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Die perfekte Inflationsmasdiine

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Das internationale Währungssystem ist in Bewegung geraten. Ungewohnte, für viele beunruhigende Dinge spielen sich ab, Dinge, die heute auch schon der mittleren und älteren Generation, ganz zu schweigen von der Jugend, unglaublich erscheinen: seit jeher an feste Wechselkurse gewöhnt, ist es ihnen kaum vorstellbar, daß auf einmal etwa die D-Mark oder der Hollandgulden keinen festen Preis mehr haben sollen, sondern wie ein Börsenpapier zu wechselnden Tageskursen gehandelt werden.

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Das internationale Währungssystem ist in Bewegung geraten. Ungewohnte, für viele beunruhigende Dinge spielen sich ab, Dinge, die heute auch schon der mittleren und älteren Generation, ganz zu schweigen von der Jugend, unglaublich erscheinen: seit jeher an feste Wechselkurse gewöhnt, ist es ihnen kaum vorstellbar, daß auf einmal etwa die D-Mark oder der Hollandgulden keinen festen Preis mehr haben sollen, sondern wie ein Börsenpapier zu wechselnden Tageskursen gehandelt werden.

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Es 1st so unvorstellbar, daß die meisten darin nur einen Ausnahmezustand erblicken können. Demgemäß ist die „Rückkehr zur festen Parität" auch ein verbindliches Versprechen des deutschen Superministers Schiller. Kaum jemand entsinnt sich noch der Zeit, in welcher der freie Wechselkurs das Selbstverständliche war, wogegen der in Krisenzeiten eingeführte feste Wechselkurs als Ausnahmezustand galt, von dem sehr rasch wieder zum freien Kurs zurückgekehrt werden sollte. Aber bekanntlich ist nichts dauerhafter als das Provisorium, und das trifft nicht nur aixf Österreich zu. Die Ausnahme ist längst zur Regel geworden und die Regel zur Ausnahme.

Kein Zweifel, die D-Mark wird zur festen Parität zurückfinden (ob auch zur alten, sei dahingestellt); sogar der kanadische Dollar, der seihon seit mehr als einem Jahre aus der Reihe tanzt, wird voraussichtlich früher oder später wieder in den Stall der Währungsordnung zurückkehren. Die Weltwirtschaft hat sicih schon so an die Scheinharmonie der gleichbleibenden Wechselkurse gewöhnt, die nur hie und da durch Auf-und Abwertung unterbrochen wird, daß sie jede Währung, die den Schleier des amtlich verordneten Gleichklanges zerreißt und die tatsächlichen Schwankungen sichtbar werden läßt (die freilich wieder von den Notenbanken weitgehend manipuliert werden können), als Störenfried ansieht.

Freikurs oder „dirigistischer Sündenfall"

Wie immer man zur Wechselkurs-Freigabe der D-Mark stehen mag, es ist sicher heilsam, der Menschheit ins Gedächtnis zu rufen, daß feste Wechselkurse kein Naturgesetz, sondern eine internationale Übereinkunft sind, über deren Weisheit man verschiedener Meinung sein kann. Bereits seit Jahren verlangen namhafte Währungsfachleute, allen voran etwa ein L. Albert Hahn (schon 1964 in seinem „Traktat über Währungsform") oder ein Fritz Mach-lup, die Freigabe der Wechselkurse, und sie wissen manch gewichtigen Grund anzuführen. Der Segen des uns heute so gewohnten Währungsgleichschrittes ist somit zum mindesten umstritten.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit auf feste Wechselkurse verzichtet wird; aber auch, wenn das der Fall wäre, hieße das noch lange nicht, daß etwa die D-Mark weiter völlig unbehindert durch das Dickicht der Austauschverhältnisse streunen dürfte; sie wird, wenn schon nicht an die Leine des Weltwährungsfonds, so doch an die der EWG gelegt werden: die gemeinsame Währungspolitik, zu der sich deren Mitgliedländer verpflichtet haben (wenn auch noch niemand so recht weiß, wie diese aussehen soll), ist mit freier Kursbildung der Währungen untereinander, zum mindesten nach allen bisherigen Vorstellungen, unvereinbar.

Nicht ganz zu Unrecht werfen daher heute die Franzosen den Deutschen vor, mit der Wechselkurs-Freigabe einen Vertrauensbruch begangen, sich EWG-widrig verhalten zu haben; freilich ist der Einwand der Deutschen, nicJit sie wären sdiuld am herrschenden Währühgswirr-warr und diö außergewöhnlichen Umstände erforderten außergewöhnliche Maßnahmen, auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Ob nun die Wechselkursfreigabe, namentlich in der Art und Weise, in der sie erfolgt ist, richtig war, oder ob gar unter dem Fächer von Möglichkeiten der von den Franzosen bevorzugte „dirigistische Sündenfall" der Devisenbewirtschaftung die beste Lösung gewesen wäre, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Wie „verunsichert" heute die Standpunkte sind, zeigt schon die Tatsache, daß die konservative französische Regierung den dirigistischen, die sozialistische deutsche hingegen den liberalen Weg in Währungsfragen vorzieht. Die Gründe dieses Hollentausches liegen freilich auch zum Teile in der unterschiedlichen inneren Gesamtentwicklung der beiden Länder seit dem letzten Kriege, aber doch nicht ausschließlich darin.

