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Die pädagogische Antenne

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Der Test — auch wenn man Meinungsumfragen skeptisch gegenübersteht — sollte die selbsternannten Wehrufer über den Untergang der Kultur eines Besseren belehren: Mehr als 500.000 Hörer in Österreich täglich sind bereit, sich vom sogenannten Schulfunk Belehrung und geistige Anregung zu holen.

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Der Test — auch wenn man Meinungsumfragen skeptisch gegenübersteht — sollte die selbsternannten Wehrufer über den Untergang der Kultur eines Besseren belehren: Mehr als 500.000 Hörer in Österreich täglich sind bereit, sich vom sogenannten Schulfunk Belehrung und geistige Anregung zu holen.

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Und es sind keineswegs bloß Lehrer und Schüler, die von Montag bis Freitag um 9 Uhr ihre Geräte auf „Österreich Regional“ schalten. Das Gros der Hörer stellen die Hausfrauen, die über den Leerlauf der Vormittagsarbeit mit Hilfe der „pädagogischen Antenne“ hinwegkommen, sind Rentner und Pensionisten, für die es noch mehr gibt, als den Sküs auszuspielen und in geistiger Resignation auf das Ende zu warten.

Vor vierzig Jahren, Anfang 1932, strahlte die damalige Ravag die erste Sendung zur Unterstützung des Schulunterrichtes aus. Uber Franz Schubert informierten sich an diesem ersten Tag fast 900 Schulen in der Zeit von 10.20 bis 10.50 Uhr.

Wie bei so vielen anderen Dingen, die heute in der Erfolgsbilanz des österreichischen Rundfunks aufscheinen, stand auch an der Wiege des Schulfunks der große alte Mann des Funks in Österreich, Rudolf Henz. Was für ausländische Sender schon fast selbstverständlich war, die Ergänzung, nicht das Ersetzen des Unterrichts durch eigens dafür konzipierte Sendungen, mußte sich in Österreich erst gegen manchen Widerstand durchsetzen.

Henz bekam vom Ministerium die Erlaubnis, für ein halbes Jahr Probesendungen auszustrahlen. Nach diesem halben Jahr war der Schulfunk zwar keineswegs aus dem Streit der Meinungen gerückt, wohl aber als eigenständige Sendereihe etabliert.

Denkt man an die noch relativ kleine Zahl der Rundfunkhörer, an die geringen finanziellen Mittel und an die bescheidenen technischen Möglichkeiten, dann liest sich die Liste der Sendungen wie eine Bestandsaufnahme des geistigen Lebens in einer Zeit, die in der Geschichte sonst nicht gerade gut wegkommt:

Da berichtet etwa in der zweiten Sendung schon Hugo Adolf Ber-natzik über seine Forscherarbeiten in Afrika und bringt so — lange vor dem Säkulum des Massentourismus — einen Hauch der weiten Welt in die Schulstuben. Wenige Tage später besucht die Ravag den Bundespräsidenten und eröffnet damit eine Tradition, die bis heute reicht und noch immer eine der nobelsten Aufgaben des Schulfunks ist: im jungen Menschen das Staatsbewußtsein zu fördern.

Die bedeutendsten Volksbildner, Wissenschaftler und Künstler stellen sich mit Begeisterung in den Dienst der Sache: Felix Rosche spricht über die Tierwelt, Bernhard Paumgartner versucht, jungen Menschen Mozart nahezubringen, Georg Kotek beginnt mit der Pflege des Volksliedes, Franz Schütz erzählt über die Orgel.

Die Jahre zwischen 1938 und 1945 bringen die große Zäsur. Aber bald nach dem Krieg ist es wieder Rudolf Henz, der erneut den Schulfunk ins Leben ruft und damit ein kleines österreichisches Wunder fertigbringt, wie sie in den Besatzungsjahren zwar unbemerkt, aber umso wirksamer nicht selten waren. Die Sendungen des Schulfunks werden in der Zeit der Vierteilung Österreichs nicht etwa von den einzelnen Studios in den Besatzungszonen selbständig ausgestrahlt, sondern als Ringsendungen aller österreichischen Sender durchgeführt, ein erstes einigendes Band um die getrennte Heimat.

In diesen Tagen stößt auch der

Mann zum Schulfunk, mit dessen Namen seither die Entwicklung zu einem international anerkannten Medium verknüpft ist. Professor Franz Gregora versteht es, das Schifflein seines Ressorts zwischen der Szylla bundesministerieller Begutachtung und der Charybdis funkischer Reformfreude geschickt so zu steuern, daß — nach vierzig Jahren — der Schulfunk wie zuvor lächelt.

Noch immer ist der Schulfunk beiden Elternteilen gleichermaßen verbunden und verpflichtet, wie in den Zeiten seiner Anfänge: die Sendungen werden vom Bundesministerium approbiert und vom Rundfunk mediengerecht bearbeitet und aufgenommen. So ist von der ersten Sendung über Franz Schubert bis zu dem imponierenden Angebot der Gegenwart und bei allem Einbeziehen moderner Strömungen doch eine Kontinuität gewahrt, wie sie in solcher Selbstverständlichkeit nur wenige Institutionen in Österreich buchen können.

Die Weiterentwicklung der Technik hat eine explosionsartige Ausweitung des Programmes ermöglicht: 1932 erreichten 95 Sendungen rund 900 Schulen, heute werden den 6270 Bildungsanstalten rund tausend Sendungen im Jahr angeboten. Vierzehn Prozent der Hörer verlangen beim ORF eine Wiederholung von Sendungen. Und die 40 bis 43 Prozent aller Rundfunkhörer Österreichs, die als Zielgruppe oder als die zahlreichen Zaungäste ihren Apparat einschalten, entsprechen genau jenem Prozentsatz, der sich an der Music-Box der Jugendredaktion zu erfreuen pflegt.

Das schlichte Registrieren eines Jahrestages und die dürre Chronik einer Sendereihe vereinen sich zum Trost, beweisen die Kontinuität einer Kultur: nicht auf den Landstraßen der Sensationen, wohl aber auf den Seitenwegen, wo die eigentliche Substanz eines Volkes überlebt.

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