ratifizierung des deutsch-sowjetischen Vertrages und die europäische Sicherheitskonferenz gehören, weil die Chinesen mit den Amerikanern Pingpong zu spielen begonnen haben? Wer weiß es schon. Ihre Ansicht über Berlin jedenfalls, die durch die Veröffentlichung des polnischen Blattes „Zycie Warszawy” bekanntgeworden sind, weichen in allen wesentlichen Punkten von denen des Westens ab. Die Sowjets an- erkannen nicht die gewachsenen Bindungen West-Berlins an den Bund und die Vertretung der Stadt nach außen durch die Bundesregierung. Sie wollen, daß der Zugang von und nach Berlin gänzlich in die Kompetenz der DDR falle und damit auch deren Willkür preisgegeben ist. Und sie wollen ein eigenes Generalkonsulat in West-Berlin samt Garantie, daß sowjetische Interessen genügend respektiert werden, während sie den Westmächten ähnliches in Ost-Berlin, das sie einfach der DDR zuzählen, nicht gestatten. Das Ziel ist klar: West-Berlin soll eine besondere politische Einheit, eine Art dritter deutscher Staat werden, dessen Lebenslicht langsam, aber sicher auslöschen würde. Ob sich die Sowjets in ihrer Berlin-Politik den westlichen Vorstellungen angleichen werden? Ob die Regierung Brandt- Scheel diese Wende noch erleben wird? Die neue deutsche Ostpolitik ist zu einem einzigen Fragezeichen geworden.

Ohne Berlin-Lösung, und zwar eine Lösung, die ungefähr den westlichen Vorstellungen entspricht, gibt es aber keine Ratifikation des deutsch- sowjetischen Vertrages im Bonner Bundestag, nicht nur, weil die CDU- CSU-Opposition, sondern auch Abgeordnete der Regierungsparteien selbst dagegen stimmen würden und weil ohne eine annehmbare Berlin- Lösung die gesamte deutsche Ostpolitik ein großes Fiasko wäre. Bis zur Zeit nämlich besteht die deutsche Ostpolitik fast nur aus Verzichtserklärungen, die zwar zunächst wenigstens kein materielles Opfer abverlangen, wohl aber ein ideelles, und unvermeidlich nationale Emotionen aufwühlen. Die Sowjets machen ihrerseits nicht die geringste Anstrengung, der Regierung Brandt- Scheel irgendeine Hilfestellung zu leisten, weil sie sich einzig vom Vorteilsdenken leiten lassen. Was sie umsonst bekommen, dafür geben sie nachher keine Geschenke mehr, was nichts anderes besagt, als daß man mit den Sowjets nur Zug um Zug verhandeln kann: Ich gebe dir etwas, wenn du mir etwas dafür giihst. Das mag zwar eime primitive Art der Politik sein, aber siie hat sich noch immer bewährt. Vorleistungen hingegen haben von seiten der Sowjets noch nie etwas eingebracht.

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