Bretten Woods und die Folgen

Doch auch, wenn es auf lange Sicht bei festen Wechselkursen bleiben sollte, es muß das auf alle Fälle im Rahmen einer geänderten Weltwährungsordnung geschehen. Zu hoffen ist nur, daß die Änderung sich nicht auf Retuschen (etwa mittels größerer Bandbreiten für Not«i-bankintervention oder irgendwelcher Abschöpfungs- und Steujerungs-maßnahmen) beschränken, sondern daß ein gründlicher Umbau, wenn schon nicht Neubau des Währungsgebäudes erfolgen wird.

Unser heutiges Währungsgebäude ruht auf den Satzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der 1945 als Ergebnis der Währungs-konferenz von Bretton Woods gegründet wurde, und dem heute auch Länder angehören, die, wie etwa Deutschland und ‘Österreich, aber auch die neuen äfrikahiscHen Staaten, in Bretton Woods noch nicht dabei waren. Der IWF legt die Währungsparitäten seiner Mitglieder fest; ihre Änderung bedarf seiner Bewilligung, freilich mit der Einschränkung, daß für Kursänderungen unter zehn Prozent die Zustimmung nicht eingeholt werden muß. Damit ist aber, wenigstens Ländern ohne galoppierende Inflation, weiter Spielraum für selbständiges Handeln gewährt.

Durch den Währungsfonds sollte die Autarkie- und Devisenzwangswirtschaft der dreißiger Jahre, die den freien Welthandel fast völlig zum Erliegen gebracht hatte, nach dem zweiten Weltkriege überwunden werden: die Mitglieder zahlen bestimmte Quoten in Gold, Dollar oder Landeswährung ein und erhalten dafür das Recht, Währungen anderer

Mitglieder auch in der eigenen Landeswährung zu erwerben.

Die importierte Inflation

Die festen Währungsparitäten, genauer gesagt: die festen Paritäten zum Dollar als internationaler Leitwährung, haben freilich auch ihre Tücken; diese kamen aber so lange nicht zum Ausbruch, als es eine Devisenbewirtschaftung gab. Erst deren Beseitigung ermöglichte eine Tätigkeit, die mitüerweUe als internationale Währungsspekulation übel bekannt und zu einem gefährlichen Unruhestifter geworden ist: Die „heißen Gelder" wandern ständig aus der schlechteren, das heißt abwertungsverdächtigen, zur besseren, weil aufwertungsträchtigen Währung. Auf solche Weise wird der durch eine ungünstige Leistungs-büanz verursachte Devisenabfluß eines Landes noch vermehrt und kann dieses an den Rand der Zahlungsfähigkeit bringen, wogegen andere Länder (die Bundesrepublik etwa weiß ein Lied davon zu singen) sich des Devisenandranges nicht erwehren können und durch die übermäßige Geldflüssigkeit ins Inflationswasser geraten.

Die vagabundierenden Gelder sind um so gefährlicher, als sie neben einem möglichen Aufwertungsgewinne auch eine hohe Ver2iinsung anlocken kann. Nim ist die Erhöhung des Zinsfußes und damit die Kre-ditverteuerung ein wichtiges Mittel der Inflaticnsbekämpfung; wenn dadurch aber vermehrt „heiße Gelder" angelockt Wfirden, ist die anti-Inflationäre Wirkung der Maßnahme sehr häufig wieder aufgehoben.

Aber das ist nur eine Form der „importierten Inflation"; die andere entsteht auf dem Umwege über Waren und Dienstleistungen: linflatio-nierende Länder verteuern ihre Waren und können dank der festen Wechselkurse diese Verteuerung auch den ausländischen Absatzmärkten weitergeben; sie können das besonders dann, wenn mehrere Länder zugleich oder eine Wirtschaftsgroßmacht (zum Beispiel die Vereinigten Staaten) Inflation betreiben.

Dorado für wirtschaftspoUtische Lügen

Sie bewirkt aber noch Schlimmeres: sie begünstigt eine leichtfertige Wirtschaftspolitik, die Verschleierung der Folgen verfehlter Maßnahmen einer demagogischen Regierung; sie ermöglicht die Abwälzung der eigenen Fehlier auf das Ausland. Solange freie Wechselkurse üblich waren, schlug sich jede inflations-treibendė Maßnahme im Inlande sofort in der Notierung der eigenen Währung nieder und legte die Fehler der Regierung bloß; die übrige Welt blieb unbehelligt. Solange Autarkie- und Devisenzwangswirtschaft herrschte, konnten auch bei festen Wechselkursen die Fehler nicht verschleiert werden: die Devisen strömten ab und die ungedeckte Währung wuirde mn Ausland als Zahlungsmittel nicht mehr angenommen.

