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Die Parteischreiber

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Anfang Juni 1972 mußte fast der ganze Admimistrativrat des Bulgarischen Schriftstellerverbandes, mit dem Litaraturdiktator Georgi Dschagaroff an der Spitze, das Feld räumen, um für den kürzlich abgehaltenen Schriftstellerkongreß eine bessere Atmosphäre zu schaffen. Das beste Porträt des gestürzten bulgarischen Litaraturzars stammt von dem sowjetischen Dichter Andrej Woschnessensfcy, der Dschagaroff mit einem Janltscharen verglichen hat, der „den Feind zwar erkennen, aber nicht sagen kann, welches seine eigenen Leute sind“. Nicht einmal die intime Freunidschaft mit Todor Schiwkoff konnte Schagaroff retten, der nunmehr durch Pantelej Zareff ersetzt wurde. Fünf Monate sollten dem weniger dramatischen als flexiblen Zareff genügen, die Schriftsteller hinter der neuen Administration zu vergattern.

Die Weichen des bulgarischen Kulturlebens sind jetzt für eine längere Periode gestellt. Fünf Jahre lang totgeschwiegene prominente Literaten wie die Dichter Nedjalko Jordanoff und Iwan Dinlkoff wurden von der „Literaturfront“ im August 1972 wieder entdeckt und als „talentiert“ bezeichnet. In derselben literarischen Wochenzeitung durfte der Schriftsteller Emil Manoff, der seit 1966 aus dem Kulturleben verbannt war, sogar eine' „Warnung“ publizieren.

Eine der wichtigsten Gestalten der modernen bulgarischen Dichtkunst, der Dramatiker Valeri Petroff, der damit international berühmt geworden ist, daß er die Unterzeichnung eines Protesttelegramms gegen die Verleihung des Nobelpreises an Solschenizyn verweigert hat, wurde sogar, gemeinsam mit Manoff und Jordanoff, als „ein Repräsentant des modernen bulgarischen Theaters“ apostrophiert.

Die zwei krassesten Fälle sind jedoch Weselin Andrejeff und Frau Blaga Dimitrova. Andrej eff ist ein Partisanendichter, der mehrere Prosawerke und nur einen Gedicht-band veröffentlicht hat. Vor 1944 war er Politkommissar einer Partisanenformation in Chavdar, wo damals auch der spätere Partei- und Regierungschef Todor Schiwkoff und General Dobri Dschuroff aktiv gewesen waren. Viele Jahre lang mußte Andrejeff schweigen. Jetzt veröffentlichen schlagartig alle Zeitungen und Lateraturmagazine Auszüge aus seinen Arbeiten. Ja sogar ein noch nicht veröffentlichtes Buch aus seiner Feder wurde in der „Otechestven Front“ gepriesen. In Sofioter Literaturzirkeln, in denen man das Gras wachsen hört, munkelt man bereits davon, daß Andrejeff der kommende Präsident des Schriftstellerverbandes sei. Andere Literaten sehen den „Mann der Zukunft“ in Bogomil Rajnoff, der wegen seiner skrupellosen Natur bei den Kollegen nicht populär ist.

Blaga Dimitrowa war in der Scha-garoff-Ära Zielscheibe aller Kritik der Literatur-Apparatschiks. Nach Dschagaroffs Abtreten wurde sie „rehabilitiert“. Ihr letztes Buch „Untergrundhimmel“, 1972, eine Fortsetzung ihrer Novelle „Jüngster Tag“, 1969, wurde plötzlich von zahlreichen Zeitungen gedruckt und hoch gelobt. Die definitive Kanonisie-rung der Dichterin erfolgte kürzlich in der „Otechestven Front“ durch den vielumstrittenen Kritiker Zdravko Petroff, der zwar talentiert ist, aber immer so schreibt, wie der politische Wind gerade weht.

In einem, wie immer, provozierend kritischen Artikel von Ljufoen Geor-gijeff wurde der berühmteste Satiriker des Landes, Wasil Tsoneff, aufs Korn genommen. Satire war viele Jahr lang tabu! Das Schaffen des „demaskierten“ Tsoneff wurde nun als „grau“, „mutlos“, banal und primitiv“ qualifiziert, ja sogar als „ein Insult gegen die bulgarische Sprache“. Kein Zweifel, daß nun alle „unsatirischen Satiriker der letzten drei Dekaden“ daraus eine Lehre ziehen müssen. Eine realistischere Betrachtungsweise des heutigen bulgarischen Lebens soll auftragsgemäß in die Literatur Eingang finden.

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