Dank dem Internationalen Währungsfonds können diese Gefahren umgangen werden: die Staaten können ungehindert (oder fast ungehindert) ihre Inflation exportierten. Die Folgen der nationalen wirtschaftspolitischen Fehler können auf diese Weise intemationEiIdsiert, die Spuren der eigentlichen Ursachen fast völlig verwisciit werden; der wirtschaftspolitischen Lüge werden geradezu ideale Wirkungsmöglichkeiten gewährt, und diese tritt deshalb auch immer gehäufter auf.

Besonders schlimm wurde die Sache, seit in den sechziger Jahren die amerikanische Zahlungsbilanz immer stärker passiv wurde. Die Funktionisfähiigkeit des IWF setzt nämlich einen stabUen und weltweit knappen Dollar voraus, der als Reservemittel dem Golde gleichwertig ist und eben dank seiner Knappheit der wirtschaftspolitischen Demagogie in den übrigen Ländern Grenzen setzt.

Nun waren auf einmal die westeuropäischen Staaten mit Dollars überschwemmt. Der Überfluß an Reservewährung ließ auch die nationale Geldschöpfung aus den Nähten platzen; „heiße Gelder" suchen den Weg von Amerika nach Europa, der „EurodoUar" entstand als zusätzliches Mittet der Kreditschöpfung und damit der inflationistischen Ausweitung der Geldflüssigkeit.

Der Fluch des Papiergoldes

Zu allem Überflusse faßte der Gouvemeursrat des IWF, hauptsächlich auf Betreiben Amerikas und der Entwicklungsländer, im Herbste den Beschluß, die sogenannten „Sonderziehungsrechte" zu aktivieren; es geschah nach Ansicht vieler Währungsfachleute satzungswidrig, weil die Voraussetzungen für die Aktivierung nicht gegeben waren. Dadurcih kam zu den herkömmlichen Währungsreserven (Gold, Devisen, Reserveposition beim IWF) nocih eine weitere dazu: das „Papiergold", ein vom Währungsfonds künstlich geschaffenes, dn Form von Sonder-ziehungsrechten gratis an die IWF Mitglieder zu verteilendes Reserve-medium. Die Gold-, vorab die Dollar-i Schwemme (da ja die Amerikaner die Hauptnutznießer der Sonder-’ ziehungsrechte waren) wurde nunmehr zur Springfl;ut.

Die derzeitige weltweite Inflation list nicht zuletzt auf diesen umstrittenen Beschluß des Währungsfonds zurückzuführen. Gewiß kann man auch den einzelnen europäischen Ländern sciiwere wirtschaftspoUtische Fehler nachweisen, aber die vom IWF g^chaffene Geldflut gab den Regierungen und Verbänden vielfach erst die Möglicäikeit, diese Fehler zu begehen.

Inflationsmaschine müßte Stabilitätsmaschine werden

So richtig imd unerläßlich auch wirksame nationale Maßnahmen gegen die Inflation wären, ein voller Erfolg würde ihnen erst dann beschieden sein, wenn es gelänge, die Weltwähnmigsordnung daran zu hindern, dauernd Inflation zu erzeugen. Heute stehen wir vor der Frage, entweder die Inflation gewähren zu lassen oder schrittweise das internationale Währungssystem zu zerstören. Die Wechselkursfreigabe in Deutschland, Maßnahmen der Devisenbewirtschaftung (nun nicht mehr, wie früher, um die Dollars am Abfließen, sondern am Zuströmen zu hindern) in mehreren anderen Ländern sind gefährliche Zeichen.

Wenn aber heute Länder die Währungsrutsohfahrt ndoht oder nicht im voBen Masse mitmacįhen wollen, dann haben sie derzeit gar keine andere Möglichkeit, als zwischen dem freien Wechselkurs oder der Deviisenzwangswiirtscshaft zu wählen. Der dritte Weg wäre eine Reform des Währungsfonds an Haupt und Gliedern, seine Umwandlung von einer Inflations- in eine Stabilitätsmaschine — eine Aufgabe, die nicht einmal als „Reißbrettentwurf" gelöst ist, deren Verwirklichung gegen die zu erwartenden schwersten politischen Widerstände aber noch lange aussteht. Ein echter Erfolg ist aber nur möglich, wenn die heute viel beschworene Inflationsbekämpfung nicht unverbindliches Lippenbekenntnis bleibt, sondern den wortgewaltigen Infla-tionsbekämpfern auch einige Opfer wert ist.

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